Der Kultmusiker und inzwischen auch Schauspieler Voodoo Jürgens im großen Interview mit den Helden der Freizeit. Wie sein Film Rickerl entstand, das Besondere an der Wiener Beisl Kultur, warum er selbstzweifelnde Menschen schätzt und sich nicht Richtung Mainstream verbiegen muss. Dazu stellt er sich unserem Video-Wordrap.
von Patrick Meerwald, Susanne Gottlieb und Christoph König
Will man Wien und einem der das Wienerische so zelebriert in die Seele blicken – es gäbe wohl keinen besseren Ort als das Café Weidinger am Lerchenfelder Gürtel. Eines der letzten urigen Kaffeehäuser ist ein Unikat – ganz alte Schule und vor allem außen schon ziemlich heruntergekommen, aber ein kleiner Kulturschatz. Es zu betreten gleicht einer Zeitreise. Hinten spielen zwei Wahlwiener Billard, die Stiegen geht es zur Kegelbahn runter und der Nino aus Wien verabschiedet sich gerade mit einem leisen Serwas!
Auf einem der Bankerl sitzt sein Haberer Voodoo Jürgens in seiner typischen Einserpanier: Schicker Oldschool-Anzug, Schnauzer und Gnackmattn und bestellt sich an diesem Nachmittag noch einen weißen Spritzer. Er wirkt selbst ein bisschen wie ein Gesamtkunstwerk. Erstmal eine rauchen im Hof, wo es an diesem sonnigen Tag aussieht als hätten die Blätter im Spätherbst eine Konfettiparade veranstaltet.
Es sind auch bunte Zeiten für den 40-jährigen gebürtigen Tullner. Bei der Viennale feierte Rickerl mit Voodoo in der Hauptrolle seine Premiere. Ab 19. Jänner ist er österreichweit in den Kinos zu sehen. Es geht um einen Mann, der als Musiker in der Wiener Musikszene Fuß fassen will und gleichzeitig lernen muss, ein guter Vater sein. Adrian Goiginger hat dabei Jürgens Lieder als Vorlage genommen – dementsprechend viel Autobiographisches steckt drin. Wie sehenswert wir den Film finden, kannst du hier in unserer Rickerl-Review lesen.
“Schaut a bissl aus wie mein Einkaufszettel”, scherzt Voodoo als er unseren Fragen-Spickzettel für den Wordrap sieht. Da hat er mit uns über Tote, Torten, Ludwig Hirsch, Trinkvorlieben und mehr philosophiert (hier im Video nachzusehen). Im ausführlichen Interview erzählte uns der Sänger und Schauspieler von dem Film, seinen Faible für Selbstzweifler und seinen Zugang zur allmählich aussterbenden Beislkultur.
Voodoo Jürgens: Es ist so entstanden, dass der Adrian (Anm. Goiginger) auf meine erste Platte gestoßen ist, die er anscheinend viel gehört hat und die ihm auch getaugt hat. Dann hat er Kontakt zu mir aufgebaut und wir haben miteinander geschrieben. Aus der ersten Plauderei ist dann die Filmidee geworden.
Ich habe das Ganze quasi in der Hand gehabt, was da am Ende im Film landet und was nicht. Es ist uns auch nicht darum gegangen, eine Biografie zu machen oder so. Wir haben Jahre überlegt, was es für ein Film werden soll. Es war mal die Idee, die erste Platte in den Film zu verweben und eine Gschicht daraus zu machen. Davon sind wir aber wieder weggekommen. Wir haben uns auch oft hier im Café Weidinger getroffen, weil auch mein Studio nicht weit weg is. Ich habe ihm dann Anekdoten erzählt, die er mitgeschrieben hat. Bei sich zu Hause in Salzburg hat er dann Neufassungen selbst daraus gemacht. Wir waren permanent im Austausch.
Ich finde es immer sympathisch, wenn Leute Selbstzweifel haben und man nicht glaubt, dass jeder Schas, den man raushaut, gleich interessant ist.
Es ist immer so die Frage, wo der Punkt ist. Der Rickerl ist dann mehr derjenige, der es zu sehr oder zu lange rauszögert. Da leidet man auch, glaube ich, mit ihm mit und wünscht ihm, dass er endlich ins Tun kommt und sein Leben auf die Reihe bekommt.
