Regisseur Adam McKay hat eine Mission. Rund um einer der Hauptakteure, den ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney (Christian Bale), baut er seine Dekonstruktion des radikalen politischen Wandels der USA ab den 70er Jahren und Post-9/11 auf. Warum diese schonungslose Abrechnung nicht aufgeht, lest ihr in unserer Filmkritik.
von Susanne Gottlieb, 23. 2. 2019
Was kann ein einzelner machtsüchtiger Mann alles anrichten? Er kann helfen die Mittelklasse zu zerstören, populistische Medien zu pushen und ungewollt die politische Basis für ISIS schaffen. In seinem neuesten Film Vice rechnet Adam McKay mit dem langjährigen Abgeordneten und ehemaligen Vizepräsident Dick Cheney ab. Jener Cheney, der schon unter Nixon im Weißen Haus diente und maßgeblich zu der Legitimierung der „Unitary executive theory“ beigetragen hat. Das ist die Theorie, dass der Präsident das Recht hat, die ganze Exekutive zu kontrollieren.
Dass der machtpolitische Generalumschlag eines Mannes, von dem viele sagen er habe eigentlich die USA in den Bush-Jahren regiert (und nicht George W. selber) durchaus spannend ist, versteht sich von selbst. Die Wahl, das Ganze in eine teils surreale Mixtur aus Drama und Komödie zu verwandeln, ist typisch für McKay. Immerhin zeichnet er sich für die Komödien Anchorman oder Stepbrothers und dem in die selbe Kerbe schlagenden The Big Short über den Börsencrash 2008 verantwortlich.
Warum der Film, der heute bei uns im Kino startet, trotzdem an seinem Ausgangsmaterial scheitert, lest ihr in unserer Kritik.
Vice verfolgt die Anfänge des jungen Dick Cheneys (Christian Bale) in seinem Heimatort Casper, Wyoming bis zum Ende seiner Amtszeit unter George W. Bush (Sam Rockwell). In den 60ern noch ein Collegeabbrecher und Trunkenbold, wird er von seiner Ehefrau Lynne (Amy Adams) vor die Wahl gestellt wird, entweder bekommt er sein Leben in den Griff oder sie geht. Ein paar Jahre später hat sich Cheney vom Praktikanten für Donald Rumsfeld (Steve Carrell) zum Staff Mitglied im Weißen Haus hochgearbeitet. Gerade als er beginnt sich für die Machtbefugnisse des Präsidentenamts zu interessieren, werden die Republikaner abgewählt. Cheney landet in der Privatwirtschaft.
Hier suggeriert McKay bereits mit einem gefakten Abspann, dass Cheney ein erfülltes und für seine Mitmenschen unbedrohliches Leben hätte führen können. Doch dann klingelt eines Tages das Telefon und Bush schlägt vor, dass Cheney sein Running Mate um das Präsidentenamt werden soll. Cheney, der wegen seiner lesbischen Tochter Mary (Alison Pill) Bedenken hatte selber anzutreten, wittert seine Chance. Bush ist grün hinter den Ohren und würde viel Macht an ihn abtreten. Macht die er seit jungen Jahren anstrebt. Und so beginnt er gemütlich mit seinem Team das Amerika des 21. Jahrhunderts nach seinen Vorstellungen umzubauen. Die Konsequenzen sind in der Umweltpolitik und im Nahen Osten noch heute zu spüren.
Was für ein Reichtum an amerikanischer Geschichte. Und was für eine vergebene Chance eine packende Inszenierung daraus zu machen. Gewiss, McKay lässt in Vice keine Steine unberührt. Er dreht sie nach der Reihe um, um zu zeigen wie ein Netz aus konservativen, reichen Männern Amerika in die Krise stürzt. Nicht nur in eine finanzielle und politische, sondern auch in eine ethische. Das ist zwar spannend, kann sich aber im gewählten Format nicht ganz entfalten.
Die Mischung aus Satire, Dokumentation, Drama, Surrealismus, Schulvideo und einem Hauch von Sketch Format ergibt kein stimmiges Bild. Die Darstellung Cheneys als machtgieriger Politiker spricht auch nicht für sich selbst. Sie wird vom Film immer in einem Metakontext unterstrichen, der teilweise fast schon aggressiv wirkt. Wenn die Cheneys Shakespeare Bösewichte rezitieren, um ihre dunklen Pläne vorausahnen zu lassen oder Alfred Molina als Kellner die Verletzung der Menschenrechte wie ein Menü vorliest, ist das witzig. Aber es ist nicht dienlich.
Irgendwie ist man sich bei Vice nie sicher: Macht sich McKay über die Männer lustig, hat er Angst vor ihnen oder schreit er aus Verzweiflung? Da hilft es auch nicht, dass Carrell teilweise wie eine Karikatur wirkt und Sam Rockwell wie ein verirrter Cowboy auf einem breiten texanischen Akzent herumkaut und Rippchen isst.
Der Film ist außerdem schwerstens mit Infos überladen, die von Cheney und seiner Figur ablenken. McKay will das ganze verwinkelte Netzwerk aufzeigen, verliert aber dadurch immer wieder den Fokus. Es wäre wohl fast sinnvoller gewesen, hier eine humoristische Doku zu drehen, als dauernd Abstecher zu sämtlichen Nebenfiguren oder Gastauftritten, wie etwa dem Gründer der populistischen Fox News, zu machen.
Manche Stränge bleiben auch auf der Strecke. Als der Zuschauer endlich erfährt, wer der mysteriöse Erzähler Kurt (Jesse Plemons) ist, schließt sich vielleicht erzählerisch ein Kreis. Die Notwendigkeit diese Figur aber überhaupt zu zeichnen geht aus dem Film nicht hervor.
Wer noch ein wenig über amerikanische Geschichte lernen will und seine Erinnerungen an 9/11, Afghanistan und Irakkrieg auffrischen will, wird hier gut bedient. Als Stich gegen die Männer in Washington ist die Klinge vielleicht zu stumpf oder wird, gemäß der unsteten Natur des Films, nicht tödlich eingesetzt.
Weitere tolle Filmvorschläge gibt es in unserer Seher-Rubrik mit den neuesten Kino- und Netflixempfehlungen. Mit Reviews zu vielen oscarprämierten Produktionen:
Alle Fotos: © Constantin Film
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.