Unter Fantasy-Lesern ist die The Witcher Buchreihe aus der Feder von Andrezej Sapkowsky schon seit dem Beginn der 90er Jahre bekannt. Spätestens aber mit der Spielereihe von CD-Project erhielt der Hexer Geralt auch seinen Platz in der breiten Öffentlichkeit. Netflix hat sich der monumentalen Vorlage angenommen und bringt den Videospiel-Hit nun im Serienformat an den Start.
21. Dezember 2019: Geralt von Riva ist ein Witcher (Hexer), ein durch Magie erschaffener Mutant. Seine Art ist auf dem ganzen Kontinent als Monsterjäger bekannt. Während er von Ort zu Ort zieht und dabei unliebsame Kreaturen abserviert, ist die politische Situation zwischen den Königreichen prekär. Krieg steht vor der Tür. Außerdem schmiedet ein Bund von Zauberern im Hintergrund so manchen geheimen Plan.
Auf Netflix ist Staffel 1 der Serie gerade online gegangen. Wir haben die Staffel schon komplett gesichtet und verraten euch, ob Geralt und Co. auch als Serienhelden eine gute Figur machen.
Übrigens: Auch Staffel 2 ist bereits online. Hier unser Review. Die Vorgeschichte von The Witcher erfahrt ihr im neuen Prequel Blood Origin (hier unser Urteil zur Miniserie). Und wie gut die ersten neuen Folgen der 3. Staffel sind, können wir euch hier in unserer Kritik zu Ausgabe 1 bereits verraten.
Die Handlung von The Witcher wird auf mehreren Erzählebenen präsentiert, die erst im späteren Verlauf der Staffel in Berührung kommen. Der Clou dabei ist, dass jede Folge auf Geralts Erzählebene einer halbwegs abgeschlossenen Kurzgeschichte ähnelt. So wie das auch in den ersten Büchern der Fall ist. Das sorgt neben den eher langsamer erzählten Ebenen der anderen Figuren für jede Menge Action. Die beiden anderen Erzählstränge folgen der jungen Prinzessin Ciri, deren Heimatland im Konflikt mit dem Kaiserreich Nilfgaard steht und Yennefer (zu Beginn noch Zauberschülerin).
Positiv fällt die thematische Verbindung der Handlungsstränge in jeder Episode auf. Es werden nicht einfach zwei Geschichten zusammengeflickt. Es gibt immer geteilte Motive, Emotionen und Entwicklungen. Trotz der Stückelung in der Handlung schreitet der Plot angenehm flott voran, ohne dabei gehetzt zu wirken. Zwar hätte Geralt sich in der einen oder anderen Folge ein paar Minuten mehr verdient, aber das fällt neben der Qualität der Handlung nicht zu negativ in Gewicht. Außerdem gibt sich The Witcher (dem Quellmaterial zu verdanken) deutlich fantastischer als beispielsweise Game of Thrones. Magie und spannende Monster sind, ebenso wie Motive aus Märchen und Sagen, allgegenwärtig und großartig umgesetzt.
Gefährlich und brutal, aber nicht hoffnungslos. So präsentiert sich die Welt in The Witcher. Optisch ist es eine Netflix-Serie der Extreme. Wenn etwas düster und grau ist, dann glaubt man ein paar Minuten einen Schwarzweißfilm zu sehen. Wenn es magisch und fröhlich zugeht, dann ist die Welt in die buntesten Farben getaucht. Das verstärkt noch einmal die Märchenthematik der Handlung. Die Stilentscheidung gibt der Serie ihre eigene Identität.
Selbst wenn die Handlung von Königen, Adeligen und Intrigen erzählt, ist das Geschehen kaum mit anderen großen Fantasy-Serien zu verwechseln. The Witcher bemüht sich nicht eine historisch authentische Mittelalterwelt zu zeichnen. Stattdessen ist alles extrem hochstilisiert, was Freiraum für tolle Designs (die furchtbar hässliche Rüstung aus Nilfgaard ist eine negative Ausnahme) und kreative Szenegestaltung bietet. Obwohl die Serie erwachsen und ernsthaft ist, bringt sie einen zum Staunen und hat immer starken Charakter.
Außerdem gibt es in The Witcher auch genug zu lachen. Geralts trockener und zynischer Humor ringt einem, wie man es aus Buch und Spiel schon gewöhnt ist, immer wieder ein Lächeln ab. Auch die Nebencharaktere tragen ihren Teil dazu bei. Allen voran der erstaunlich modern und jung angelegte Barde Jaskier (in den Spielen: Dandelion bzw. Rittersporn). Sein überbordendes Selbstvertrauen und die dazu im Kontrast stehende Unbeholfenheit waren immer schon ein Markenzeichen der Vorlage. In der Serie steht er Geralt bei manchem Abenteuern zur Seite … oder doch eher als Hindernis im Weg. Und sorgt gleich einmal für ein paar penetrante Ohrwürmer.
