Bonnie und Clyde. Auch 85 Jahre nach ihrem Tod fasziniert das kriminelle Pärchen noch die Filmindustrie. In John Lee Hancocks The Highwaymen spielen die beiden nur eine untergeordnete Rolle. Hancock dreht die Linse um und fokussiert sie stattdessen auf die Männer rund um Texas Ranger Frank Hamer (Kevin Costner), die die Ganoven nach monatelangem Katz-und-Maus Spiel stellten. Ob der Netflix-Film auch aus dieser Perspektive interessant ist, lest ihr in unserer Filmkritik.
von Susanne Gottlieb, 26. 3. 2019
26. März 2019: Das Verbrecherduo Bonnie und Clyde aus Kellnerin Bonnie Elizabeth Parker und dem vorbestraften Clyde Champion Barrow ist unweigerlich im kollektiven Gedächtnis verankert. Weniger wegen der historischen Figuren, die während der Wirtschaftskrise in den 30ern zahlreiche Banken überfielen und 14 Menschen ermordeten, sondern wegen dem Film von Arthur Penn aus dem Jahr 1967.
The Highwaymen erzählt die Geschichte nun aus der Sicht der Männer, die die beiden nach monatelanger Verfolgung in Louisiana zu Fall brachten. Der Film, der ab heute auf Netflix abrufbar ist, mag vielleicht nie den kulturellen Einfluss eines Bonnie und Clyde erreichen. Kann er uns trotzdem fesseln?
Jänner 1934: Das Verbrecherpärchen Bonnie (Emily Brobst) und Clyde (Edward Bossert) ist im Süden der USA bereits seit zwei Jahren auf Raub- und Mördertour. Jeder Versuch die beiden zu fassen scheiterte. Während die texanische Regierung rund um Gouverneurin Miriam “Ma” Ferguson (Kathy Bates) eine Krisensitzung nach der anderen abhält, feiert die Bevölkerung die beiden Kriminellen. In Zeiten der Wirtschaftskrise stehen die beiden gegen jenes System, das dieses unsägliche Elend über die Menschen gebracht hat.
Nach einem Überfall auf die Gefängnisfarm Eastham, bei dem zwei Wärter getötet und etliche Häftlinge befreit werden, reaktiviert die Regierung den bereits in Pension geschickten, legendären Texas Ranger Frank Hamer (Kevin Costner). Er soll die beiden ein für alle Mal zur Strecke zu bringen. Gemeinsam mit seinem ehemaligen Partner Maney Gault (Woody Harrelson) begibt sich Hamer zurück auf die Straße und auf die Spur des Duos und seiner Bande. Dabei müssen sie sich nicht nur mit einer Horde jüngerer Agents und deren modernen technischen Spielereien herumschlagen, sondern auch mit falschen Fährten, wenig Unterstützung aus der Bevölkerung und der Frage, ob sie noch die richtigen für den Job sind.
Auf den ersten Blick verwundert es vielleicht, warum ein Film über die Verfolger des berühmten Duos interessant oder relevant sein könnte. Doch aus historischer Sicht erfahren Frank Hamer und seine „Gibsland Truppe“ an Mitstreitern hier endlich eine ihnen lange zustehende Gerechtigkeit.
Bonnie und Clyde gilt als Meilenstein der Filmgeschichte und als einer der ersten Filme, die die Ära der New Hollywood Bewegung einläuteten. Das alte Studiosystem war am Ende und die jungen Filmemacher begannen gesellschaftlich kritischere Filme zu drehen. So romantisierte auch Penn seine beiden Protagonisten, dargestellt von Warren Beatty und Faye Dunaway, zu Gegnern des Systems und stellte den hochdekorierten Frank Hamer als inkompetent und lächerlich dar. Hamers Witwe klagte das Studio daraufhin wegen Rufschädigung. The Highwaymen stellt das nun richtig, wenn vielleicht auch mit weniger Schwung und Sex-Appeal.
