Was das Waves Vienna von allen anderen Festivals unterscheidet, was die Highlights 2024 waren und welche 5 Bands uns diesmal überrascht haben.
von Christian Orou
Schon seit ein paar Jahren bildet das Waves Vienna eine Art Schlusspunkt in der Festivalsaison. Es ist ein Showcasefestival, das unbekannten Bands aus Europa die Möglichkeit gibt, sich vor einer Fachöffentlichkeit und vor Publikum zu präsentieren.
Heuer bespielte es die Bühnen entlang des Gürtels zwischen B72 und Loft. Die Genres der auftretenden Acts sind breit gestreut. Sie spannen einen großen Bogen von Folk über Soul und R´n´B bis zu Pop und Post-Punk.
Beim Waves spielen über 30 Bands pro Tag, verteilt auf 10 Locations. Das heißt, man versäumt mehr Acts als man sieht. Man stellt vor dem Festivaltag einen kleinen Plan zusammen, was man gerne sehen würde, der meist schon Beginn umgestoßen werden muss. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Location ist zu voll. Man verweilt zu lange bei einer Band. Man trifft auf dem Weg Bekannte und verplaudert sich oder, auch das passiert ganz selten, ein Konzert ist abgesagt. Darum lässt man sich oft überraschen.
Das Waves ist auch ein Festival, das von der Kommunikation lebt. Es ist ein Treffpunkt der Musik-Szene und in den Schanigärten entlang des Gürtels herrschte reger Austausch zwischen Musiker:innen, Fachleuten und Publikum. Gleich am ersten Tag zeigte sich das Waves Vienna 2024 von seiner ganzen Genre Vielfalt.
Die junge R´n´B-Sängerin Chovo, die schon Eli Preiss supportete, spielte ihre gefühlvollen Songs zwischen Namika und Joy Denalane im Coco. Sie verzauberte ihr Publikum mit sehr persönlichen Texten und einer variantenreichen Stimme. Das Waves war das erste Festival, bei dem sie aufgetreten ist, aber mit ihren Songs über Soulsearching, Freundschaft und großer Liebe wird sie bald auf größeren Bühnen landen. Und mit ein wenig Glück werden ihre Songs Spielplatz oder Autopilot bald in den Charts landen.
Gatafiera beschreiben ihren Stil auf der FM4-Homepage so: „If you take a bit of reggaeton, Brazilian funk and so many other genres and you mix it up and you put a Latin X there and a bunch of queerness and glitter, then you have Gatafiera!” Im Kramladen starten sie ihren Set mit einem kleinen Sprachkurs zum Thema verbale Selbstverteidigung: „Fresse halten, Arschloch. Don´t fuckin´ touch me.“
Weiter ging es im Café Carina. Nicht nur das Ambiente gab einem das Gefühl, dass die Zeit vor ungefähr 40 Jahren stehen geblieben ist. Mit einer Show zwischen Amanda Lear und den Village People entführte Mikala Nørgaard das Publikum in die Disco-Ära der 70er und 80er Jahre, Glitzeroverall inklusive.
Von den 70ern zurück in die Gegenwart waren es nur ein paar Schritte, nämlich vom Café Carina zurück ins Coco. Dort hatte Skofi den letzten Slot. Sie hatte beim Waves wieder einmal Lust, auch altes Material zu spielen und setzte nicht nur auf ihre Hits.
Eigentlich wäre im Chelsea ein Konzert der hochgelobten belgischen Band Bluai angesetzt, doch die sagten ab. Also weiter ins Fanialive, dort sollte noch jemand spielen. Auf der Bühne stand ein Quintett mit eher ungewöhnlicher Besetzung: Klavier, Drums, Gesang, Chello und Bass. Empfangen wurde man von sphärischen Klängen, die wurden rasch von einem treibenden Rhythmus und emotionalem Gesang abgelöst. Die slowakische Band Dis is Markēta wanderte zwischen Balkan-Folk und Klezmer mit einer kleinen Prise Indie-Pop und brachte damit das Publikum zum Tanzen.
Letzte Station: Wieder das Café Carina. Zu Sehen und zu hören war die israelische Band Screen. Und es war das erste Mal am ersten Tag, dass laute Gitarren die Bühne beherrschten. Die Band rund um Gitarristen Avidan Ezra präsentierten rauen Post-Punk, energetisch von treibenden Drums unterlegt, der den von der Band genannten Einfluss von The Clash oder The Cure alle Ehre machte.