Gelungenes Casting ist bei einer Geschichte, die vor allem von ihren ikonischen Figuren getrieben wird, besonders wichtig. Jeder Fan der Bücher und der Spiele hat das Bild von Geralt vor Augen. Diese Aufgabe hat man fast in jedem Fall mit Bravour gemeistert. Henry Cavill ist als Geralt die perfekte Wahl. Er ist symphatisch, seine körperliche Präsenz ist beeindruckend und sein Charisma trägt jede Szene. Er schafft es sogar, die Stimme Geralts aus den Videospielen fast exakt zu übernehmen, ohne dass es erzwungen wirkt. Das ist besonders wichtig, weil viele Fans nach 300 Spielstunden stark an Geralts Tonfall gewöhnt sind und sich wohl damit schwer täten, etwas ganz anderes zu akzeptieren.
Auch der Rest der Hauptdarsteller macht seine Sache gut. Anya Chalotra zeigt als Yennefer vor allem mit dem Wandel ihres Charakter spielerische Flexibilität, während Freya Allan als Prinzessin Ciri großartig naiv aber trotzdem clever daherkommt. Die kleineren Rollen sind ebenfalls toll besetzt und einige reißen so manche Szene oder sogar ganze Episoden stellenweise an sich. Hier muss Jodhi May als Königin Calanthe (Ciris Großmutter) erwähnt werden und Jaskier alias Dandelion, der von Joey Batey gemimt wird. Einzig Anna Schaffer als Triss Merigold wirkt in ihren Dialogen (nicht in ihrem Äußeren) etwas unsicher. Vor allem in ihrer ersten Szene will ihre Aussprache und ihre ganze stimmliche Haltung nicht so richtig ins Bild ihres Charakters passen.
In einer Story über einen Monsterjäger dürfen natürlich auch die gruseligen Kreaturen nicht fehlen. Davon gibt es schon in den ersten fünf Episoden genug. Riesenspinnen mit Babygesichtern und andere Fabelwesen erinnern in ihrem Design an Kreationen aus Filmen von Guillermo del Toro. Das liegt auch am Einsatz von Puppen und Kostümen. Nur wenn die Monster aus dem Computer kommen, was sich in manchen Szenen nicht vermeiden lässt, sieht man dem Gezeigten leider an, dass es mit einem Serien-Budget enstanden ist.
Das soll aber nicht heißen, dass die Effekte schlecht sein. Sie gehören zum Besten, was es in Serien zu sehen gibt. Nur hinter den epischten Folgen von Game of Thrones muss sie sich anstellen (dafür ist die Geschichte besser). Nichts zu mäkeln gibt es an den Sets und an den computergenerierten Landschaften. Die sind erste Klasse. Überhaupt ist die Qualität der Produktion auf sehr gutem Niveau. Auch wenn so manches einen leicht trashigen Charme verbreitet – der ein wenig an alte Fantasy-Serien wie Xenia oder Hercules erinnern mag.
Nach der ersten Staffel von The Witcher will man mehr. Wie die Serie es schafft, trotz einer etwas kleinteilig gestückelten Handlung Spannung aufzubauen und zu halten, ist großartig. Dafür sorgen vor allem die toll geschriebenen Charaktere (und ihre herausragenden Darsteller) und die gute Balance zwischen den Handlungsträngen. Die Welt von The Witcher zieht einen, wie schon in den Büchern und Spielen, in ihren Bann. Höchstens könnte man bekriteln, dass die Episoden nicht noch länger sind, weil alles manchmal sehr rasant erzählt wird und es so mitunter etwas gehetzt wirkt. Ob das in Staffel 2 besser wird, erfährst du hier in unserem Review zur Fortsetzung.
Die besten Netflix-Serien: Die Top-44 im ultimativen Ranking
Und hier weitere Kritiken zu Netflix-Serien auf einen Blick – in alphabetischer Reihenfolge:
After Life (Staffel 1)
Better Call Saul (Erste 33 Folgen)
Black Mirror (Staffel 5)
Black Summer (Staffel 1)
BoJack Horseman (Staffel 5)
Criminal
Dark (Staffel 2)
Dark Crystal: Age of Resistance (Staffel 1)
Der Pate von Bombay (Staffel 1)
Derry Girls (Staffel 1 und 2)
Disenchantment (Staffel 1)
Dogs of Berlin (Staffel 1)
Élite (Staffel 1)
Glow (Staffel 1 und 2)
Happy! (Staffel 1)
Haus des Geldes (Staffel/Teil 3)
Jessica Jones (Staffel 2)
Jessica Jones (Staffel 3)
Kominsky Method (Staffel 1)
Maniac (Staffel 1)
Orange is the new Black (Staffel 6)
Orange is the new Black (Staffel 7)
Raising Dion (Staffel 1)
Sex Education (Staffel 1)
Stranger Things (Staffel 1 und 2)
Stranger Things (Staffel 3)
The Crown (Staffel 3)
The Innocents (Staffel 1)
The Spy (Staffel 1)
Turn up Charlie (Staffel 1)
Umbrella Academy (Staffel 1)
Alle Fotos: (c) Netflix
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.