Nach einigen durchwachsenen Ausflügen ins Weltall kehrt Ridley Scott wieder ins Historienfach zurück. Der Regisseur von Gladiator, Alien oder Königreich der Himmel hat gemeinsam mit Matt Damon und Ben Affleck ein berühmtes französisches Duell, das letzte seiner Art, für die große Leinwand adaptiert. Epische Schlachten und menschliches Drama inklusive.
von Susanne Gottlieb
13. Oktober 2021: Eine Vergewaltigung im Mittelalter – schon die Ausgangssituation mag schwerwiegend wirken, abgesehen von den Chancen, die eine Frau in der damaligen Zeit hatte, Gehör und Gerechtigkeit zu finden. Nun mögen wir uns auch nicht in einer Zeit der restlosen Aufgeklärtheit gegenüber weiblichen Rechten befinden, die Situation von Marguerite de Carrouges führte allerdings zu einem historischen Meilenstein der französischen Geschichtsschreibung. Ihre Ehrenverletzung und die ihres Mannes führt zum allerletzten staatlich sanktionierten Duell Frankreichs.
Ein Stoff, der noch Jahrhundertelang die Wissenschaft und die Künste inspirierte, unter anderem den Autor Eric Jager. Sein Buch The Last Duel: A True Story of Trial by Combat in Medieval France bildet die Basis dieser Filmadaption, die vom alten Routinier Ridley Scott umgesetzt wurde. Matt Damon und Ben Affleck spielen nicht nur mit, sondern haben zum ersten Mal seit Good Will Hunting wieder ein Drehbuch zusammen verfasst, diesmal in Zusammenarbeit mit Nicole Holofcener. Das sind einige vielversprechende Zutaten in einem Film. Ob das Endprodukt sich auch sehen lassen kann, das erfahrst du hier, rechtzeitig zum Kinostart am 14. Oktober.
Jean de Carrouges (Matt Damon) und Jacques Les Gris (Adam Driver) haben sich über die Jahre im Kampf für die Krone Frankreichs verdient gemacht. Als Jean Jacques beim Kampf um die Stadt Limoges das Leben rettet, formt sich eine Freundschaft. Graf Pierre d’Alençon (Ben Affleck), dem die beiden dienen, findet aber wenig Gefallen an dem starrköpfigen, weltlich wenig bewanderten Jean. Er präferiert Jacques, mit dem er sich auf Partys und mit Frauen vergnügt. Da Jacques auch nichts unversucht lässt, in der Gunst Pierres zu steigen, beginnt er als dessen rechte Hand Aufgaben zu übernehmen. Es entsteht ein erster Bruch zwischen den Freunden.
Eine Weile später lernt Jean Marguerite (Jodie Comer), Tochter des einstigen Staatfeindes Robert de Thibouville (Nathaniel Parker) kennen. Da Jean bei der Pest Frau und Kind verloren hat, dringend einen Erben braucht und auch von der Schönheit Marguerites eingenommen ist, entschließt er sich zur Heirat. Als Jacques sie zum ersten Mal trifft ist er sofort von ihrer Schönheit verzaubert. Marguerite, die eine stabile, aber keine besonders glückliche Ehe mit Jean führt, findet Jacques zwar attraktiv, aber problematisch.
Als Jean einige Zeit später bereits wieder im Dienste der Krone auf Schlachtfeldern unterwegs ist, um Geld zu verdienen, lässt seine Mutter (Harriet Walter) Marguerite für einen Nachmittag komplett ohne Bedienstete im Haus zurück. Als Jean zurückkehrt, erzählt ihnen Marguerite, dass sie von Jacques in ihrem Haus vergewaltigt wurde. Sie will nun Gerechtigkeit und Jean, der schon lange im Clinch mit Jacques liegt, seinen Widersacher stellen. Jean wendet sich an König Charles VI (Alex Lawther) und bittet um ein Duell. Dieses dient als göttliches Gericht, den nur wer am Ende noch lebt, hätte die Wahrheit gesprochen und werde von Gott verschont. Der König willigt ein. Doch dabei riskiert Jean nicht nur seinen eigenen Ruf und sein Leben, sondern auch das seiner Frau.
Mit The Last Duel hat Ridley Scott erneut bewiesen, dass er große, üppig ausgestattete Kostümdramen durchaus noch beherrscht. Auch wenn er sich dabei alt hergebrachter Methoden, wie etwa der farblichen Entsättigung des Bildes und zahlreicher britischer Darsteller, deren Akzente gemeinhin zur Vermittlung von “Historizität” genutzt werden, bedient. Denn die eigentliche Stärke des Films liegt im Drehbuch, das im Gegensatz zu vielen anderen Historienschinken hier weniger am Showeffekt interessiert ist, sondern mehr an der Botschaft, die die Geschichte vermitteln will.
