Ragnar ist weg, Leif kommt. 100 Jahre nach der Originalserie angesiedelt, folgt Vikings Valhalla diesmal dem Seemann Leif Erikson (Sam Corlett), seiner Schwester Freydís (Frida Gustavsson) und dem norwegischen Prinzen Harald (Leo Suter). Kann die Sequel-Serie auf Netflix am Erfolg des Originals anschließen? Unser Review.
von Susanne Gottlieb
26. Februar 2022: Die Geschichte von Ragnar, Björn, Lagertha, Ivar und all den anderen mag vielleicht vorbei sein. Aber Wikingergarn gibt es nach wie vor genug. Wie auch die eine oder andere Wikinger-Berühmtheit. Und wenn Ragnar nach England segelte, und sein Sohn Björn ans Mittelmeer, so dürfen wir uns bei Leif Erikson durchaus darauf freuen, ihn irgendwann einmal in “Vinland”, also entlang der nordamerikanischen Küste, landen zu sehen.
Bis dahin muss erst einmal mit einem weiteren England Feldzug Vorlieb genommen werden. Kann der was, und wie sind die neuen Figuren überhaupt? Wir verraten es dir in unserer Kritik. Und: Lies hier, was Netflix 2022 noch für dich bereit hält. Und das sind die Streaming- und Kino-Highlights, die du im März nicht verpassen solltest.
Viel hat sich getan seit die Wikinger einst in England landeten. Inzwischen haben sich unter dem Danelaw viele von ihnen entlang der englischen Küste niedergelassen und Dörfer gegründet. “Sie fühlen sich wie Einheimische”, stellt eine der Königswachen zu Beginn schon fest. Doch da weiß er noch nicht, dass der Angel-Sachsen König Aethelred II (Bosco Hogan) eigentlich etwas ganz anderes vorhat. Der Adel hat sich beschwert, man will die Wikinger aus dem Land haben. Denn, wie der alte Herrscher festhält, “Unkraut kann man nur auf eine Art reinigen”. So kommt es zum St. Brice Day Massaker.
In Skandinavien, im Reich der Wikinger, will man dieses Gemetzel nicht ungesühnt lassen. Der dänische König Canute (Bradley Freegard) und der norwegische Thronanwärter Harald (Leo Suter) trommeln Wikinger aus allen Teilen Skandinaviens zusammen. Doch bringt Herausforderungen mit sich. Die Zeiten von Ragnar und der Blutschuld sind vorbei, das Christentum hat sich unter den Wikingern breitgemacht. Deren Vertreter, wie Haralds Halbbruder Olaf (Jóhannes Haukur Jóhannesson) wollen mit den “Heiden” nichts zu tun haben oder sie gezwungenermaßen gleich konvertieren. Als gemeinsame Front gegen die Engländer, und Aethelreds Sohn Edmund (Louis Davison) und dessen Stiefmutter Emma von der Normandie (Laura Berlin) aufzutreten, erweist sich als fast unmögliche Aufgabe.
Zur gleichen Zeit landen auch die Geschwister Leif Erikson (Sam Corlett) und Freydís Eiríksdóttir (Frida Gustavsson) in Norwegen. Ihr Ruf ist weniger von der Vergeltung gegen die Engländer, sondern von einer persönlichen Blutsrache geprägt. Doch in ihrem heimatlichen Grönland ticken die Uhren noch langsamer, und ihre Rache löst unter den Anwesenden nicht mehr den Wohlgefallen von göttlicher Gerechtigkeit, sondern den Ruf nach Bestrafung aus. Die Herrscherin von Kattegat, Jarl Haakon (Caroline Henderson) bestimmt: Leif muss als Strafe mit den Wikingern nach England. Freydís hingegen wird ihre eigene Mission antreten.
Als Vikings einst 2012 auf dem kanadischen History Channel Premiere feierte, war es genau das: Ein Versuch, das Leben des Ragnar Lothbrok und seiner Söhne einigermaßen historisch genau nachzuerzählen. Natürlich mit fiktiven Ausschmückungen, aber die Kernpunkte waren da. Statt History Channel haben wir nun Netflix, statt Showrunner Michael Hirst nun Jeb Stuart. Zweiteres sollte an sich kein großes Problem sein. Stuart war immerhin Drehbuchautor bei Stirb Langsam und Auf der Flucht. Der Mann kennt sein Metier. Aber die Umsiedelung zu Netflix, das doch nach anderen Parametern funktioniert, macht sich sofort bemerkbar. Historisch ist schon mal alles durcheinandergewürfelt. Was natürlich den Machern mehr Raum zu bombastischen hollywoodesquen Erzählweisen und Actiondrama lässt – was dann letztendlich aber oft gegen die Serie arbeitet.
