Thomas Bernhard war einer der größten und wichtigsten Schriftsteller Österreichs und des gesamten deutschen Sprachraums. Heute wäre er 90 Jahre alt geworden. Ein Thomas Bernhard Portrait zum Jubiläum – was ihr zu seinem Leben, Werk, Kritikern und Stil wissen müsst.
von Peter Huemer
9. Februar 2021: Als Thomas Bernhard vor 32 Jahren in seiner Wohnung in Gmunden an Herzversagen starb, verlor Österreich einen seiner wichtigsten Künstler. Bernhard hielt dem österreichischen Selbstverständnis einen Spiegel vor, konfrontierte das Land mit seiner tiefsitzenden Heuchelei und verarbeitete gleichzeitig seine eigenen Traumata auf eine Art und Weise, die in der Literatur ihresgleichen sucht.
In unserem Thomas Bernhard Portrait wollen wir versuchen ein facettenreiches Bild dieser hochinteressanten Persönlichkeit zu zeichnen. Im zeitgenössischen Gedächtnis vieler hat er sich durch seine kontroversen literarischen Tiraden und zu seiner Zeit oft skandalösen Werke festgesetzt. Aber in der Person und dem Schaffen Bernhards steckt noch viel mehr.
Thomas Bernhards frühe Kindheit und Jugend sollten das Werk und das Weltverständnis des Schriftstellers prägen. Zwar nicht unbedingt autobiografisch sind seine Bücher und Stücke, aber immer auch Teile eines endlosen Verarbeitungsprozesses. Seine Mutter schickte ihn aus den Niederlanden, wo er geboren worden war, zu seinen Großeltern nach Österreich. Später sollte Bernhard diese Zeit als die schönste in seinem Leben bezeichnen. Danach kam er durch eine Verwechslung in ein nationalsozialistisches Erziehungsheim. Der Aufenthalt dort war von Unterdrückung, Gewalt und seelischer Misshandlung geprägt und hinterließ tiefe psychische Narben in dem jungen Bernhard.
Seine schriftstellerische Laufbahn begann erst nach dem Tod des Großvaters und der Mutter und nachdem er selbst beinahe an einer tuberkulösen Rippenfellentzündung gestorben war. Zuerst veröffentlichte Bernhard noch unter einem Pseudonym. Den späteren Werken unter seinem echten Namen wohnte stets neben seinen berüchtigten Tiraden immer auch das unausweichliche Thema des Todes und der Krankheit inne. Er entwickelte sich über die 1950er Jahre zu einem Fixpunkt der österreichischen Literatur und hat diesen Platz bis heute inne.
Thomas Bernhards literarischer Stil ist nicht leicht in einfache Worte zu fassen. Er lässt seine Protagonisten sich in ihren eigenen Gedanken verbeißen, sie immer und immer wieder um sich selbst rotieren, bedient sich schier endloser Wiederholungen, lässt sie sich widersprechen, sich in eine Sache hineinsteigern, lässt sie innerlich wüten. Das alles setzt er meist in einen eher statischen Handlungsrahmen. Die Protagonisten sind vereinsamt oder fühlen sich fehl am Platz, selbst in Gesellschaft gehören sie nicht dazu.
Dabei sind sie aber nicht schwach, sondern nehmen eine Position der Überlegenheit ein, urteilen über Menschen und Situationen und sezieren die Schwachstellen der Gesellschaft und ihrer Mitmenschen gnadenlos und pointiert übertrieben. Nur sich selbst sind sie unterlegen. Ihre eigenen Standards erdrücken sie und machen ihnen die Welt noch unerträglicher. Dieser Stil bildet oft endlos lange Sätze und fädelt Monolog an Monolog, bis man als Lesender in Trance gerät, als würde man vom Text hypnotisiert. Man wird unaufhaltsam in die Gedankenwelt der Protagonisten hineingezogen.
Bernhards Literatur wurde aber nicht nur genossen und mit Wohlwollen gelesen, sondern erregte auch die Gemüter. Vor allem einflussreiche Kunst-Funktionäre, Politiker und einige Promis waren mit so manchem kritischen Werk, der Wortwahl, den aggressiven, aber treffsicheren Übersteigerungen nicht einverstanden. Einige glaubten, sich selbst sogar in Figuren auf wenig schmeichelhafte Weise wiederzuerkennen und es hagelte nicht selten Klagen. Die Kontroversen kulminierten mit dem Stück Heldenplatz, dessen Thematik (der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland) allein schon für Aufregung sorgte. Trotz aller Bemühungen konnte man nicht verhindern, dass das Stück aufgeführt und zum Hit wurde.
Auch die Kritiker seiner Zeit taten sich schwer mit Bernhard. Obwohl allen der literarische Wert seines Schreibens klar war, überforderte es und löste des Öfteren auch Unverständnis aus. Der wohl damals wichtigste Literaturkritiker des deutschen Sprachraums Marcel Raich Ranicki sagte beispielweise über seinen Umgang mit Bernhards Literatur: „Ich war fasziniert, gewiss, aber in noch höherem Maße irritiert. Ein ganz großes Talent? Ich war meiner Sache nicht sicher.“ und „Ich fürchtete, seiner Prosa nicht gewachsen zu sein.“ Gerade diese Ambivalenz sollte es sein, die eine endlose Auseinandersetzung und Faszination einer Heerschar an KritikerInnen und WissenschaftlerInnen mit Bernhard zur Folge hatte.
Eine Auswahl aus Bernhards Lebenswerk zu treffen und diese dann als seine größten Werke zu titulieren, kann der Realität natürlich nicht gerecht werden. Diese Auswahl soll deshalb nur als grober Überblick verstanden werden und als kleiner Einblick und Einstieg in das Schaffen des Jahrhundert-Schriftstellers.
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Fotos (c) Thomas Bernhard Nachlassverwaltung, Monozigote
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.