Shakespeare ohne Shakespeare Dialoge? So oder so ähnlich ging der Pitch für The King von David Michôd, der gemeinsam mit Joel Edgerton das Skript schrieb. Darin kürzen sie Shakespeares Henriad auf die Thronbesteigung von Henry V und seinen erfolgreichen Feldzug gegen Frankreich. Kann so ein Unterfangen ohne Shakespeare gut gehen? Wie ihr in unserer Kritik lesen könnt, nur bedingt.
2. November 2019: Henry IV und Henry V von England – nicht erst seit The Crown schreibt sich britische Geschichte mit viel Drama. Und einer, der diese historischen Ereignisse gebührend dramatisierte, war der englische Dramatiker William Shakespeare. In der als solchen getauften Henriad, einer Tetralogie von Richard II, Henry IV Teil 1 und 2 sowie Henry V, rekonstruiert der Meister rund 50 Jahre britische Monarchie. Diese waren geprägt von Tyrannei, Rebellionen, dem Hundertjährigen Krieg und dem Feldzug gegen Frankreich.
Der australische Regisseur David Michôd und sein Landsmann Joel Edgerton haben nun die zweite Hälfte Henry IV und Henry V zu einem historischen Drama nach modernen Genre-Konventionen verdichtet. Das Ergebnis muss zwar nicht an Shakespeare gemessen werden. Wirklich bewegend ist es aber auch nicht geworden. Warum, lest ihr in unser The King Review.
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Nachdem sein Vater Henry IV (Ben Mendelsohn) das Land ins Chaos geführt hat und eine Rebellion in den eigenen Reihen niederschlagen musste, hat der junge Henry, genannt Hal (Timothée Chalamet), eigentlich wenig Interesse den Thron zu übernehmen. Sein Vater will ihn zunächst auch seinem jüngeren Bruder Thomas (Dean-Charles Chapman) geben, doch der scheidet ebenfalls mit seinem Tod als König aus. So wird Hal zu Henry V. gekrönt und zugleich mit der Tatsache konfrontiert, dass er dem Land wieder Frieden schenken muss. Doch der scheint weit entfernt. Frankreich will sich anscheinend mit dem jungen König anlegen. Erst erhält Henry ein provokantes Krönungsgeschenk, dann folgt ein französischer Attentäter, der aber seinen Plan vorab gesteht.
Weil die Lords unruhig werden, lässt sich Henry von seinem Berater William Gascoigne (Sean Harris) dazu ermutigen, Frankreich den Krieg zu erklären. Gemeinsam mit seiner Armee, unter dem Kommando seines langjährigen Vertrauten John Falstaff (Edgerton), bricht er nach Frankreich auf. Dort trifft er nicht nur auf den anmaßenden Dauphin (Robert Pattinson), Sohn des französischen Königs, und die tiefsinnige Prinzessin Catherine (Lily-Rose Depp), sondern wird auch mit seinem eigenen Gemüt konfrontiert. Denn der sonst so friedliebende Geist des jungen Mannes hat selber einige irrationale, brutale Tendenzen entwickelt.
Ambitioniert ist The King durchaus. Aber er macht trotz seiner literarischen Wurzeln keine dramatischen Höhenflüge. Handlungsbögen, Kameraeinstellungen, Ausstattungen und Moral – man hat das alles irgendwie schon mal wo besser gesehen. Im Sinne der Zeitgeist Appropriation ist der Held auch kein aggressiver Feldherr mehr, sondern ein Pazifist, der durch Intrigen anderer in einen Krieg getrieben wird. Die Frage, wie Kriege entstehen, wer daran schuld ist, wäre ein spannendes Thema um tiefer zu graben. Einen zaghaften Versuch startet der Film auch, als er Depps Figur analysieren lässt, welche Mächte diesen Feldzug eigentlich entstehen ließen. Letztendlich machen es sich Michôd und Edgerton aber zu bequem. Sie spitzen ihre Argumente auf den Gebrauch eines personifizierten Bösewichtes zu.
Die Fusion der Geschichte zweier Könige hat schon zu Beginn das Problem, dass der Zuschauer in etablierte Konflikte mit im weiteren Verlauf nur peripher auftauchenden Figuren hineingeworfen wird. So wie der letzte Teil von Henry IV den Auftakt des Films bildet, so fühlt sich auch die erste halbe Stunde etwas überladen an. Denn er erzählt eine gänzlich andere Geschichte.
Das Problem betrifft auch die Darsteller selbst. Pattinson, Mendelsohn, Depp, Chapman, Tom Glynn-Carney als Rebell gegen die englische Krone und Thomasin McKenzie als Henrys Schwester werden als Figuren nicht ausgeschöpft. Gerade in Hinsicht auf Pattinson als einen wichtigen Gegenspieler fühlt sich seine Präsenz zu bruchstückhaft an. Harris und Edgerton machen als Mitglieder des zentralen Figurentrios eine passable Figur, auch wenn es manchmal schwerfällt, Edgerton den wohlbeleibten, trink- und raufsüchtigen Soldaten abzunehmen. Chalamet bringt eine verletzliche Intensität zu Henry, die aber oft etwas fehlplatziert wirkt, was ihm zum schwächsten Glied dieser Kette macht.
Als Henry V dann endlich selber das Kommando übernehmen darf, spürt der Zuschauer die von seinem Hofstaat kritisierte Passivität mindestens genauso deutlich. Weil der Film inhaltlich vor sich hinplätschert, es sich lieber darin bequem macht, Fragen zu stellen als Taten zu liefern. Ein ähnliches Problem hat das Set-Design. Die Kostüme und die Einrichtungen wirken zwar wie Replikationen mittelalterlicher Gemälde, aber jemand hätte Michôd und seinem Team ruhig sagen können, dass man nicht mehr Grau auf Grau dekorieren muss, um historisch zu wirken. Die Optik ist trostlos, die Beengtheit zum Teil erstickend.
Man kann Michôd zugute halten, dass er davon absieht die Kriegssequenzen wie seine Vorgänger in dem Fach allzu episch und mitreißend zu inszenieren. Der Krieg ist bei ihm eine schmutzige Angelegenheit, geprägt von viel Rumsitzen, Prügeleien, einem überschaubaren Heer und Verhandlungsgeschick. Trotzdem stört der massive Einsatz der Handkamera und die teils recycelten Einstellungen anderer Historienfilme. Das produziert eher gepflegte Langeweile als das Gefühl, hier einen spannenden neuen Zugang zum filmischen Höhepunkt zu sehen.
Michôd und Edgerton wollen eine ganz klare Botschaft durch die Kriegstreiberei der mittelalterlichen Königreiche vermitteln. Doch ähnlich wie sein etwas unausgeglichener Anfang kumuliert der Film letztendlich in einem unausgeglichenen Ende. Das wirkt mehr wie „Fortsetzung folgt“ als der Abschluss einer Geschichte. (sg)
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.