The Gray Man schafft ein Kunststück. Der wilde Action-Cocktail mit Ryan Gosling ist trotz Mega-Budget, stilvoller Action und Top-Cast erstaunlich durchschnittlich, unkreativ und austauschbar. Der teuerste Netflix-Film aller Zeiten will vieles sein und ist dann doch nichts richtig. Warum, liest du in unserer Review.
von Christoph König
Eines muss man The Gray Man lassen – er hält sich nicht zu lange mit Handlungsgeplänkel auf. Nach einer ruhigen Anfangsszene, in der wir schnell erfahren, um was es geht (verurteilter Mörder wird vom CIA vorzeitig aus dem Gefängnis geholt und als Auftragskiller rekrutiert), springen wir in die Zukunft ins bunte Bangkok. Es beginnt ein rasantes Actionfeuerwerk (im wahrsten Sinne des Wortes, es ist ja gerade Silvester) bei dem sich Ryan Gosling in John Wick Manier zu seinem Zielobjekt durchkämpft. Zuvor bekommen wir gleich mit, dass er doch nicht so skrupellos ist, wie es die steinerne Killermiene erahnen lässt. Okay, sonderlich kreativ ist das nicht – aber nach den ersten Minuten lebt die Hoffnung, dass das einer der besseren Actionstreifen ist.
Action-Konkurrenz kommt außerdem von Bullet Train mit Brad Pitt – hier unser Review! Und auf Netflix gibt es noch einen starbesetzten neuen Blockbuster – hier unsere Kritik zu Day Shift.
Einer, den man sich wegen der atemberaubenden Stunts am besten im Kino ansieht, wo er bereits für einer Woche gestartet ist. So könnte das Fazit sein. Das wäre aber zu kurz gegriffen. Von einer 200 Millionen Doller Produktion der Russo-Brüder (Avengers: Infinity War und Avengers: Endgame) erwarten wir uns mehr als Durchschnittsware. Denn: Gelungene Actionfilme haben alle ihr Alleinstellungsmerkmal. Sei es das Paradebeispiel für “In welche Scheiße bin ich jetzt wieder geraten?” Stirb Langsam, die realistisch guten Old-School Stunts von Tom Cruise (aktuell zu bestaunen in Top Gun Maverick), die raffinierten Tricks eines James Bond oder eben die Pistolenfechtkunst von Keanu Reeves.
The Gray Man bedient sich ein bisschen von allem. Warum sich nach der 129 Minuten langen Sichtung doch Ernüchterung einstellt, liest du in unserer Kritik. Was rennt sonst neu auf Netflix? Hier unsere große Programmübersicht. Und hier alle neuen Kinostarts im August.
Um was geht es genau? Six (Ryan Gosling) wird von Donald Fitzroy (Billy Bob Thornton) vorzeitig aus dem Gefängnis geholt, um bei Geheimoperationen die Drecksarbeit für die CIA zu erledigen. Nachdem sich eines von Six’ Opfern als Berufskollege Four entpuppt, der ihm im letzten Atemzug belastendes Material gegen den gemeinsamen Vorgesetzten Denny Carmichael (Rege Jean Page) zusteckt, wird Six plötzlich selbst zum Gejagten seiner Organisation.
Von ihrem Boss Carmichael schwer unter Druck gesetzt, hetzt Suzanne Brewer (Jessica Henweck) den sadistischen Folterknecht-Killer Lloyd Hansen (Chris Evans) auf Six. Der ist mit seinen brachialen Methoden die Gegenthese eines unauffälligen Agenten und schreckt vor nichts zurück. Feuerkräftige Rückendeckung bekommt Six von Kollegin Dani (Ana de Armas) und Fitzroy. Doch als Lloyd dessen Tochter Claire (Julia Butters) entführt, die Six früher als Bodyguard beschützt hat und die ihm dabei ans Herz gewachsen wird, ist Schluss mit lustig.
Wer meint, der Plot kommt einem irgendwie bekannt vor, liegt richtig. The Gray Man ist ein Cocktail, der sich von überall bedient. Ein bisschen John Wick hier, unzählige Schauplätze in aller Welt wie bei James Bond oder Mission Impossible da. Der Sprung samt Schurken-Entledigung aus einem brennenden Flugzeug und ein paar coole Sprüche zwischendurch. Das alles könnte durchaus funktionieren – und doch zieht sich der Film wie der Wassermelonen-Kaugummi auf dem Six so gerne herumkaut.
Denn mal ehrlich: Das haben wir alles schon besser gesehen. Die Action mit den tollkühnen Kamerafahrten ist ja durchaus mitreißend und rasant, das CGI aber dann doch nicht gut genug, um zu beeindrucken. Es wirkt in vielen Szenen einfach zu aufgesetzt. Und wie man richtig auf John Wick macht, hat Bob Odenkirk in Nobody meisterhaft vorgezeigt (Stichwort: Busszene!). Wenn, dann so. Was an Handlung und Charakterentwicklung fehlt, können spektakuläre Schüsse aus der Panzerfaust nicht wettmachen.
The Gray Man hetzt von einem Schauplatz und einer teuren Actionszene zur nächsten und lässt dabei viel Potenzial liegen. Einzig die Beziehung zwischen Six und Claire (gut gespielt von Julia Butters) hat das Zeug mitzureißen, wird dann aber zu lieblos abgehandelt. Aus der Kategorie “Auftragskiller mit Herz beschützt Mädchen” empfehlen wir lieber Leon der Profi – falls wer einen unserer 100 liebsten Kultfilm noch nicht kennt. Wieder so ein Hit von dem sich The Gray Man etwas abschaut, mit dem er es aber nicht aufnehmen kann.
Wer sieht, in welche Richtung die neuen Netflix-Filme gehen, der wünscht sich fast, der Streaming-Gigant hätte weniger Budget zur Verfügung. Dann müsste er wieder kreativer sein. Dass er das durchaus kann, hat er ja schon bei diesen Perlen bewiesen. Mit 200 Millionen Dollar austauschbares Mainstream-Actionkino zu produzieren, kann nicht der Anspruch sein. Nicht falsch verstehen: The Gray Man ist durchaus unterhaltend. Doch in vielem, was er aufgreift, sind andere besser. Wer auf gutes Actionkino alter Schule steht, dem empfehlen wir lieber Top Gun Maverick – und wer spannendere Geschichten und Charaktere sucht, schaut besser eine dieser hervorragenden Netflix-Serien.
Wer etwas abseits von Mainstream sucht und auf Fantasy steht, kann aktuell bei der neuen Serie Sandman einen Blick riskieren – hier unser Review.
Das erfährst du in den Reviews, Monatsvorschauen und Bestenlisten in unserem Seher-Bereich. Da schenken wir dir immer reinen Wein ein:
Ranking: Die legendärsten Tarantino-Filme
House of the Dragon Kritik – So gut ist die Game of Thrones Serie
Resident Evil Serie – so schlecht wie befürchtet?
20 Netflix-Miniserien, die dich garantiert fesseln
Die schönsten Freiluftkinos in Wien
Überraschender Alien-Horror: NOPE Kritik
Thor: Love and Thunder – Review
Horror-Geheimtipp Hatching
Die größten Kampfsport-Filmstars aller Zeiten
Alle Fotos: (c) Netflix
Der Chefredakteur der Helden der Freizeit hat das Onlinemagazin 2016 ins Leben gerufen und ist seit 2000 als Sportjournalist im Einsatz. Bei heldenderfreizeit.com ist er spezialisiert auf actiongeladene Outdoor-Aktivitäten, Ausflüge, Videos, Spiele, Filme, Serien und Social Media.