Christopher Nolan sprengt mit seinem Blockbuster nicht nur unser Verständnis von Raum und Zeit, sondern auch so einige Vehikel und Gebäude. Wie uns der Actionthriller vom Inception-Schöpfer gefallen hat.
von Sophie Neu
Sehnsüchtig haben die Nolan-Fans auf Tenet gewartet. Immer wieder mussten sie wegen Corona um den Kinostart des vielumworbenen Blockbusters fürchten. Doch im Gegensatz zu Disneys Mulan fiel die Entscheidung bei Tenet glücklicherweise doch noch für einen Start in den Lichtspielhäusern.Christopher Nolan versteht es, wie kein anderer, die Soundkulisse um die Kinosessel der Zuschauer zum Leben zu erwecken. Aber auch abseits der Tonqualität weiß Tenet zu überzeugen, wie du in unserer Kritik erfährst.
Explosionen, wilde Schießereien und Verfolgungsjagden – so weit, so normal für einen Actionfilm. Aber da hört das Gewöhnliche in Tenet auch schon auf. Denn der namenlose Protagonist (John David Washington) gerät nach einer Mission für einen Geheimdienst an die mysteriöse Gesellschaft Tenet. Die versucht mit teils zwielichtigen Mitteln den drohenden Weltuntergang zu verhindern. Denn durch eine mathematische Formel wurde die Möglichkeit entdeckt, die Zeit zu invertieren. Wie es in Actionfilmen üblich ist, gelangt die Technologie in die Hände des Waffenhändlers Andrei Sator (Kenneth Branagh), der damit den Weltuntergang herbeiführen will. Gemeinsam mit dem enigmatischen Neil (Robert Pattinson) begibt sich der Protagonist auf eine Reise um den Globus und durch die Zeit, um die Welt zu retten.
Wer einen typischen Nolan erwartet (hier unser Ranking seiner bisherigen 10 Filme), wird bei Tenet nicht enttäuscht. Denn der Actionstreifen unterhält nicht nur, er zwingt den Zuschauer auch gleich zum Nachdenken. Ähnlich wie in Inception spielt der Regisseur mit unseren althergebrachten Vorstellungen, wie Raum und Zeit funktionieren und stellt sie einfach auf den Kopf. Und trotzdem ergibt das Zeitumkehren wie es in Tenet funktioniert Sinn. Dabei unterscheidet es sich grundlegend von allen bisher in Filmen und Literatur gezeigten Vergangenheitstrips. Nolan nutzt dabei nämlich die Möglichkeiten des Mediums Film voll aus. Zeitmanipulation funktioniert hier vielmehr wie die Rückspultaste auf der Fernbedienung. Der Protagonist kann in eine invertierte Version der Realität reisen, in der alles um ihn herum sich zurückspult, also die Zeit von der Gegenwart in die Vergangenheit läuft. In jedem anderen Medium, ob in der Literatur oder als Hörspiel, wäre diese Idee unmöglich zu kommunizieren.
Man kommt nicht umhin zu bewundern, wie viel Kleinstarbeit in die Szenen investiert wurde, in denen die invertierte und die „normale“ Welt aufeinandertreffen. Erst nach und nach verstehen wir, wie die Handlung in Tenet zusammenhängt. Wir entwirren gemeinsam mit dem Protagonisten die vielen Verstrickungen der Geheimorganisation Tenet und des Antagonisten Sator. Auch hier hat Nolan die Erzählung schlau angelegt. Denn der Protagonist weiß zu Beginn genauso wenig über die invertierte Dimension der Zeit wie der Zuschauer. Stückweise werden wir in die komplexe Materie und ihre praktische Umsetzung eingeführt. Es fängt bei einer einzigen Pistolenkugel an, die zurück in die Waffe fliegt und mündet in einer größeren militärischen Operation, die gleichzeitig in der „gewöhnlichen“ und der invertierten Zeitachse stattfindet. Allein auf technischer Ebene fasziniert die Umsetzung dieser gleichzeitig ablaufenden Zeitdimensionen. Etwa bei einer Verfolgungsjagd über die Autobahn, bei der die Hälfte der Autos invertiert – also in die Vergangenheit – fährt.
Typisch Nolan ist aber auch, dass manche Charaktere in der Erzählung eher nebensächlich sind und im Endeffekt nur dazu dienen, sein spannendes Zeitreise-Konzept in einen Kontext zu setzen. In Anbetracht des großartigen Resultats kann man es ihm aber nicht übelnehmen, dass der Protagonist, Neil und auch Sators Ehefrau Kat (Elizabeth Debicki) im Vergleich zur Grundidee von Tenet etwas blass zurückbleiben. Das liegt allerdings keinesfalls an den Schauspielern, die durchgehend stabile Leistung bringen. Vor allem Washington und Branagh stechen hier positiv hervor.
Trotzdem schmälert das dieses filmische Erlebnis nicht wirklich. Dafür ist man viel zu sehr darauf konzentriert, die Handlung zu durchschauen und die gebotene Action zu genießen. Denn von letzterer gibt es mehr als genug. Und bombastisch ist sie auch. Egal ob edle Opernhäuser in die Luft gejagt werden oder ein riesiges Frachtflugzeug in ein Gebäude hineingesteuert wird, in Tenet reiht sich ein visuelles Spektakel an das nächste. Dabei erinnern die Einstellungen immer mal wieder an bisherige Nolan-Hits wie Inception, Dunkirk oder die Batman-Reihe. Nicht weniger beeindruckend ist da, dass der Regisseur auf Greenscreens verzichtet, die in so vielen Blockbustern Standard sind.
Nicht zuletzt trägt auch der großartige Soundtrack zur stimmigen Atmosphäre von Tenet bei. Gerade der dürfte aber außerhalb der Kinosäle einiges an Wirkkraft verlieren. Wie selten ein Film zuvor nutzt Tenet den IMAX-Effekt aus. Im entsprechenden IMAX-Raum fühlt man sich von der Soundkulisse komplett umgeben. Das fängt bei der herzbeschleunigenden Elektro-Musik an und hört beim vibrierenden Dröhnen der gefahrenen Autos auf. Dadurch steigert sich die Immersion für uns Zuschauer noch einmal deutlich.
Tenet ist ein beeindruckender Nolan-Film – für Fans ein Muss. Aber auch alle Action-Freunde werden den faszinierenden wie verwirrenden Sci-Fi-Streifen genießen. Obwohl die Story an sich eine tausendfach erzählte ist, schafft es Nolan mit seinem genialen Zeit-Spin, den Film in ein Must-See zu verwandeln. Unsere Empfehlung: Unbedingt einmal im Kino anschauen – zuhause wird der Sound nicht halb so eindrucksvoll sein wie im Kinosaal, insbesondere bei gigantischen Surround-Anlagen wie im IMAX.
In unserem Seher-Bereich findest du noch mehr Reviews zu Filmen und ob wir sie euch empfehlen können:
Stage Mother: Diese Show ist nicht zu retten
Project Power: Passabler Superkräfte-Thriller ohne Tiefe
Bilder: ©2019 Warner Bros. Entertainment/ Melinda Sue Gordon
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.