Wurde Marguerite wirklich von Jacques Les Gris vergewaltigt? Bis heute wird darüber spekuliert und Theorien aufgestellt. The Last Duel befasst sich aber weniger mit dieser Frage. Im Film ist die Sache ziemlich eindeutig. Hier stehen die Dynamiken der Charaktere im Mittelpunkt. Die Eitelkeit Jeans, die Gier Jacques, der goldene Käfig Marguerites. Dabei gelingt etwas, das viele Filme versuchen, aber nicht schaffen. Der Film wirkt modern, mit modernen Fragen, ohne dafür seine historische Rahmung zu untergraben. Er versucht nicht, seine Figuren wie aus dem 21. Jahrhundert herausgepflückt zu gestalten, sondern emanzipiert ihre Geschichten innerhalb der gegebenen Parameter.
Die Geschichte, die immerhin zweieinhalb Stunden Laufzeit hat, nimmt sich die Zeit ihre Figuren genau unter die Lupe zu nehmen. So wie auch der historische Fall eine Frage von “er sagte, sie sagte” ist, so wird auch die Struktur der Erzählung angelegt. Jede der drei Hauptfiguren bekommt ihre Version der Wahrheit, die aneinandergereiht dieselben als auch divergierende Erlebnisse zwischen den Jahren 1370 und 1386 wiedergeben. Oft gleichen die Darstellungen, doch der Teufel liegt im Detail. Die Parteien erinnern sich unterschiedlich an kleine Gesten und Konversationen, was letztendlich zu einem anderen Gesamtbild der Situation führt.
So ist der Aufhänger, hier die Ehre Marguerites zu verteidigen, nicht die Motivation, die in den männlichen Figuren unterschwellig köchelt. Die Konfrontationen zwischen Jean und Jacques lassen erahnen, dass es hier über ein Jahrzehnt um männliche Egos ging, um Besitz und Ansehen. Marguerite scheint dabei eher ein Blitzableiter für angestaute Frustrationen zu sein. So bringt Jean, wenn es darauf ankommt, nur das minimalste Maß an Verständnis und Aufmerksamkeit für Marguerite auf. Lieber badet er gierig im Ruhm der Menge. Jacques ist skrupellos und zeigt Anzeichen moderner Politiker, die unantastbar sind, egal was sie anstellen.
“Wir konnten uns beide nicht kontrollieren”, wagt er Marguerite nach der Tat an den Kopf zu werfen. Hier entsteht eine der interessanteren Fragen des Films. Kann Jacques in seinem Narzissmus nicht erkennen, das der Verkehr ungewollt war? Oder versucht er hier einfach nur seine Haut zu retten? Marguerite hingegen wehrt sich mit den Waffen, die ihr als Frau im 14. Jahrhundert zur Verfügung stehen. Sie will Gerechtigkeit, weiß aber, dass sie die Unterstützung ihres Mannes braucht, um überhaupt angehört zu werden. Das kann frustrierend wirken, bezeugt aber eigentlich den Mut, den auch die historische Marguerite aufbrachte. In einer gottesfürchtigen Gesellschaft, in der Vergewaltigung weniger als Verbrechen an der Frau, sondern am Besitz des Mannes gesehen wurde. Die es als unmöglich empfand, dass eine Vergewaltigung zu einer Schwangerschaft führen könne, da man beim Akt Lust empfinden müsse.
Gleichzeitig zeigt der Film aber auch die für damalige Verhältnisse schon erdrückende Bürokratie, die unweigerliche Erneuerung der Gesellschaft. Figuren wie Jean sind vom alten Schlag. Sie verstehen das Schwert, die generationenbedingte Weitergabe von Titeln und den wagemutigen Einsatz am Schlachtfeld. Leute wie Jacques gehen bereits mit der Zeit. Sie verstehen die feinen Mühlen von Politik und Selbstvermarktung. Sie steigen ohne große Verausgabung in der Gesellschaft auf. Dieser fast anarchische Rückfall auf ein göttliches Duell wirkt wie ein anachronistischer Bruch. Eine verzweifelte Rückkehr zu Mitteln, die zumindest ansatzweise etwas wie Gerechtigkeit und Gleichheit suggerieren. Jean kann seinen Konkurrenten nicht mit seinen neumodischen Methoden schlagen. Aber er kann ihn auf eine Ebene herunterbiegen, die auch er versteht. Dass es hier um die Ehre und das Leben seiner Frau geht, das wirkt dann nur mehr zweitrangig.
The Last Duel ist ein langes, aber spannendes Drama, das aus einem streng historischen Kontext heraus zeitlose Fragen stellt. Für Historien- und Schlachtenfans ein unbedingtes Muss, aber auf jeden Fall auch etwas zum Nachdenken.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.