Verurteilt, um ein Exempel zu statuieren. In Aaron Sorkins zweiten Film als Regisseur, The Trial of the Chicago 7, nimmt sich der unerschütterliche Verfechter von Demokratie und Gesellschaft einem Showprozess der 60er und 70er an. Wir haben den Film, der bereits in ausgewählten Kinos zu sehen ist und heute auf Netflix startet, für dich gesichtet und verraten in unserem Review, wie gelungen er ist.
von Susanne Gottlieb
16. Oktober 2020: Sieben (zunächst acht) Männer werden nach einer Demo in Washington DC und den darauffolgenden Clash mit der Polizei festgenommen. Sie werden vor ein Gericht gestellt und ihnen wird ein politischer Showprozess des konservativen Establishment gemacht, das hier ein Exempel statuieren will. Willkommen im Jahr 2020? Nicht ganz. Wir befinden uns im Jahr 1968. Die kulturelle Gegenrevolution der Boomer beherrscht die Straßen. Und die alteingesessene Gesellschaft, Nixon voran, will diese neue Strömung der Civil Rights unterdrücken. Alles wie gehabt oder?
Die Ironie an der Sache ist aber, dass Aaron Sorkin (Drehbuch-Oscar für The Social Network 2011) nicht erst durch die Ereignisse in den USA seit der Ernennung Trumps motiviert war. Er hatte die Idee für das Drehbuch seit 2006 in der Schublade. Die Regie war auch zunächst für Steven Spielberg gedacht. Aber mit der üblichen Production Hell in vollem Ausmaß dürfen wir uns nun 2020 an dem Film, mit Sorkin selber im Regiesessel erfreuen – sowohl auf Netflix als auch in ausgewählten Kinos. Und man kann sagen, zeitlich passt er viel eher als sozialer Kommentar als 2006.
1968 beschließen verschiedene Gruppierungen getrennt voneinander bei der Democratic Convention in Washington, dem Gipfel der demokratischen Partei sozusagen, gegen den Vietnam Krieg und die Rückholung der Truppen zu demonstrieren. Tom Hayden (Eddie Redmayne) und Rennie Davis (Alex Sharp) von der “Students for the Democratic Party”, Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) und Jerry Rubin (Jeremy Strong) von der Youth International Party, David Dellinger der Initiative “End the War”, die beiden Universitätsangestellten Lee Weiner (Noah Robbins) und John Froines (Daniel Flaherty). Doch nach tagelanger Besetzung des Parks vor der Convention kommt es zu Ausschreitungen. Die sieben werden festgenommen.
Black Panther Mitglied Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II) wird später auch zu den Angeklagten gehören. Wie der Film darlegt, war er nur für vier Stunden als Ersatz für jemanden anderen vor Ort. Aber der systematische Rassismus war in den USA der 60er noch ausgeprägter und so wird er zunächst als das achte Mitglied der späteren Chicago 7 vor die Anklagebank geparkt.
Der Vorwurf: Die acht hätten eine Verschwörung zum Aufruf zu Gewalt und Aufruhr gestartet. Der Ankläger: die Staatsanwaltschaft (Joseph Gordon-Levitt) im Auftrag des Generalstaatsanwalt John N. Mitchell (John Doman). Der eigentliche Grund ist eine persönliche Vendetta gegen die demokratischen Vorgänger und in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs ein Exempel zustatuieren. Der Richter Julius Hoffman (Frank Langella) ist ebenfalls von Anfang an befangen und legt das Gesetz sehr lose aus. Doch für die Angeklagten ist es nicht allzu einfach David gegen Goliath zu spielen. Auch intern sind sie sich uneins, wie sie die Bewegung nach außen präsentieren wollen. Vom im System arbeiten versus es niederreißen – auch in den 60ern sind diese Probleme nur allzu bekannt und relevant.