Seit 2017 wird im Rahmen des Waves der XA Export Award vergeben. Er ist eine Kooperation zwischen mica-music austria, Austrian Music Export, Austro Mechana/SKE Fonds, FM4 und Waves Vienna. Er soll österreichische Künstler:innen, die sich bereits eine Basis in Österreich geschaffen haben, beim Start einer internationalen Karriere unterstützen. In den letzten Jahren konnten unter anderem Cari Cari, Dives und 2023 Bex die Jury überzeugen.
Eine Musikerin, die heuer für den XA Export Award nominiert wurde (der Sieg ging diesmal an Lucy Dreams), ist Edna Million. Am Freitag durfte sie das Festival im Chelsea eröffnen. Mit ihrer dunklen, einzigartigen Stimme und ihrer halbakustischen Gitarre, zog sie das Publikum sofort in ihren Bann. Die Songs, die manchmal so klingen, als hätte Leonard Cohen Pate gestanden, handeln unter anderem von geisterhaften Flughäfen, ihrer Großmutter, die in Schweden irgendwo im Nirgendwo ein Hotel betreibt oder von einem Türknauf in Memphis, der, wenn man ihn berührt, eine große Karriere verspricht. Für alle, die Edna Million nicht kennen, ein Tipp: Hört in das Debut-Album The Pool hinein, es lohnt sich – hier die gleichnamige Single mit Video.
Eigentlich wollte ich nur ein paar Minuten überbrücken und wurde im Café Carina wieder einmal überrascht. Die Band Duxius, ein Trio aus Polen (Bass, Drums, Gesang, den Rest besorgte der Computer) unterhielt das Publikum mit einer Mischung aus Rock, Funk und Pop und den Geschichten, die Frontfrau Edyta Rogowska-Żak von ihrer Kindheit in Polen und ihrer Wahlheimat Berlin erzählte. Die Songs wechselten zwischen Polnisch, Englisch und Deutsch und die letzte Single mit dem Titel Real Us, die Duxius auch im Café Carina performte, sollte ihren Weg in die Playlist von FM4 finden.
Duxius unterhielt so gut, dass ich versäumte, rechtzeitig im Kramladen zu sein. So blieb bei der Show des im Moment heißesten Geheimtipps der Wiener Musikszene nur die Rolle des Zaungastes. Beim Auftritt von Leber, einer feministischen Punkband aus Wien, platzte der Kramladen aus den Nähten.
Eine Band, die es noch zu entdecken gilt, ist die österreichische Formation Efeu. Sie machen sich das Revival der 80er zu Nutze und spielen Neue Deutsche Welle mit Wiener Charme, die sie behutsam ins neue Jahrtausend transformiert haben. Bei manchen Songs fühlte man sich in Niki Lists Malaria versetzt.
Die Sängerin Noops absolvierte, wie viele Acts beim heurigen Waves, ihren erste Auftritt in Wien im Loop. Auf ihrem neuen Album The Blue Room Radio spielt sie vor allem Mainstreampop. Bei ihrer Show im Rahmen des Waves verzichtete sie auf ihre Band und ließ sich lediglich bei einigen Songs von ihrem Keyboarder begleiten. So präsentierte sie vor allem ihre Balladen und Folk im Stil von Amy McDonald mit einem Hauch von Dixie Chicks.
Auch zum ersten Mal in Wien spielte das Londoner Trio Alien Chicks. Mit einem Intro, das an einen depressiven Jazzgitarristen in einer Hotelbar in Soho in den 50er-Jahren erinnerte, legten sie eine falsche Fährte aus. Schon bei ihrer ersten Nummer war dann aber klar, was man sich in der nächsten guten halben Stunde erwarten durfte: eine wilde Mischung aus Post-Punk und Noise-Metal mit Versatzstücken aus Rap, Jazz und Salsa. Die Basis legte Drummerin Martha Daniels, die Felle, Blech und Cowbell gnadenlos verdrosch (und die schon nach wenigen Minuten den Kick ihrer Bassdrum zerstörte). Darauf legte Bassist Stefan Parker-Steel pulsierende Läufe, die Gitarrist Josef Lindsay mit scharfen Riffs, Rap und zum Teil sehr theatralischem Gesang aufnahm.
Die Show war sicher einer der Höhepunkte des Waves 2024. Am Ende stand, neben dem Klingeln in den Ohren, die Erkenntnis, dass für einen gepflegten Mosh-Pit auch in der kleinsten Location Platz ist.