Obwohl Netflix es als “100 Jahre nach Ragnar” anpreist, spielt die Geschichte eigentlich fast 200 Jahre nach dessen Lebzeiten. Der Sprung geht vom 9. Jahrhundert ins 11. Jahrhundert, das 1066 mit der Eroberung der Normanen von England das Ende des Wikingerzeitalters ausruft. Aber so weit ist der Plot natürlich noch nicht. Vielmehr stellt es seine Schlüsselfiguren in Position – aber auch hier wurde kräftig getrickst. So sollte der edle Norwegerprinz Harald zu Beginn der Handlung ungefähr 1015 eigentlich gerade erst geboren sein. Leif und seine Schwester Freydís wurden ebenfalls nicht in der Invasion Englands unter einer gemeinsamen Flagge der Wikinger dokumentiert. Gerade in Bezug auf Freydís gibt es nur sehr wenig historisches Material, was bedeutet, dass die Autoren hier freie Hand haben , bis die Geschwister wohl in einer späteren Staffel in Nordamerika landen.
Ebenso ein Konglomerat aus dem aus Vikings übernommen fiktiven Dorf Kategatt und historischer Figuren ist Jarl Haakon. Stuart hatte sich, ob der reinen Erfindung der Figur, für eine Woman of Color entschieden – die schwedisch-dänische Sängerin und Schauspielerin Caroline Henderson. Bis auf eine kurze Anspielung auf ihre afrikanischen Vorfahren verzichtet die Serie aber darauf, dies allzu sehr inhaltlich hervorzuheben. Sie ist eine von ihnen, Gebieterin über Ragnars einstigen Heimatort. Vielmehr pusht die Serie die Geschwister, die fast ihr ganzes Leben in Grönland verbracht haben, als den klassischen Fisch auf dem Trockenen, die Außenseiter über die die Zuseher ihren Zugang zu dieser Welt erhalten. Dabei muss man aber anmerken, dass dafür, dass Leif und Freydís angeblich nie viel mehr als Grönland gesehen haben, sie sich sehr schnell und unproblematisch an die modernere Zivilisation anpassen können.
Doch Vikings Valhalla leidet nicht unter allzu viel Geschichtsadaption. Es ist inzwischen nur mehr auf reine Unterhaltung gepolt, und damit kann man leben. Auch die ständigen Versuche von irgendwem, via Duell oder Mord einen Vater oder sonstiges zu rächen, stören nicht. Wer nordische Mythen kennt, der weiß, dort finden sich fast nur solche Erzählungen. Vielmehr stört es, wie banal simpel Stuart und sein Autorenteam die Konflikte zwischen den Figuren aufbauen, wie moralisierend die Serie daher auch wirkt. So verbringt die Handlung einen Gutteil der ersten drei Folgen damit, dass sich die Wikinger aufgrund ihres Glaubens – Odin versus Christus – immer wieder an die Gurgel gehen. Irgendwann hat es dann auch der letzte im Raum verstanden, dass hier ein mahnender Finger gegen Zeloten erhoben, und eine Faust aufs Aug Parabel für ein friedliches Miteinander aufgedrängt wird. Das ist nicht nur auf Dauer redundant, das schmälert leider auch den Unterhaltungswert.
Verschlimmert wird das noch durch die schablonenhafte Zeichnung der Figuren. Ragnar, Floki und Björn mögen die Protagonisten gewesen sein mit denen man sich identifiziert. Aber sie waren nie Heilige oder durch die Bank moralisch hochtrabende Vertreter ihres Volks. Vikings Valhalla macht es sich zu einfach. Leif ist ein naiver “Landbub” mit einem Herz aus Gold, bei den Christen gibt es den durchaus einfühlsamen aber zielstrebigen Harald, der für Toleranz eintritt, und den zwielichtigen Olaf, der natürlich alle Heiden konvertieren und missionieren will. Hier fehlt die Feinfühligkeit für komplexe Charaktere, für das Zusammenspiel der guten und schlechten Seiten einer Person.
Wie will Vikings Valhalla die Botschaft “Toleranz für alle”, umso mehr dann später in Nordamerika mit den Natives, so aggressiv pushen, wenn es keine realistischen Szenarien schafft? Wenn die Lösung zu sein scheint, einfach die individuellen bösen Christen loszuwerden? Denn genau das ist es, was die Serie vom Vorgänger unterscheidet. Statt einer vielschichtigen Charakterstudie um Macht gepaart mit Geschichtsunterricht gibt es nun standardisierte Hollywood-Ware. Und das macht einfach weniger Spaß.
Vikings Valhalla beginnt mit viel optischen Bombast und “easy on the eye” Hauptdarstellern, wirkt aber im Gegensatz zu seinem Vorgänger wie allgemeine Hollywood-Action-Historien-Ware.
In unserem Seher-Bereich findest du noch mehr Reviews zu aktuellen Filmen und Serien – im Kino oder Stream. Aber auch die besten Empfehllisten und Monatsvorschauen für Netflix und Co.:
The Batman – Review: Altbekanntes, optisch schick verpackt
Diese Kino- und Streaming-Highlights kommen im März
Netflix im März – dein ultimativer Programm-Guide
Die 44 besten Netflix-Serien im Ranking
Die besten Fantasy-Serien bei Netflix, Prime und Sky
Fotos: (c) Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.