Ungleich seines Vorgängers aus den 60ern ist The Highwaymen eine Geduldsübung im Schauen. Ähnlich wie Roma, der ebenfalls für Netflix gedreht wurde, bietet der Film nicht den poppigen Hintergrundcanvas für einen gechillten Netflixabend, sondern verlangt durchaus Konzentration. Hancock hat einen sehr langsamen Film gedreht, der eher von den leisen Tönen lebt und von der Chemie seiner beiden Hauptdarsteller, als von knalligen Actionsequenzen und überschwelliger Erotik.
In langen und weiten Sequenzen arbeiten sich Hamer und Gault durch die endlosen Prärien Texas und Kansas und die Sumpflandschaft Louisianas vor. Sie tingeln von Niemandsland zu Niemandsland. Wenn sie einmal in Orten oder Auffanglagern für Krisenopfer landen, schlägt ihnen meist Elend oder offene Feindschaft entgegen. Das langsame Tempo mag sich zwar manchmal etwas ziehen, der Film schwingt aber jedes Mal wieder zurück bevor es Überhand nimmt.
Kommt es doch einmal zu Konfrontation und Verfolgungsjagden, bietet die Kamera stoisch ein klares Bild des Geschehen. Statt in kontemporäre rasante Bildschnipsel zu verfallen, weiß der Zuschauer immer, wo er ist und was passiert. Nicht nur die Optik beschwört alte Zeiten herauf. Seher des Originals kommen sogar in den gelegentlichen Genuss des transatlantischen Akzents, ein Relikt des alten Hollywoods. Diese Art Burgtheaterdeutsch des amerikanischen Kinos ging schon vor Jahrzehnten in Rente.
Hamer und Gault selber sind „good old Texas boys”, deren beste Zeit bereits hinter ihnen liegt. „Haben wir es nicht mehr drauf“, fragt Gaunt etwa an einer Stelle seinen Partner, nachdem Bonnie und Clyde ihnen in einer Verfolgungsjagd entwischen. Hancock widersteht dem Drang, diesen Umstand als Auflage für schlechte Witze zu verwenden. Sein Gault hat zwar einen altersbedingten ständigen Harndrang, der immer wieder für humoristische Intermezzo sorgt, aber sowohl er als auch Hamer können sich durchaus noch mit ihren jüngeren Nachfolgern messen. Und, wenn es die Situation erfordert, mit dem ein oder anderen Gegner prügeln.
Doch nicht nur die Darstellung der beiden Highwaymen drückt dem Film seinen Stempel auf. Die Nicht-Darstellung Bonnie und Clydes ist ebenso signifikant. Die Figuren werden nie als Charaktere gezeigt. Die Kamera schwebt immer nur über ihren Silhouetten und den markanten Details wie etwa Bonnies humpelndem Bein. Das Duo wird somit zu einer Aura, einem Mythos und einer unbekannten Bedrohung, die über dem Land liegt.
Erst in ihrem Tod werden sie Figuren aus Fleisch und Blut. Und auch hier versteht Hancock, zwischen der fast fanatischen Anhängerschaft in der Bevölkerung und dem eiskalten, stoischen Gesetzesarm zu wandeln, ohne einer Seite Recht zu geben. Ob er ein Interview geben wolle, fragt ein junger Polizist Hamer. „Schämen Sie sich,“ antwortet ein angewiderter Gault.
Das Jahr mag vielleicht 1934 sein, aber der Film spielt ein zeitloses Lied. Die Frage nach der eigenen Rolle in der Gesellschaft, die Glorifizierung von jenem, das uns eigentlich mehr schadet als hilft und welche Opfer das Gemeinwohl bringen muss gelten auch heute. The Highwaymen ist an manchen Stellen zwar etwas langatmig, bietet aber für alle, die sich darauf einlassen, ein gut gemachtes Historiendrama. (sg)
Hier unsere Netflix-Reviews im Überblick:
Auslöschung
Bird-Box
Cargo
Die Woche
How It Ends
Mogli
Outlaw King
Private Life
Sierra Burgess Is A Loser
The Ballad Of Buster Scruggs
The Christmas Chronicles
To All The Boys I’ve Loved Before
Triple Frontier
Alle Fotos: © Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.