Wieder einmal ist das Chelsea der Opener, diesmal mit der deutschen Band Dunya. Es ist ein sehr gemütlicher Einstieg. Dunya spielen verspielte Songs mit Ethnoeinschlag, manchmal psychodelisch, in Deutsch, Englisch und Türkisch. Dreampop zur Eröffnung des dritten Tages.
Der zweite Höhepunkt nach den Alien Chicks war die österreichische Band SodL. Das Quartett rund um die Sängerin und Gitarristin Anja Sodnikar spielte sich in einer dreiviertel Stunde quer durch verschiedene Genres. Von Balladen über Folk, Blues, Rock und Punk war alles dabei. Getragen wurden die Songs durch die Stimme von Sodnikar, die ein Repertoire von geheimnisvoll zerbrechlich über lyrisch schön bis kraftvoll tief besitzt und von ihrem Gitarrenspiel, das viele Spielarten der populären Musik bedient. Unterstützt wurde sie dabei von Bass, Drums und Geige, die ihr die Möglichkeit gaben, sich manchmal in den Songs zu verlieren. Zurzeit arbeiten SodL an einem neuen Album, das im März 2025 erscheinen wird.
Den Trend zur Musik aus den 80ern und den 90ern griff die deutsche Sängerin Yeva auf. Präsentierte sie zu Beginn ihres Sets noch R´n´B im Stil von Namika und Joy Delalane, so versuchte sie mit ihren neuen Songs dem Technopop einen modernen Anstrich zu geben.
Man glaubt, man hat schon alles gesehen und wird dann doch wieder überrascht. Eigentlich wollte ich zur französischen Band Cosmopark in den Kramladen, aber der war so voll, dass man nicht einmal mehr in die Bar kam. Auf Geigenmusik im Loop hatte ich keine Lust und bei Portrait of Tea kam man zwar im Fanialive in die Bar, aber der Konzertraum war so voll, dass man nicht auf die Bühne sah. Dann halt wieder ins Chelsea.
Es begann gerade die Show von GIRLBAND!, einem Trio aus England. Wie kann man den Stil der Band beschreiben? Die Sängerin und Gitarristin hat eine Stimme wie Stevie Nicks, die Songs wechseln zwischen Postpunk, Rock und ungeschliffenem Pop. Innerhalb von drei Songs hatten GIRLBAND! ihr Publikum in der Hand und ließen es bis zum Schluss nicht mehr los. Wenn die Crew vom Chelsea klug war, hat sie die Band gleich gebucht, bevor sie nur mehr in großen Hallen spielt.
Das Waves ist, nicht nur weil es Showcasefestival ist, etwas anders als alle anderen. Es gibt neuen Bands aus Europa die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Es beschränkt sich nicht auf ein Musikgenre, es kommt alleine auf die Qualität der Musiker:innen an. Wenn man sich darauf einlässt, wird man viele Acts kennen lernen, die einen begeistern.
Das Waves Vienna ist ein Festival, das ohne großen Headliner auskommt, der Headliner ist das Waves selber. Und der vielleicht wichtigste Aspekt: Es beweist, dass Festivals heutzutage nicht mehr von männlichen Acts dominiert werden müssen und es viele Female- und Queeracts gibt, die ein Festival tragen können.
2024 war das Waves kompakter, weil Locations, die in den letzten Jahren ein wenig abgelegener waren wie das WUK oder das Metropol, nicht mehr im Programm waren. Mit dem Gürtel zwischen Loft und B72 könnte das Waves endlich eine Heimat gefunden haben. 13.798 Besucher:innen waren diesmal dabei. Nächstes Jahr findet das Festival von 2. bis 4. Oktober statt – wir freuen uns drauf.
In unserem Hörer-Bereich findest du weitere Reviews und Vorschauen auf Konzerte. Dazu stellen wir dir jedes Quartal die spannendsten Neuerscheinungen aus Österreich vor. Dazu gibt es Interviews mit heimischen Musikstars, -sternchen und Shooting Stars.
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Fotos: (c) Christian Orou/heldenderfreizeit.com
Der Chefredakteur der Wiener Alszeilen verfasst für heldenderfreizeit.com Buch-, Musik- und Spiel-Rezensionen, ist Video-Redakteur von CU TV und schreibt für das Musikmagazin Stark!Strom. Dazu berichtet er von Konzerten, Sport- und anderen Kulturevents und führt Interviews mit Stars und spannenden Persönlichkeiten.