Nach einer Reihe von Wien-Krimis zieht es Lukas Pellmann in seinem neuesten Buch ans Meer – das Meer der Wiener. Die eigentlich ruhige Freistadt Rust (und Umgebung) ist Kulisse für den humorvollen Krimi Tod am Neusiedler See.
Eine Kritik von Peter Marius Huemer. Der freie Schriftsteller stellt euch in “Peters Buchtipp” jeden Monat ein außergewöhnliches Werk vor.
25. September 2022: Nikolaus Lauda kehrt nach sieben Jahren im Ruhrgebiet nach Österreich zurück. Jedoch zieht es ihn nicht in seine Heimatstadt Wien, sondern nach Rust, wo er sich im Bahnheiserl, dem Kindheitsheim seiner verstorbenen Frau, niederlässt. Ganz freiwillig ist seine Repatriation aber nicht. Er hat sich in Deutschland mit der Mafia angelegt und die hat es nun auf ihn abgesehen. Besser untertauchen und erst einmal Gras über die Sache wachsen lassen. Der Ex-Polizist kann sein Exil am Neusiedler See aber nicht lange genießen. Kaum ist er angekommen, passiert auch schon ein Mord.
Eine bekannte Lokaljournalistin wird des Nachts im Steinbruch erschlagen. Im ruhigen Rust kommt sowas nicht alltäglich vor. Die Polizei hat aber schnell einen Verdächtigen parat. Den gerade erst aus der Bundesrepublik eingereisten Ex-Polizisten Nikolaus Lauda, der eigentlich nur für ein paar Tage in Rust untertauchen wollte, um ein wenig Atem zu schöpfen. Alibi hat er keines, aber auch kein Motiv, was die lokale Polizei aber nicht stört. Da bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich selbst um die Ermittlungen zu kümmern. Glücklicherweise bietet ihm der Bruder der Ermordeten gleich an, ihn dafür zu bezahlen. Also muss unser Protagonist sich in die Ruster Gesellschaft stürzen.
In Rust kennt jeder jeden und jeder weiß über irgendwen etwas zu berichten. Auch Eisenstadt ist keine Metropole, also sind auch dort alle relevanten Personen rasch ausgemacht. An Einstiegspunkten mangelt es also nicht und ein paar potenziell Verdächtige finden sich schon. Da wäre beispielsweise der Ehemann. Ein schrulliger Esoteriker, der der Tragödie doch etwas zu gelassen begegnet. Oder der Bauunternehmer, dem im Burgenland scheinbar alles gehört und der an einem fragwürdigen Hotelbau arbeitet. Auch die Polizei selbst ist nicht unverdächtig, denn man versucht arg verbissen, dem Neuankömmling den Mord in die Schuhe zu schieben. Aber wenn alle ein wenig verdächtig sind, ist irgendwie niemand verdächtig und so macht sich Lauda daran, die komplexen Verwandtschafts-, Geschäfts- und Liebesverbindungen der Ruster zu entwirren.
Unser Protagonist Nikolaus Lauda ist ein schlagfertiger, recht abgebrühter und vor allem übermütiger Ex-Polizist. Ein, wie er selbst sagt, Meister der Improvisation ist. Er denkt nicht lange über seine Entscheidungen nach. Kurz entschlossen stimmt er zu, zu ermitteln und genauso schnell bringt er sich auch in Schwierigkeiten. Dabei verlässt er sich des öfteren eher auf Glück als auf Verstand. Viele seiner Abenteuer gehen nur aufgrund größtmöglicher Unwahrscheinlichkeiten gut und er erreicht seine Ziele hin und wieder wie ein Blinder, der über einen Goldschatz stolpert. Passend zu seiner spontanen Natur rasen auch seine Gedanken regelrecht. Zu jeder Person und jeder Situation spult er in Gedanken (mehr oder weniger) intelligente, ironische und hin und wieder schräg-metaphorische Kommentare ab.
Als Lesende schwimmen wir durch diese Flut, die immer unterhaltsam, aber selten philosophisch wertvoll ist – was aber dem Charakter gut zu Gesichte steht. Auch außerhalb des eigenen Kopfes ist Lauda um keinen Spruch verlegen. Er hält sich scheinbar für sehr schlagfertig und kommt damit durch, weil die meisten seiner Gesprächspartner ihn entweder gewähren lassen oder ihm auf wundersame Weise unterlegen sind. Das ist unterhaltsam und macht den Charakter aus – wäre der Roman aber nicht weitgehend humoristisch angelegt, müsste man an der Plausibilität der Ermittlungserfolge zweifeln.
Da kommen wir schon zum Kern eines jeden Krimis: der Fall. Obwohl der Mord und die damit einhergehenden Ermittlungen den Plot bedingen und vorantreiben, ist es er nicht der emotionale Kern des Buches. Das Mordopfer bleibt weitgehend undurchsichtig und eindimensional, genauso viele Nebenfiguren, die in direkter Verbindung mit dem Fall stehen. Ohne zu viel verraten zu wollen: Das bleibt auch bis zum Ende so.
Einige Charaktere, die dann doch eine zweite Dimension spendiert bekommen, haben mit der Krimihandlung nur am Rande zu tun. Die Ermittlungen gehen zwar rasant dahin und man fliegt nur so durch die Szenen, aber wirkliche Emotionen mag der Fall nicht zu wecken. Dazu trägt der ungebrochen unernste Ton des Romans bei. Dem Tod fehlt das Gewicht – das müssten die Charaktere erzeugen, aber sie tun es nicht. Dann bliebe noch die Hoffnung, dass der Fall und die Ermittlungen mit ihren Querverbindungen, falschen Fährten und Twists, einen bei der Stange halten und so spannend sind, dass es, auch ohne Emotionen zu erzeugen, interessant ist, herauszufinden, wer denn nun wirklich der Mörder ist. Das gelingt nur bedingt.
Es braucht also einen anderen Anziehungspunkt und den gibt es durchaus – sogar zwei: Erstens der Protagonist, der trotz seinen menschlichen Schwächen und fragwürdigen Ermittlungsmethoden einfach sehr liebenswert rüberkommt und dessen Vergangenheit eine gewisse Zugkraft hat. Zweitens die Bühne, auf der das Schauspiel sich abspielt. Rust, das Burgenland, der Rand der österreichischen Welt und die Menschen mit ihren Bräuchen und kollektiven Eigenarten. Auch wenn die einzelnen Nebencharaktere selten drei Dimensionen erreichen, sind sie als Essemble, als “die Ruster”, eine lebendige und nicht unglaubwürdige Figur. Mit Witz und viel Liebe beschreibt Pellmann diese Welt und webt authentisch die reale Geografie und die realen Umstände in die Erzählung ein. Er transportiert eine durch und durch positive Perspektive auf seine narrative Welt und alles böse und schlechte prallt scheinbar an dieser Atmosphäre ab.
Tod am Neusiedler See von Lukas Pellmann ist ein spaßiger und kurzweiliger Krimi. Trotz gewisser Schwächen ist er für Freunde nicht ganz bierernster Kriminalromane, die vor allem nach Witz und Dynamik (und einer guten Portion Lokalkolorit) suchen, genau das Richtige.
Tod am Neusiedler See (emons) von Lukas Pellmann ist überall im Handel und online erhältlich.
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Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.