Alles auf Droge! Die meisten kennen die Vorlage aus der Schule, eventuell auch den Film von 1981. Nun hat sich auch Amazon an dem Drogenmilieu-Klassiker Wir Kinder vom Bahnhof Zoo versucht. Mit einer leicht adaptierten Handlung präsentiert sich die Prime-Serie als moderne Interpretation. Doch irgendwie ist das Drogenmoloch dabei auch ungewollt hip geworden. Was die größten Stärken und Schwächen der Neuadaption sind.
von Susanne Gottlieb
19. Februar 2021: Es gibt wohl kaum jemanden, der es nicht kennt. Das vom Magazin Stern herausgebrachte biographische Buch Wir Kinder vom Bahnhof Zoo von Ex-Junkie Christiane F. Im Westberlin der 70er Jahre wächst sie in einem mittelmäßig versierten Haushalt auf, der von Streit mit der Mutter und ihrem neuen Partner gekennzeichnet ist. Durch Freunde und Gruppenzwang gerät sie schließlich in die Drogenszene. Von da an ist ihr Leben ein Teufelskreis aus Anschaffen und dem nächsten Schuss.
Amazon hat nun gemeinsam mit Constantin Television eine achtteilige Prime Serie aus dem Stoff gemacht. Ob es sich lohnt, sich diese ab heute anzusehen oder nicht, erfährt ihr hier. Übrigens: Hier findest du unser Ranking der 22 besten Amazon-Serien.
Christiane (der österreichische Jungstar Jana McKinnon) lebt in einer heruntergekommenen Ecke Berlins mit ihrer Mutter Karin (Angelina Häntsch) und ihrem Vater Robert zusammen. Die Eltern kommen schon lange nicht mehr miteinander aus, und auch in der Schule läuft es mit den anderen Mitschülern nicht ganz so rund. Als sie Stella (Lena Urzendowsky) kennenlernt, und mit ihr, ihrer Bekanntschaft Axel (Jeremias Meyer), dessen Freunden Benno (Michelangelo Fortuzzi) und Michi (Bruno Alexander), sowie der aus reichem Haus stammenden Babsi (Lea Drinda) beginnt, sich regelmäßig die Nächte in der Disco Sound um die Ohren zu schlagen, sind auch die Drogen nicht mehr weit.
Angestachelt durch schwierige Familienverhältnisse und einen rebellischen Drang, das Leben bis zum Vollsten zu leben, ohne auf die Konsequenzen zu achten, verfallen alle sechs immer mehr der Heroinsucht. Bald dreht sich in ihrem Leben nur noch alles um den nächsten Schuss. Sie alle stehen letztendlich am Strich rund um den Bahnhof Zoo. Ihre Loyalität zueinander steht ebenso auf der Kippe, wie die eigene Zukunft, und bald auch das eigene Überleben.
Wer sich an die umfangreichen Exzesse und detaillierten Beschreibungen des Fixer Alltags aus dem Buch erinnert, der darf getrost hören, dass Amazon hier nicht versucht irgendetwas schön zu färben. Die Körper hätten zwar etwas gezeichneter geschminkt werden können, aber die unkontrollierte Sucht, der Wahnsinn des kalten Turkeys und die Perversität, der viel zu alten Freier werden hier nicht ausgespart. Die Serie mag hier zwar ein wenig Geduld abfordern, weil sie es sich zur Aufgabe macht die Hintergründe der sechs Figuren (nicht nur Christiane) etwas genauer zu beleuchten, aber spätestens ab Folge 4 beginnt sich das Drama in voller Wucht zu entfalten.
Dieser Versuch, die Gründe zu erforschen, wie sechs junge Leute so auf die schiefe Bahn geraten konnten, ist ambitioniert, und manchmal macht er sich auch durchaus bezahlt. Der Fokus des Ausgangsmaterials auf Christiane lässt ihre Freunde zu sehr zu Statisten verkommen, und es ist löblich, dass hier versucht wird, allen sechs genug Charakterentwicklung zu geben. Was jedoch an dieser kreativen Ausschmückung etwas nervt ist, dass die Macher oftmals etwas zu idealistisch geworden sind. Oft gelingt es ihnen nicht, die sechs als mehr als gelangweilte Teenager darzustellen, die aus Mangel an Unterhaltung oder durch eine plötzliche Eingebung beschließen, sich mit der Droge abzulenken. Die Rebellion gegen die “Spießer Eltern und Gesellschaft” ist ein klassischer narrativer Coming of Age Anker, wird aber oft ein wenig zu pathetisch in Szene gesetzt.
Was dem Abgleiten in den Drogensumpf manchmal fehlt, ist die Banalität der falschen Bekanntschaften, des Gruppendrucks und der unschönen Realität des Fixes. Drehbuchautorin Annette Hess und ihre Kollegen übersteigern aber oft in ihren Ideen diese Ausgangssituationen. So nimmt Christiane nach wie vor ihren ersten Trip auf einem David Bowie Konzert. Das Ganze gelingt ihr aber beispielsweise im Backstage Bereich an seinem Makeup-Spiegel. Der Trip wird eine trandenszentale Elevation in idyllischen Sphären. Ihr Freund Michi darf sogar noch Bowie in der Toilette beim Pinkeln begegnen. Alles ist einfach so viel größer und bombastischer als es unbedingt sein müsste.
Durch den Fokus auf mehrere Figuren gleichzeitig erlaubt es die Serie jedoch, das zunehmend zerrüttete Verhältnis zwischen den Protagonisten genauer zu beleuchten. Christianes Freund, der hier Benno heißt, und sie liegen im Dauerclinch zwischen gemeinsamen Anschaffen, Entzug und leeren Versprechungen. Stella und Babsi müssen ihre Freier maßregeln. Der feinfühlige Axel wandelt zwischen Enabler Rolle und dem Versuch, eine Karriere als Geselle zu starten. Immer wieder provozieren und manipulieren die Figuren sich. Es ist bald klar, niemand wird je wirklich clean werden können, wenn die sogenannten Freunde jedes Mal schon wieder den nächsten Schuss anbieten.
Ganz ohne Klischees kommt die Serie dann aber nicht aus. Von verklemmten Freiern mit SM Fetisch, etwas unausgegorenen Dreiecksbeziehungen, um das Drama noch zu erhöhen, bis hin zu manch plumpen Freigeist Symbolismus – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo will manchmal etwas zu dick auftragen. Doch vor allem eine exzellente zweite Hälfte der Serie hilft, über diese Mängel hinwegzublicken.
Wir Kinder vom Bahnhof Zoo ist kein Meisterwurf. Aber es ist eine inhaltlich leicht angepasste, teils durchaus kompromisslose Neuadaption des Literaturklassikers.
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Bilder: © 2021 Amazon Prime Video / Constantin Television
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.