Wer Aaron Sorkin erwartet, der bekommt ihn auch. Wenn auch diesmal weniger mit seinen altbekannten Sorkinismen (recycelte Sätzen, die sich in vielen seiner Werke wiederfinden). Doch auch ohne Ping Pong Tische im Büro und auch nur mit genau einer einzigen “Walk und Talk” Szene im Gang ist es unverkennbar, wer hier die Dialoge in die Tasten gehauen hat. In Sachen Gerichtsablauf hat sich Sorkin zwar an den Gerichtsprotokollen orienteriert. Aber die Luft dazwischen, die nutzt der Altmeister gekonnt, um abermals seine Fragen nach politischer Verantwortung, gesellschaftlichem Zusammenleben und legislativer Macht in den Raum zu werfen.
Nun ist man geneigt, viele Parallelen zu heute zu ziehen. Die Klima-, #MeToo- oder Black-Lives-Matter-Bewegungen der letzten Jahre beweisen, dass wir uns erneut in einem kulturellen Umbruch befinden. Aber rein daraus zieht der Film nicht seine Stärke oder seine Relevanz. Er ist ein mustergültiges Beispiel dafür, wie Mächtige mit unliebsamen Stimmen umgehen. Dafür muss man keine Kulturrevolution starten. Sie begegnet uns jeden Tag im Alltag und auf der Straße.
Sorkin erspart uns auch, das Ganze in zu melodramatischen Tönen zu zeichnen. Er klagt nicht wütend das System an, mit herzzereißenden Plädoyers, schwülstiger Musik oder schmerzerfüllten Gesichtern. Er nimmt es als gegeben hin. Vielmehr interessiert ihn die Selbstverständlichkeit, mit welcher die Beteiligten es ausüben. Die Angeklagten, allen voran Abbie und Jerry, wissen was ihnen gespielt wird. Sie sollen als medial aufbereitete Abschreckung für andere Revoluzzer dienen. Tom hingegen glaubt daran, statt Gegenrevolution von außen im System selber etwas bewirken zu können. Und ihr Anwalt William Kunstler (Mark Rylance) arbeitet sich teils mit offensichtlicher Wut an der Willkürlichkeit der Judikatur ab.
Dass er nicht alles schwarz-weiß zeichnet, zeigt Sorkin auch mit der Rolle des Anwalts Richard Schultz (Gordon-Levitt). Meist als eiskalter Systembürokrat porträtiert, ist Schultz ein Mann, der eine politische Gesellschaft zwar wertschätzt, aber von ihren Massnahmen abgestoßen ist. Ein Fan von Nixon, der trotzdem von Anfang an weiß, dass hier nur versucht wird, ein Exempel mit wenig juristischem Fundament durchzuboxen. Diese vielschichtige Einfärbung der Rahmenhandlung erhebt die Geschichte aus ihren oft dagewesenen Gerichtsdrama-Konventionen heraus.
Sorkin will nicht, dass wir mit dem Finger auf die Beteiligten zeigen. Er stößt den Zuschauer dazu an zu reflektieren. Die Mächte, die am Werk sind und die Rolle, in die die Beschuldigten sich einfügen. Immerhin, einig sind sie sich auch untereinander nicht. Wie bestreitet man eine kulturelle Revolution? Und wie zeigt man sich in den Momenten wo es zählt als eins? “Ich wurde noch nie für meine Gedanken angeklagt”, erklärt Abbie Schultz im Kreuzverhör. Und da liegt dann der wahre Kern von Sorkins Bemühen. Ideen, nicht Systeme, sind unsere stärkste Waffe.
The Trial of the Chicago 7 ist ein großartiger Film, der nicht nur zeigt, wie weit wir in den letzten 50 Jahren mit unseren Civil Rights gekommen sind, und wie weit wir noch gehen müssen. Er zeigt auch auf unaufgeregte aber bestechende Weise, dass Systemmechanismen (egal in welchem Jahrzehnt) kein Ablaufdatum haben.
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Bilder: © 2020 Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.