Vom atmosphärischen Horrorklassiker The Grudge ist 2020 nicht mehr viel übrig. Der aktuelle Ableger des japanischen Gruselschockers von Nicolas Pesce scheitert vor allem am chaotischem Drehbuch und dem uninspirierten Recycling der Schockmomente des Originals. Löblich ist nur die hohe Produktionsqualität. Unsere Kritik.
von Sophie Neu
10. Jänner 2020: Oft hört man, dass Horrorfilme, die Anfangs des Jahres erscheinen, verflucht sind – denn selten erweisen sie sich als sehens- oder erinnernswert. Und auch der neue Teil der The Grudge-Reihe fällt diesem Fluch zum Opfer. Denn abseits von kompetenten Schauspielern und hochwertigen Requisiten und Sets hat Nicolas Pesces (Eyes of my Mother) erster Versuch am Franchise nicht viel Positives vorzuweisen. Die einzigen Schockmomente werden durch einzelne, klischierte Jump Scares erzeugt. Spannung sucht man während des neunzigminütigen Films vergeblich.
Warum für die Helden der Freizeit Pesces Schöpfung nur eine fahle Nachahmung des Originals ist, lest ihr in unserer Kritik zu The Grudge von 2020. Übrigens: Falls ihr Horrorfilme liebt – hier findet ihr unser Ranking der größten Horrorklassiker aller Zeiten.
Wie schon im Original der The Grudge-Reihe hält sich das Reboot von 2020 nicht an einen einzigen Handlungsstrang. Vielmehr wird episodisch erzählt, wie die Polizistin Muldoon (Andrea Riseborough) mit ihrem Sohn Burke (John J. Hansen) in eine neue Stadt zieht und dort in einen Fall verwickelt wird, der ihr Weltverständnis auf den Kopf stellt. Denn nachdem sie ein Haus betritt, in dem sich ein grausamer Familienmord zugetragen hat, beginnt sie Dinge zu sehen und hören, die sie an ihrem Verstand zweifeln lassen. Sie versucht daraufhin, den Grund für die übernatürlichen Ereignisse zu identifizieren. Nach und nach wird klar, dass sie nicht die Einzige ist, die von diesem Fluch heimgesucht wurde. Denn vor ihr haben das Haus und seine verfluchten Bewohner bereits weitere Opfer gefordert.
Man kann durchaus argumentieren, dass die neue Version von The Grudge auf Neueinsteiger in die Filmreihe gruselig wirken kann. Denn sie kennen die Schockmomente der Vorgänger nicht. Doch für Eingeweihte ist der neue Teil primär eines: Langweilig. Denn im Endeffekt brilliert er vor allem darin, so ziemlich alle Schocker der ersten beiden Filme zu recyclen. Die bekannte Badewannenszene zum Beispiel sorgt bei Kennern nicht mehr unbedingt für Spannung. Das wäre vielleicht vertretbar, würde es sich wirklich um einen konsequenten Reboot der Serie handeln. Dem ist leider nicht so.
Vielmehr setzt The Grudge irgendwo in der Mitte an und will eine durchschnittliche amerikanische Familie zur neuen Kayako (der Geist aus den ersten Teilen) erheben. Während man sich im Original vor den unnatürlichen Verrenkungen der dünnen langhaarigen japanischen Frau fürchtete, soll man sich in der 2020er Version vor einem leicht untersetzten Durchschnittsamerikaner, der im Flanelhemd umherschlurft (David Lawrence Brown), gruseln. Erwartungsgemäß geht diese Rechnung nicht auf. Unverständlich ist der starke Fokus auf den männlichen Charakter – vor allem dann, wenn man berücksichtigt, wie unheimlich seine Frau (Tara Westwood) und Tochter (Zoe Fish) aussehen. Vor allem letztere erinnert öfters an die Zwillinge aus Stanley Kubricks The Shining .
Diese visuelle Qualität liegt allerdings vor allem an den talentierten Makeup-Artisten und der Kameraarbeit, die das Maximum aus The Grudge herausgeholt haben. Sowohl die grausigen Fratzen der bösen Geister, wie auch die sehr detailreichen und unappetitlich aussehenden verwesenden Leichen, die einem immer wieder im Film begegnen sind optisch beeindruckend. Und auch die Kulissen schaffen ein angenehm unheimliches Umfeld. Vor allem das verfluchte Haus erinnert mit seinen großen Bleiglasfenstern an die erste Staffel von American Horror Story. Doch so atmosphärisch der Horrortitel aussieht, so wenig darf man sich genauer mit dem Inhalt befassen.
Denn der mutet oft mehr wie eine in 90 Minuten gequetschte Netflix-Serie an. Dementsprechend werden viele unterschiedliche Handlungsstränge aufgeknüpft, die dann im Anschluss maximal unbefriedigend gelöst werden. Oft kann man der internen Logik des Films nicht mehr ganz folgen. Vor allem die Geschichte rund um die Makler (John Cho und Betty Gilpin – bekannt u.a. aus GLOW) des verfluchten Hauses lässt so einige Fragen offen. Dadurch bleibt auch der eigentliche Hauptcharakter Muldoon im Endeffekt dem Zuschauer fremd.
Schade, denn Andrea Riseborough gibt sich sichtbar Mühe mit dem Charakter. Und auch anderweitig sind die schauspielerischen Kompetenzen nicht Stein des Anstoßes. Überzeugend und viel zu wenig im Film zu sehen ist etwa auch Muldoons Partner, Goodman (Démian Bichir).
Gruselig ist an The Grudge im Endeffekt nur die Abwesenheit jeglicher Horrorspannung. Wo man bei guten Filmen des Genres einen langsamen Aufbau zu Schockmomenten genießt, reihen sie sich hier im Minutentakt aneinander. Ganz so als ob es eine Liste an Schockern abzuarbeiten gäbe, die unbedingt untergebracht werden müssen. Das raubt jede Immersion. Die einzigen Szenen, in denen man sich erschrickt, sind billig platzierte Jump Scares, die aber im Gesamtwerk nichts zur Horroratmosphäre beitragen.
Statt sich neue Schocker auszudenken, setzt Pesce lieber auf eine Mischung aus abgenutzten Jump Scares und Recycling der ersten Teile des ehemals erfolgreichen Franchises. Da können weder die schauspielerischen Künste von Riseborough und Co. noch die talentierten Setdesigner das Gesamtpaket retten.
Finales Urteil: Der Reboot lohnt sich wenig für eingefleischte Fans des Franchises, Neueinsteiger können sich vielleicht vom ein oder anderen Schocker überraschen lassen.
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Bilder: © 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH / Allen Fraser
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.