Der Kampf gegen die Superhelden “The Seven” ist noch nicht ausgestanden. Die Widerstandsgruppe The Boys rund um Butcher und Hughie muss auch in der zweiten Staffel gegen die Truppe mit Superman-Verschnitt Homelander antreten.
von Susanne Gottlieb
5. September 2020: Superhelden-Überdruss? Verständlich. Es ist immerhin fast unmöglich dem Genre in Film und Fernsehen noch zu entkommen. Aber dann gibt es da auch solche Lichtblicke wie The Boys, die eigentlich gar keinem klassischen Helden-Narrativ folgen und vielmehr die ganze Illusion rund um Altruismus und Götterstatus in der Luft zerreißen. Wie würde die Welt aussehen, wenn es wirklich übernatürlich begabte Menschen geben würde? Und was für Menschen wären sie, fragte schon Staffel 1. Die Antwort: arrogante, selbstverliebte, teils sogar psychopathisch veranlagte Millionen-Dollar-Werbeträger mit eigener Agenda.
Diese durchaus nachvollziehbare Annahme, gepaart mit schwarzem Humor und der einen oder anderen nicht jugendfreien Szene, und schon hatte man einen der amüsantesten Hits des letzten Serienjahres. Nun gibt es ein Wiedersehen mit der Truppe. Nicht ganz so flott wie ihr Einstand, aber immer noch unterhaltsam. Mehr dazu in unserer Kritik zu The Boys Staffel 2. Die ist gerade auf Amazon Prime gestartet. Die ersten drei Folgen sind bereits seit 4. September online, eine weitere folgt jede Woche. Wir durften bereits die gesamte Staffel sichten und haben uns für euch ein umfassendes Bild gemacht.
Am Ende der letzten Staffel wurden die Boys getrennt, als Billy Butcher (Karl Urban) von Homelander (Anthony Starr) entführt wurde, Mother’s Milk (Laz Alonso) und Frenchie (Tomer Capon) festgenommen wurden. Hughie (Jack Quaid) schaffte es erfolgreich die beiden zu befreien. Gemeinsam mit Kimiko (Karen Fukuhara), ihrem einzigen weiblichen und übernatürlich begabten Mitglied, leben sie nun im Untergrund.
Butcher hat inzwischen feststellen müssen, dass seine Frau Becca doch noch am Leben ist und ihren gemeinsamen Sohn mit Homelander, gezeugt durch eine Vergewaltigung, großzieht. Er möchte, dass sie mit ihm geht, aber das erweist sich als schwerer als erwartet.
Bei den Seven hat sich auch einiges getan. Annie (Erin Moriarty) plant, Vought das Handwerk zu legen, nachdem sie erfahren hat, dass Superhelden nicht geboren, sondern mit Compound V geschaffen werden. The Deep (Chace Crawford) versucht noch immer einen Weg zurück in die Gemeinschaft der Seven zu finden. Und Homelander muss erstmals mit seiner Popularität kämpfen. Vor allem, da dem neuen Seven-Mitglied, der unangepassten Stormfront (Aya Cash), die Herzen der Menschen dank ihrer Social-Media-Skills zufliegen. Doch nicht alles dreht sich um Likes und Shares bei dem Neuzugang. Stormfront scheint von dunklen Machenschaften zu wissen, die sowohl die Boys als auch die Seven bedrohen könnten.
Wer gedacht hat, dass sich in der zweiten Staffel so etwas wie Normalität einstellt, der irrt. Auch hier wird wieder intrigiert, mit Werbekunden in die Kamera gelächelt und zwischenmenschliches Drama ausgefochten. Daz ein Gegner auf plastische Weise zerstückelt und auch der ein oder andere Wal muss schon mal daran glauben. Serienschöpfer Eric Kripke taucht noch tiefer in die absurde Welt, der medial inszenierten Cash-Cow Superheldentum ein.
Nicht nur persifliert er diesmal auch das finanzielle Imperium Spiritualität und gekaufte Erlösung, er lässt seine Helden, angelehnt an die DC- und Marvel-Dominanz unseres Alltags, auch einen Superheldenfilm drehen. Nach einer kurzen Anspielung in der ersten Staffel, in der A-Train rassistisch angemotzt wird als er nicht im Kostüm steckt, wird auch das Thema Rassismus und White Supremacy geschickt stärker mit der Handlung verwoben.
War die erste Staffel noch in erster Linie der genüsslichen Demontage der Superheldenklischees und dem gegelentlichen Nicken in Richtung Realität gewidmet (so tauchten Adaptionen der realen US-Politiker Chuck Schumer, Nancy Pelosi oder Alexandria Ocasio-Cortez auf), so widmet sich die zweite Staffel vornehmlich dieser.
Die Manipulation von Menschen mittels Medien, die einen jungen Mann zu einer Schießerei inspirieren, die Trump-Rhetorik, dass nur illegale Immigranten alles Terroristen sind (in dem Fall Terroristen mit Superkräften), die Radikalisierung der Polizeieinheiten oder die Spaltung der Gesellschaft, wie wir sie aus dem Alltag kennen. Kripkes Universum nimmt sich all dieser Themen an. “Er könnte auf die 5th Avenue scheißen und sie würden ihm eine Parade schmeißen”, sagt einer der Boys über Homelander. Der Satz sollte die eine oder andere Parallele im Kopf der Zuschauer entzünden.
Was Kripke diesmal nicht gelingt, ist diese gesellschaftlichen Observationen und Kritiken in einen geradlinigen Plot zu gießen. Es ist, als hätte er zu viele Ideen auf einmal gehabt, die er alle anreißen möchte, aber nur stückchenweise zu Ende führen kann. Nach viereinhalb Episoden ist man sich als Zuschauer noch immer nicht so sicher, was der gröbere zusammenhängende Handlungsbogen dieser Staffel ist. Gerade am Anfang verbringen die Boys noch sehr viel Zeit motzend und diskutierend in ihrem Kellerversteck. Hughie, dessen Funktion es war als Fisch auf dem Trockenen den Zuschauer in die Welt der Boys einzuführen, verliert dieses humanisierende Attribut und wandelt sich zu einem oft unerträglichen 24/7-Quengler.
Das ist insofern schade, weil die letzten drei Folgen dann nochmals ordentlich loslegen und sich der Grundkonflikt der Staffel zusammenhängend präsentiert. Hier wird wieder gekämpft, getreten, Seiten gewechselt und der Eingangsslogan der The Seven Werbeschaltung, “Girls get it done”, bewahrheitet sich auf unterhaltsamste Weise.
Die Staffel brilliert vor allem mit der eiskalten Brillianz von Starrs Homelander, der sich langsam zum Breakout-Star der Serie mausert und der sprühenden Energie von Neuzugang Stormfront. Die Serie profitiert auch davon Karen Fukuharas Kimiko weniger als wilder Superpsycho zu inszenieren, sondern ihre Wutanfälle und ihre Superkraft mehr in eine Charakterisierung und einen Handlungsbogen umzuformen.
The Boys bietet abermals viel Spaß und zerstörerische Unterhaltung, hätte aber von einem flotteren Eintritt in den gröberen Handlungsbogen profitiert. Die Fans werden aber voll auf ihre Kosten kommen. Streaming-Tipp für den Herbst!
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.