Darren Aronofsky drückt in seinem Film über einen adipösen Mann zwar zu sehr auf die Tränendrüse, für Brendan Fraser ist es nach Jahren aber das perfekte Comeback.
von Susanne Gottlieb
Jahrelang war er untergetaucht. Nun hat Brendan Fraser im März bei den Oscars seine erste Statue gewonnen. Nachdem er einen mächtigen Produzenten vorgeworfen hatte, ihn sexuell belästigt zu haben, stand der Schauspieler lange auf einer schwarzen Liste. Hinzu kamen gesundheitliche Probleme. Als Regisseur Darren Aronofksy für seine Adaption des Samuel D. Hunter-Stücks The Whale einen Haupdarsteller suchte, wollte er jemanden, “der eine Chance brauchte“. “Ich brauch eine Chance”, waren auch die Worte von Fraser. Nun ist er wieder bestens im Geschäft. Als nächstes wird er in Martin Scorseses Killers of the Flower Moon zu sehen sein.
Doch so wunderbar es ist, den Helden aus George aus dem Dschungel oder Die Mumie wieder im Kino zu sehen, kann The Whale auch wirklich filmisch überzeugen? Zum Teil. Aronofsky hat sich mit dem sowieso schon überemotionalen Text ein wenig zu sehr zu dramatischen Tränendrüsendrücker-Momenten hinreißen lassen. Das Endergebnis ist Geschmackssache, wie ihr in unserer The Whale Kritik nachlesen könnt.
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Seit Jahren sitzt der 272 Kilo schwere Charlie (Brendan Fraser) in seiner Wohnung fest. Der Englischprofessor kann inzwischen nur mehr online unterrichten, eine Tätigkeit, bei der er bewusst die Kamera abgeschalten lässt. Und auch sonst ist sein einziger Kontakt die Schwester seines verstorbenen Partners, die Krankenschwester Liz (Hong Chau). Doch nach einem einsetzenden Herzversagen beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen. Zum einen taucht der Missionar Thomas (Ty Simpkins) vor Charlies Tür auf, um ihn für die New Life Church zu rekrutieren. Charlie mag zwar aus persönlichen Gründen nicht viel von der Kirche halten, aber sein gutes Herz erlaubt es, Thomas immer wieder zu kommen.
Zum anderen möchte er wieder Kontakt mit seiner Tochter Ellie (Sadie Sink – vielen bekannt als Max aus Stranger Things) aufnehmen. Einst verließ er sie und ihre Mutter Mary (Samantha Morton), um mit seinem Partner Alan zusammenzuleben. Wegen diesem Bruch ist Ellie nun verbittert und will nur Zeit mit ihm zu verbringen gegen Bezahlung oder er dafür ihre Hausaufgaben erledigt. Bevor sein Herz aufgibt hat Charlie nicht mehr viel Zeit, seine Angelegenheiten zu regeln und wenigstens einmal noch das Richtige im Leben zu tun.
Bühnenstücke zu adaptieren ist nie einfach. Die intermediale Übersetzung erlaubt letztendlich doch nicht, dass der Spielraum der Figuren zu groß wird. So lebt die Handlung auch im Film von wenigen Schauplätzen und der dramatischen Interpretation der Mimen. Aronofsky gelingt es aber, den limitierten Raum, nämlich nur Charlies Apartment, großtmöglichst auszunützen, zu einem undurchbringbaren Parcours für den Schwergewichtigen zu machen. Allein ein Stück Papier aufzuheben oder einen Schlüssel unter dem Schrank hervorzufischen, wird zur fast unüberwindbaren Hürde. Ohne Walker oder Rollstuhl geht gar nichts mehr.
Ebenso überzeugend ist die Darstellerriege, die Aronofsky verpflichtet hat. Hong Chau hat gerade einen Moment, die Schauspielerin ist derzeit überall zu sehen (zum Beispiel zuletzt auch als bösartige Oberkellnerin in The Menu – hier unsere Review). Auch hier spielt sie eine resolute Figur, die tief drinnen aber ein großes, weiches Herz hat. Sadie Sink, die zuletzt in Stranger Things als Max vielen ihrer Koleg:innen die Show stahl (Running Up That Hill Hype inklusive), gelingt der Sprung auf die große Leinwand. Ihre von Frustration und blinder Wut getriebene Ellie ist eines der Highlights des Films. Man hasst Ellie, aber man fühlt auch mit ihr und erkennt den Schmerz in ihrem Verhalten.
Brendan Fraser, der für die Darstellung den Oscar gewann, zeigt zwar, mit welcher Intensität er noch immer seine Rollen anzulegen vermag. Dass er nach den vielen Komödien der letzten Jahre auch noch immer Dramatik drauf hat. Gleichzeitig ist seine Interpretation auch eine der Schwachpunkte des Films. Gemeinsam mit Aronofsky versucht er zu sehr den weinerlichen Aufruhr in Szene zu setzen. Sein Charlie weint, schreit, gibt sich bescheiden, stopft Essen in sich rein und wirft es weg. Hier ist jemand, der wirklich schlimme Konflikte hat, will der Film einem damit aufdrängen.
Doch so wird das sich sonst vielleicht natürlich entfaltene Mitgefühl in vorgefestigte Bahnen gelenkt, die Emotionen zu sehr anhand eines Drehbuchs getaktet. Auch der Soundtrack geht in diesen Momenten ein wenig zu sehr in die Vollen, treibt diese emotionale Manipulation an die Spitze. Dennoch beeindruckend – das ebenfalls mit einem Oscar ausgezeichnete Makeup – der Fatsuit Frasers ist beeindruckend, wenn auch ein wenig zu schlaff für einen 272-Kilo-Mann. Auch hier gab es übrigens nach der Premiere des Films in Venedig letztes Jahr Kontroversen. Warum, fragten manche, hatte man den nicht einen echten adipösen Mann gecastet?
Abgesehen von seiner etwas zu aufgebauschten Dramatik und emotionalen Manipulation ist The Whale eine gelungene Theateradaption, die unangenehme und wichtige Themen anspricht.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.