Eigene Texte sind natürlich leichter. Weil ich da schon besser die Logik dazu herstellen kann. So viel Text, wie für Rickerl habe ich davor noch nie lernen müssen. Das war spannend für mich, weil es recht knapp wurde, bis ich die endgültige Fassung bekommen habe. Ich hatte knapp zwei Wochen nur Zeit das ganze Drehbuch zu lernen. Ich habe das mit einer Hilfe gemeinsam gemacht, die jeden Tag mit mir den Text gelernt hat und durchgegangen ist.
Es gab die Idee zum Film Nummern neu aufzunehmen und das hat sich dann irgendwie doch erst verlaufen. Ich mag es an und für sich, wenn Lieder mitwachsen und andere Wendungen nehmen. Es kommt natürlich immer drauf an. Es gibt die Situation, wo man bei einem Konzert ein bestimmtes Lied gerne hört und erwartet, wie man es kennt. Und dann ist es live total verwurschtelt. Das kann auch nervig sein. Trotzdem solidarisiere ich mich da mehr mit dem Künstler, der Lieder nicht immer gleich runterspielt.
Immer kann ich nicht sagen. Das wechselt echt ab. Da gibt es Songs, die erst immer wieder in den Hintergrund rücken. Später gräbt man sie wieder selbst aus und nimmt sie ins Live-Set wieder rein. Eine Konstante bei uns ist aber auf jeden Fall Drei Gschichtn aus dem Cafe Fesch. Das ist eine Nummer, die am Anfang und am Schluss gut funktioniert.
Schwierig, denn da gibt es sicher über 100.000 Sachen. Es ist das Schöne auf der Bühne, es in der Hand zu haben, was man zeigt und was nicht. Trotzdem hat man auch die Komponente vom Publikum, bei dem man nie sicher sein kann und nicht weiß, was kommt. Das kann auch unangenehm sein. Politische Sachen haben wir auf jeden Fall versucht rauszuhalten. Vielleicht aber sind irgendwann die Zeiten, dass selbst das notwendig ist.
Es ist auf jeden Fall ein Ort, der immer lebt. Es gibt leider immer weniger. Viele davon sterben und starben in den letzten Jahren. Irgendwie ist es auch in einem Beisl sehr familiär. Auch, wenn manchmal ein herberer Ton ist, wird sehr aufeinander geschaut. Man kümmert sich umeinander. Es sind sehr interessante Felder zwischen aggressiv und fürsorglich.
Das ist sicher so. Das liegt an mehr Faktoren. Mieten werden teurer, auch das Rauchergesetz spielt da mit. Vieles, wieso sich ein Beisl für Gastronomen nicht mehr auszahlt.
Ich schreibe keine Musik für Zielgruppen. Das ist das Schöne.
Ich mache Musik, die man den Leuten zumuten kann. Da muss ich auch nichts vereinfachen.
Ich kann auch von der klassischen Songstruktur abweichen. Es muss nicht immer Mainstream sein.
Es ist von Vorteil, würde ich sagen. Allgemein gültig soll das trotzdem nicht sein. Ich erfinde ja auch immer ein bisschen etwas dazu. Manchmal ist eine Geschichte nicht eins zu eins so, das gibt Freiheit. Es ist eine Kunst es zu schaffen, dass es so scheint. Bei Dialektmusik ist das sehr haglich.
Über die Jahre hat mich sehr die Musik von Tom Waits geprägt. Das hat sich auch in meiner Art Musik zu machen eingebrannt und mich nachhaltig sehr geprägt.
Folgt uns auch auf Instagram – da gibts diesen Voodoo Jürgens Wordrap! Unsere Filmkritik zu Rickerl könnt ihr hier nachlesen. Und wenn ihr wissen wollt, welche tolle neue Musik aus Österreich jedes Quartal erscheint – hier findest du unsere aktuelle Übersicht mit den besten neuen Scheiben.
Bei uns erzählen echte Größen aus ihrem tollen Erfahrungsschatz und von ihren spannenden Erlebnissen.
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Josh.: “Ich hatte keinen Bock mehr. Auf gar nichts!”
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Alle Fotos: (c) heldenderfreizeit.com
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