Wie kann man bei Missbrauch jahrelang wegschauen? Warum hat nie jemand etwas gesagt? Fragen über Fragen, die sich seit dem Harvey Weinstein Skandal viele Leute stellen. The Assistant ist zwar keine direkte Antwort darauf. Hat aber die eine oder andere Interpretation parat.
von Susanne Gottlieb
13. Oktober 2020: Dass mächtige Männer ihre Macht missbrauchen, dass junge Frauen oft in sexuelle Abhängigkeit und Gefälligkeit gedrängt werden, ist bekannt. Aber eine andere, fast vorwurfsvolle Frage, die immer wieder in den Raum geworfen wurde: Warum hat niemand etwas gesagt? Hat wirklich niemand etwas mitbekommen? Warum melden sich die Opfer erst Jahre später?
Die australische Regisseurin Kitty Green, die sich in ihrem Dokumentarfilm Ukraine is not a Brothel bereits mit feministischen Angelegenheiten im Rahmen der feministischen Bewegung in der Ukraine auseinandergesetzt hat, nähert sich dieser Frage aus der Sicht einer kleinen Personal-Assistant Angestellten. Und zeichnet auch gleichzeitig ein verstörendes Bild überfordernder, monotoner Bürokultur der Gegenwart.
Die junge Jane (Julia Garner, glänzt auch in der sehr starken Netflix-Serie Ozark – siehe hier unser Review) arbeitet seit fünf Wochen in einer angesagten New Yorker Filmagentur. Doch der vermeintliche Traumjob, um den sie laut HR Chef Wilcock (Matthew Macfadyen) hunderte Bewerber beneiden, ist alles andere als idyllisch. Abgesehen von den langen Arbeitsstunden (erster rein, letzer raus), scheint Jane für allerlei unangebrachte Aufgaben zuständig zu sein. Da wäre das Putzen und Wegräumen weiblicher Memorabilien auf der Couch ihres Chefs. Das ständige Kaffeekochen. Das Abwimmeln der Frau des Chefs am Telefon oder das Googeln, wie man Haushaltsgeräte repariert.
Ihr Boss lässt sich auch nur wenig blicken. Wenn Jane mit ihm interagiert, dann, wenn er sie am Telefon wegen Fehlern beschimpft oder wenn sie ihm Entschuldigungsemails schickt. Stets mit den Einwürfen ihrer männlichen Kollegen, die sie teils mitleidig, teils irritiert anstarren und gerne mal unliebsame Aufgaben an sie abladen.
Was für Jane das Fass zum Überlaufen bringt, ist die Ankunft der jungen Sienna (Kristine Froseth), ein gänzlich unerfahrenes Landei, der der Chef eine Position als weitere Assistentin angeboten hat. Zudem hat er sie in einem schicken Hotel in der Stadt einquartiert, wodurch sie die meiste Zeit nicht einmal im Büro anwesend ist. Während der Rest der Belegschaft krude Kommentare reißt, beschließt Jane die Sache zur Sprache zu bringen. Aber nicht jeder möchte wissen, was er eigentlich im Insgeheimen schon geahnt hat.
Ob Kitty Green als Regisseurin je einen 9-5 Arbeitsalltag im Büro hatte, ist unklar. Aber sie porträtiert mit akribischer Genauigkeit und bedrückenden Bildern die herzzerreißend erniedrigende Work Culture, die sich in den Gängen und Büros quer über den Globus breit macht. Ursprünglich als “scripted nonfiction” geplant, ist Green dann doch auf ein selbstgeschriebenes Skript umgeschwenkt, das dennoch eindeutig auf die Erzählungen und Erfahrungen von Frauen im Business zurückgreift.
Der Film lebt weniger von einem handlungstreibenden Set Piece nach dem anderen, sondern von seiner Monotonie, den leeren Blicken Janes. Der Traumjob, der sich als deprimierende Mädchen-für-alles-Position entpuppt. Sie wolle einmal Producerin werden, erklärt sie. In einem Büro, das in erster Linie von weißen Männern im mittleren Alter bevölkert scheint, schleichen sich da als Zuschauer Zweifel ein.
Dieses Machtgefälle, diese Ausbeutung zeigt Green auch auf der psychologischen Ebene. Wenn Jane in ihren Emails zu Kreuze kriecht, so bekommt sie stets Antworten der Chef, sie wären so hart zu ihr, weil sie so gut wäre. und Potenzial hätte. Abhängigkeit, der Durst nach mehr. Ein bisschen, wie wenn man seine Seele verkauft. Janes Selbstwert und das Vertrauen in sich selbst werden konstant untergraben. Wie soll man sich da noch effektiv gegen Unrecht im Büro erheben.
Green fängt so geschickt die heruntergekommene Qualität dieser Büros, das Schikanieren durch männliche Kollegen, die toxische Kultur ein. Ihre Sorgen um die junge Sienna werden von HR herablassend als Eifersucht und Hysterie abgetan. Vielmehr noch, um sich selber müsse sie sich sowieso keine Gedanken machen. „Du bist nicht sein Typ“, kommtentiert Wilcock trocken.
Der Mann, dessen Typ sie nicht ist, lässt Green geschickt außen vor. Wir hören seine wütende Stimme, wir erhaschen einen kurzen Blick auf seinen Hinterkopf, sehen ihn aber nie als Figur. Aber seine bedrohliche Präsenz wird durch die Abwesenheit seiner Visualisierung noch verstärkt. Ein dunkler Schatten, der einschüchternd über dem Büro liegt. Stattdessen rücken die Mechanismen in den Vordergrund, mit denen die Angestellten sich zu Mittätern machen und seine Kritiker verstummen lassen. Belästigung ist hier Teil des Business.
Ein großer Teil der Qualität des Films liegt auch in den fähigen Händen des Ozark Stars Julia Garner. Meist schweigend, und nur durch Blicke kommunizierend, zieht sie den Zuschauer hinein in die Schwere ihrer Existenz. Allein wie sie nervös in ihrem Bürosessel herumrutscht, die geistige Belastung der Telefonate, die unsicheren Blicke über die Schulter. Sie kreieren eine Person, deren toxisches Umfeld auch den Zuschauer im Kinosessel beizeiten lähmen.
The Assistant ist ein großartiger, aber inhaltlich ruhig gehaltener Film der darlegt, wie leicht Missbrauch und Belästigung unter den Teppich gekehrt werden können. Vor Weinstein, und sicher auch noch lange nach ihm.
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Bilder: © 2020 Polyfilm
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.