Was, wenn es die Beatles nie gegeben hätte? Wäre das Leben überhaupt lebenwert? Dieser und vieler anderer Fragen geht Kultregisseur Danny Boyle in seiner Musik-Komödie Yesterday nach. Ob der charmante Streifen an seine frühere Meisterwerke heranreicht, und ob die Beatles tatsächlich auch heute noch zu Megastars würden, lest ihr in unserer Kritik.
11. Juli 2019: Jack Malik (Himesh Patel) ist leidenschaftlicher, aber leider auch erfolgloser Musiker. Seit einem Jahrzehnt tritt er in den Pubs, Cafés und Restaurants als Hintergrundbeschallung vor kaum mehr als einer Handvoll Zuhörer auf. Als er beschließt es endlich bleiben zu lassen, erkennt er nach einem Unfall, dass sich außer ihm scheinbar niemand an die Beatles erinnert. Eine Chance!
Wir durften uns den Film vorab für euch ansehen. Warum Yesterday bei allem Charme nicht vollends zu überzeugen weiß, verraten wir euch in unserer Kritik.
Musiker Jack will Großes erreichen. Unermüdlich schreibt er an neuem Material und nimmt jede noch so kleine Gelegenheit zum Auftreten wahr. Obwohl kaum jemand zu seinen Konzerten kommt, kann er sich zumindest auf die Unterstützung seiner Freunde verlassen. Allen voran seiner Schulfreundin Ellie, die ihm als Managerin und Roadie zur Seite steht. Seit sie ihn bei einem Talentwettbewerb spielen gesehen hat, motiviert sie ihn an sich zu glauben. Kurz vor seinem 27. Geburtstag verschafft Ellie ihm die Chance, auf einem lokalen Festival in einem der Zelte zu spielen. Leider bleibt das bis auf seine engsten Freunde beinahe leer. Da beschließt Jack hinzuschmeißen. Während er nach Hause radelt, fällt auf der ganzen Welt gleichzeitig der Strom aus. Als Jack erwacht, liegt er im Krankenhaus, hat zwei Zähne verloren und die Beatles sind wie aus der Geschichte gelöscht.
Erst glaubt Jack noch an einen schlechten Witz seiner Freunde. Schnell erkennt er aber seine Chance und beginnt alle Beatles-Songs aus dem Gedächtnis nachzukomponieren. Lieder wie Let It Be oder Hey Jude haben auch heute noch Hitpotential. Von da an geht es steil bergauf. Von der ersten CD hin zu einem kleinen Auftritt im Lokalfernsehen. Als über Umwege ein berühmter Musiker auf die Songs aufmerksam wird, wird’s ernst mit der Karriere. Ein solcher Aufstieg bringt natürlich auch einen Haufen Konflikte mit sich. Moralfragen, weil Jack die Hits der Beatles als seine eigenen ausgibt, Fragen der Liebe, da Ellie, die offensichtlich in Jack verliebt ist, in Lowestoft zurück bleibt, und noch viele andere Verstrickungen.
Yesterday hat auf dem Papier alles, was ein großartiger Film braucht: Eine kreative Ausgangslage, einen spielfreudigen Cast, einen Star-Regisseur und die Musik der Beatles – eine Traumkombination. Und tatsächlich ist Yesterday auch in vielerlei Hinsicht zu einem außergewöhnlichen Film geworden. Nur kann er nicht zur Gänze überzeugen. Zuerst aber das Positive.
Das Herausragendste an dem Film ist zweifelsfrei die Grundidee. Eine Was-Wäre-Wenn-Geschichte, wie es sie noch nicht gegeben hat. Die Beatles als eine der einflussreichsten Gruppen der Musikgeschichte werden zum Dreh– und Angelpunkt der Handung und ihrer Bedeutung wird der Film zu jeder Zeit gerecht. Die Umsetzung der alternativen Realität mit ihren vielen kleinen Abweichungen von unserer und die Liebe zum Detail sind bewundernswert.
Auch die Regie ist über jeden Zweifel erhaben. Danny Boyle weiß, wie man einen soliden Film dreht, ohne sich in den Vordergrund zu schieben. Der Stil ist markant und trotzdem zurückhaltend. Man wird sich zwar nicht, wie bei Boyles anderen Werken (z.B. Trainspotting), an die kreative Inszenierung einzelner Szene erinnern, aber trotzdem kann man seine Handschrift an allen Ecken und Enden erkennen. Vor allem die Farbkomposition vieler Einstellungen fällt positiv aus. Helle Farben und kristallklare Bilder machen den Film zu einem unaufdringlichen Seh-Erlebnis.
Neben den Beatles sind es die Schauspieler, die den Film aus der Masse abheben. Allen voran Himesh Patel als Jack und Lily James als Ellie. Sie tragen Yesterday. Ihr facettenreiches Spiel trägt die Tragik der Handlung mit der gleichen Souveränität wie den Humor. Vor allem der Humor funktioniert großartig. Die Witze kommen weniger aus dem Drehbuch und mehr aus der Inszenierung und Ausführung der absurden Situationen, die eine alternative Realität verursacht.
Für die offensichtlichen Gags sind eher die Nebendarsteller verantwortlich, die auch solide Arbeit leisten. Im Zentrum des Films steht aber nicht der Humor, sondern das emotionale und komplizierte Verhältnis zwischen Jack und Ellie. Mit der Chemie der beiden Charaktere steht und fällt der Film. Glücklicherweise harmonieren Patel und James hervorragend.
Was den Film zum Meisterwerkstatus fehlt, ist das ab der zweiten Hälfte sehr unfokussierte Drehbuch. Die erste Filmhälfte ist nahezu perfekt. Alle Charaktere werden perfekt vorgestellt und ihre Rolle in der Handlung etabliert. Die Grundidee einer alternativen Realität fügt sich natürlich in die zuvor gezeigte Welt und die Verhältnisse der Charaktere ein. Die Konflikte, Träume und Hoffnungen von Protagonisten Jack sind stets fühlbar und nachvollziehbar, was auch daran liegt, wie liebenswürdig der Charakter gezeichnet ist. Auch Ellie wird sofort zur Sympathieträgerin.
Wenn der Film sich aber in der zweiten Hälfte öffnet, verliert er gleichzeitig seine Linie. Etliche neue (etwas konstruierte) Konflikte und Mysterien werden eingeführt und zum Schluss kommt er etwas zu lange nicht zum Ende. Nach einem scheinbaren Finale, das erfrischend wäre und auch so manche Erwartungen ausheben würde, geht der Film noch weiter. Das wirkliche Ende ist dann wieder sehr traditionell und vorhersehbar. Dabei gäbe es im Lauf der Handlung eigentlich einige sehr interessante und unerwartete Twists, die sich dann doch wieder in bekannten Bahnen auflösen. Da wurde einiges Potenzial liegen gelassen.
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Yesterday bietet wunderbare Unterhaltung für Fans der Beatles und generell für Freunde von Musikfilmen. Beinahe alles an dem Film ist stimmig: Die Schauspieler, der Regisseur, die Idee – alles funktioniert. Die Chance etwas gänzlich Außergewöhnliches zu sein verspielt der Film leider mit der unfokussierten und trotzdem konventionellen Handlung. Das ist aber in Anbetracht der vielen Stärken von Yesterday, ein verhältnismäßig kleiner Kritikpunkt. Dem neuesten Film von Danny Boyle kann man also dennoch eine wärmste Empfehlung aussprechen. (ph)
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Alle Fotos (c) Universal Pictures, Jonathan Prime
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.