Obsidian Entertainment sind die Meister des klassischen RPG. Mit The Outer Worlds zeigen sie nicht zum ersten Mal, dass sie auch bei modernen Rollenspielen in einer anderen Liga spielen. Unser The Outer Worlds Review.
28. Oktober 2019: Weltraumkapitalismus vom Feinsten. Das ferne Sonnensystem Halcyon ist fest in den Händen eines großen Firmenkonglomerats. Alles gehört dem Vorstand, sogar die Bewohner der Kolonien. Die Firmenchefs haben es sich in ihrem Reichtum gemütlich gemacht, als plötzlich das lange verschollene Schiff Hope auftaucht – voller eingefrorener Akademiker und Spezialisten. In die Rolle eines dieser verschollenen Reisenden schlüpft der Spieler.
Wir haben The Outer Worlds für euch gespielt und verraten euch in unserem Test, warum das RPG die Konkurrenz in den Schatten stellt.
Spektakulär – so beginnt die Story von The Outer Worlds. Der von den Firmen gejagte Wissenschaftler Phineas Wells entert illegal das leblos durchs All driftende Kolonieschiff Hope, um die aufgegebene Besatzung zu retten. Leider hat er nicht genug Chemikalien dazu und kann nur eine einzelne Person auftauen. Die sind glücklicherweise wir als Spieler. Nach unserer Rettung landen wir alleine am Rand einer Kolonie auf dem Planeten Terra 2 mit dem Auftrag, Phineas Wells dabei zu helfen, mehr Chemikalien aufzutreiben.
Von da an verlangsamt sich die Story. Eine Reise durchs All besteht eben nicht nur aus wagemutigen Rettungsaktionen. Ein Raumschiff will flugfähig gemacht werden, Konflikte zwischen Arbeitern und Management gelöst und Alien-Monster bekämpft werden. Das ist aber nicht weniger spannend. Die Art und Weise, wie The Outer Worlds seine Geschichten inszeniert, ist beeindruckend. Es gibt keine klaren Bösewichte, keine strahlenden Helden, sondern nur komplexe Personen mit realistischen Problemen und Schwächen.
The Outer Worlds ist das beste moderne RPG seit The Witcher 3. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Story oder eher die Art und Weise, in der sie erzählt wird, ist einer davon. The Outer Worlds geht das Storytelling langsam an. Nach einer spektakulären Einführung verbringt das Spiel erst einmal viele Stunden damit, das Universum vorzustellen und erlaubt dem Spieler sich einzufühlen. Nichts wird dabei einfacher vorgetragen, sondern vielmehr im Rahmen von Missionen clever präsentiert. Die Geschichte von außer Kontrolle geratenem Kapitalismus erinnert zwar an den ersten BioShock Teil, gewinnt der Idee aber neue Aspekte ab.
Anders als noch in BioShock endet nicht alles in Anarchie, sondern in ultimativer Diktatur und Unfreiheit. Passend zum Wahnsinn der Welt wird die düstere und äußerst bedrückende Story mit so viel Satire, Humor und Liebenswürdigkeit in einzelne Charakteren gepackt, dass man oft lacht, obwohl man weinen sollte. Dabei beweist das Spiel Fingerspitzengefühl und zieht die Story und die Charaktere selbst nie ins Lächerliche. Emotionen, Gesellschaftskritik und Schmäh.
Neben aller Inszenierung und Story vergisst The Outer World nicht, ein RPG zu sein. Es bietet ein detailliertes Levelsystem mit variablen Skills, die wiederum in Unterkategorien aufgeteilt sind und dazu noch ein Perk-System, bei dem man sich jedes zweite Level spezielle Fähigkeiten aussuchen kann. Kurz gesagt: Es erlaubt dem Spieler seinen ganz eigenen Spielstil. In Dialogen kann überzeugt, gelogen und eingeschüchtert werden. Man kann aber auch stattdessen Probleme mit Waffengewalt oder durch Hacking, Schlösserknacken und Schleichen lösen. Der Kreativität sind nur selten Grenzen gesetzt.
Dazu kommt ein Shooter-Kampfsystem, das sich mit reinen Shootern messen kann und eine große Auswahl an Waffen mit eigenem Upgradesystem enthält. Dabei sind natürlich Statistiken und Zahlen, Schadenarten und Rüstungsklassen zu beachten. Ein Traum für RPG-Freunde. Komplex, aber nicht kompliziert. Außerdem gibt es Begleiter, deren Spezialfähigkeiten im Kampf nützlich sind und die Fähigkeit, kurzzeitig die Zeit zu verlangsamen. Wie man sieht, steckt in The Outer Worlds jede Menge Gameplay. So viel, dass sich im Vergleich die meisten modernen Triple-A-Spielehämen sollten.
