Eine weibliche Elitekampftruppe wird in The Woman King zum letzten Widerstand gegen den florierenden Sklavenhandel in Westafrika. Eine starke Geschichte über Schwesternschaft, Rache und weibliche Selbstbestimmung. Unser Kritik zum neuen Herbst-Blockbuster.
von Susanne Gottlieb
6. Oktober 2022: Eigentlich hat man das alles schon mal gehört. Weibliche Soldatinnen, die darauf trainiert sind König und Königreich zu schützen und es mit jedem Gegner von außen aufnehmen können. Doch hier handelt es sich nicht um den neuesten Film aus der Black Panther Reihe von Disney. Nein. Es geht um die historisch nachgewiesenen Agojie. Eines der wenigen historisch dokumentierten weiblichen Militärregimente weltweit. Von 1600 bis 1904 beschützte es im ehemaligen Königreich Dahomey seinen Herrscher und die Lande. Als Produzentin Maria Bello bei einer Afrikareise von diesen “Amazonen” hörte, schlug sie die Idee sofort der Schauspielerin Viola Davis vor. Nun darf diese als Generälin Nanisca gegen Sklavenhändler in den Kampf ziehen.
Lohnt sich der Film also? Wenn man von einigen historischen Ungenauigkeiten absehen kann, ist es ein sehenswertes, bildgewaltiges Epos, das den sonst so männlich dominierten Blockbustern um nichts nachsteht.
Was noch im Kino Neues kommt, findet ihr übrigens hier in unserer praktischen Monatsübersicht mit Top-Empfehlungen von Susanne. Gerade startet: Triangle of Sadness – hier unsere Review.
Generälin Nanisca (Davis) ist im Jahr 1823 nicht nur mit ihren Kriegerinnen – darunter Izogie (Lashana Lynch) und Amenza (Sheila Atim) – darauf trainiert, König Ghezo (John Boyega) zu beschützen. Sie sind auch mit der Situation konfrontiert, dass das Oyo Imperium unter General Oba Ade (Jimmy Odukoya) in ihren Landen immer wieder Menschen entführt, um sie an europäische und amerikanische Sklavenhändler für guten Profit zu verkaufen. Nach einer weiteren Befreiungsaktion bittet Nanisca den König darum, nicht mehr mit diesen Menschen zu handeln, sondern die Schulden beim Oya Imperium mit alternativen Waren zu zahlen.
Gleichzeitig beginnt auch die junge Nawi (Thuso Mbedu), deren Eltern ihr keinen Ehemann vermitteln konnten, eine Ausbildung zur Agojie im Palast. Ihre generell sehr willensstarke und unabhängige Art ist Nanisca sofort ein Dorn im Auge. Aber Nawi beweist sich immer wieder mit ihrer Intelligenz und ihrem Kampfgeist. Das ist vor allem nötig, als die Oyo unzufrieden darüber sind, dass sie statt Sklaven nur mehr Palmöl erhalten. Dazu warnt der brasilianische Sklavenhändler Santo Ferreira (Hero Fiennes Tiffin) den König, dass das Ende des Handels als Zeichen von Schwäche gewertet werden könnte. Nun obliegt es allein den Agojie, hier eine klare Grenze zu ziehen, bevor ihr Volk weiter verschleppt werden kann.
Wer einen frühherbstlichen Blockbuster gesucht hat, der hat ihn hier gefunden. Gefilmt von einem fast rein weiblichen Team ist The Woman King nicht nur große Popcorn-Unterhaltung. Er ist auch ein Film über Schwesternschaft und weibliche Selbstbestimmung. Die historischen Fakten, dass Dahomey und König Ghezo sich aus dem Sklavenhandel zurückziehen wollten, stimmen zwar nicht ganz, aber das ist für die Botschaft nicht allzu wichtig. Im Kern ist The Woman King nämlich auch ein spannend inszeniertes Fantasie-Rachedrama. Um Menschen in Ketten zu legen, muss man sie erst überzeugen, dass das ihr Schicksal ist, erklärt der König an einer Stelle seinem Volk. Hier nimmt die Bevölkerung diesen Handel nicht so einfach hin. Bestraft die Fremden, die sich bereichern kommen und jene vor Ort, die kollaborieren.
Neben der spannenden Geschichte ist es auch die Welt, die Regisseurin Gina Prince-Bythewood und ihr Team schaffen, die aus dem Film hervorstechen. Mit viel Liebe zum Detail und für afrikanische Kulturen werden hier farbenfrohe Kostüme geschaffen, authentische Haarstile getragen und viel Musik und Musizieren eingebaut. Eine Kultur, die es nicht zu oft auf die große Leinwand schafft und nichts zu tun hat mit dem kolonialen Blickwinkel, dem so populären Elend, dass man sonst in westlichen Produktionen findet. “Sie sehen unsere Schönheit nicht”, erklärt Nawi dem biracial Brasilianer Malik (Jordan Bolger) über die weißen Kolonialisten. Und damit hat sie recht. Es sind die Dahomey Kriegerinnen und ihre Anmut, an der sich alles andere messen muss.
The Woman King ist ein unterhaltsamer, lehrreicher und einfühlsamer Actionritt im Kino, den man nicht nur für seine hervorragenden Darstellerinnen, sondern auch für das herausragende Production Design und die Immersion in eine afrikanische Kultur sehen sollte.
In unserem Seher-Bereich gibt es Reviews zu den bereits erschienenen Filmen, aber auch Vorschauen, Kritiken und Bestenlisten zu den Highlights der Streamingportale:
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.