Die Spielwelt von The Outer Worlds funktiert im Prinzip wie eine Mischung aus Fallout: New Vegas (das auch von Obsidian stammte) und Mass Effect. Am Boden, soll heißen auf den Planeten, spielt es sich wie ein Fallout Spiel, nur mit besserem Kampfsystem und interessanteren Dialogen als in den letzten paar Teilen. Es gibt aber keine große zusammenhängende Spielwelt, sondern knapp zehn verschiedene Planeten, Monde, Städte und Raumstationen über ein ganzes Sonnensystem verteilt. Die einzelnen Orte sind zwar nicht gewaltig, aber alle zusammen sind wohl größer als Boston in Fallout 4.
Zwischen diesen Orten reisen wir mit unserem Raumschiff Unreliable hin und her. Auf diesem Schiff können wir mit unseren Begleitern sprechen oder sogar sehr interessante Unterhaltungen mit dem Bordcomputer selbst führen. Das funktioniert genau wie in Mass Effect inklusive Charakter-Storylines für jeden Begleiter, die allesamt sympathisch und interessant geschrieben sind. Die Symbiose zwischen diesen beiden Spielteilen funktioniert großartig. So zeigen Obsidian Bethesda und EA gleichzeitig, wie man ihre eigenen Spiele richtig macht. So kann man verzeihen, dass beide Elemente für sich gesehen nichts Neues sind – sie sind einfach besser.
Zwei größere Kritikpunkt gibt es aber doch. Der Erste: Weil die Spielwelt in viele kleinere Gebiete geteilt und fast jedes Lokal in den ein oder anderen Haupt- oder Nebenquest eingebunden ist, gibt es nie dieses Gefühl von Freiheit, das Bethesda RPGs oft erzeugen. Man wandert nicht einfach ziellos durch die Landschaft und stößt auf interessante Orte, die ihre ganz eigene Story erzählen. Die Gebiete sind alle detalliert geplant und in die Handlung eingebunden. Trotzdem gibt es im Rahmen der Missionen so einiges Zusätzliches und Verstecktes zu entdecken.
Grafisch ist The Outer Worlds vor allem wegen des coolen Designs schön anzusehen: halb Science-Fiction, halb Art déco. Allerdings sieht das Spiel (hier also der zweite Kritikpunkt) auf der Konsole doch schon sehr in die Jahre gekommen aus. Verwaschene Texturen und pixelige Wolken trüben das Gesamtbild ein wenig. Dagegen sieht die PC-Version grandios aus. Hier kommt das stylische Design richtig zu tragen, und damit ist auch der PC die beste Art, das Spiel zu genießen.
The Outer Worlds steht außerhalb aller modernen Trends der Spieleindustrie. Das Game enthält keine Loot-Boxes, keine Microtransactions, keinen Season-Pass. Kauft man The Outer Worlds, bekommt man ein fertiges und komplettes Spiel mit allen Teilen frei verfügbar. Die Story ist nicht für spätere Erweiterungen gekürzt, ohne solche auszuschließen, und das Gameplay ist spannend und abwechslungsreich, ohne irgendwelche heute sehr beliebten Time-Saver anbieten zu müssen. Man bekommt, was man kauft – eigentlich sollte das normal sein. Erfrischend.
Diese Integrität von Obsidian findet man sonst nur bei CD Project Red, die uns im kommenden Frühling Cyberpunk 2077 bringen werden. Obsidian hat schon mal vorgelegt. Außerdem ist das Geschäftsmodell des Spiels gemeinsam mit der Story selbst ein Kommentar über die Spieleindustrie. Eine Geschichte von gierigen und ungebremsten Firmen, die den Menschen jede Kleinigkeit in Rechnung stellt, ist kein Zufall. Davor ziehen wir unseren Hut. Bravo.
https://www.youtube.com/watch?v=Oxlflrh_Pzw
The Outer Worlds ist endlich wieder ein richtig fettes Action-Rollenspiel mit allem, was man dafür braucht. Kaum Bugs, tolle Story, komplexes und spannendes Gameplay lösen Glücksgefühle aus. Für RPG-Freunde bietet The Outer Worlds einfach alles, und das mit Style. Ein Meisterwerk.
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Alle Fotos: (c) Obsidian Entertainment
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.