Jugendsünden sind ihr Vollzeitjob. Seit 2013 veranstaltet die Tirolerin Diana Köhle Tagebuch-Slams in ganz Österreich und begeistert damit ihr Publikum, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer peinliche Erinnerungen und Eskapaden aus ihrer Pubertät vorlesen. Unsere Heldin des Monats im Interview.
von Stefanie Riegler, 8. 4. 2025
“Liebes Tagebuch, heute ist mir etwas echt Peinliches passiert.” Wer kennt sie nicht, die dramatischen, schwärmerischen oder skurrilen Einträge aus der eigenen Jugend? Beim Tagebuch-Slam werden genau diese literarischen Jugendsünden auf der großen Bühne präsentiert.
Veranstalterin Diana Köhle (45) hat aus heimlichen Teenager-Geheimnissen ein Kult-Event erschaffen und nimmt dabei das Publikum auf eine peinlich-amüsante Zeitreise in die Abgründe der eigenen und fremden Pubertät mit. Nie war Fremdschämen lustiger.
Das Konzept ist einfach erklärt. Beim Slam lesen jeweils zwei Kandidat:innen “gegeneinander” aus ihren mindestens fünf Jahre alten Tagebüchern vor. Das Publikum entscheidet per Applaus, welche Einträge ihnen besser gefallen. 2013 erstmals in Wien auf die Bühne gebracht, ist das Format auch nach vielen Jahren unverändert erfolgreich. Mittlerweile findet die Veranstaltungsreihe quer durch die Bundesländer in verschiedenen Locations statt. Hier die aktuellen Termine.
Aber wie kam Diana Köhle auf diese geniale Idee? Und was macht den Reiz daran aus, wenn Erwachsene ihre peinlichsten Momente vor wildfremden Menschen vorlesen? Wir haben Diana Köhle in ihrem Lieblingscafé, dem Café Eiles in Wien-Josefstadt, zum Interview getroffen. Schau dir unbedingt auch unseren witzigen Video-Wordrap hier auf TikTok oder hier auf Instagram mit ihr an.
Als ich 2003 von Innsbruck nach Wien übersiedelt bin, habe ich den Poetry Slam vermisst. In Tirol hat den nämlich mein Bruder organisiert. Als ich dann eines Nachts mit einer Freundin durch Wien gezogen bin, haben wir beschlossen, wir machen das jetzt hier. Gemeinsam mit textstrom sind daraus 2004 die österreichischen Slam-Meisterschaften im WUK entstanden.
Neben der Veranstaltungsreihe Slam B habe ich ein Projekt mit dem Namen Slam P.anoptikum betreut, wo ich mir jedes Monat ein anderes Slam-Format ausgedacht habe und eines davon war der Diary Slam.
“Das Leben war hart in den Bergen. Ich hatte wenig Gleichgesinnte.”
Meine Eltern haben mir dann eine ganze Kiste mit den Tagebüchern aus meiner Jugend nach Wien geschickt und beim Reinlesen hab ich festgestellt: “Das Leben war hart in den Bergen. Ich hatte wenig Gleichgesinnte, aber sehr viel Zeit zum Tagebuch schreiben (lacht).” Da habe ich einige Freundinnen gefragt und natürlich auch Leute aus der Slam-Szene, ob sie nicht aus ihren Tagebüchern vorlesen wollen und so fand dann der erste Tagebuch-Slam am 5. 4. 2013 im Brut Konzerthaus statt.
Ja. So gut, dass mich am nächsten Tag sämtliche Leute darauf angesprochen haben. Gleich danach hat das TAG Theater angerufen. Ein paar Monate später war dann David Schalko im TAG im Publikum, der meinte, das wär doch was fürs Fernsehen – und kurz darauf gab es in der Dienstagnacht einige Folgen im ORF. Damals hatte ich noch einen 40-Stunden-Job in einem Designbüro und war für die PR zuständig. Nach der ersten Ausstrahlung wurde ich ins Büro zitiert, weil die gar nichts von meinen Veranstaltungen wussten.
Irgendwann habe ich meinen Job gekündigt und bin mit dem Tagebuch Slam durch die Bundesländer getourt. Es ist einfach das Lustigste, was es in meinem Leben gibt. Wir lachen nicht übereinander, sondern miteinander und das macht diesen Event aus. Jeder hat dabei seine “5 Minutes of Fame”. Ich hab ganz viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die gerne wiederkommen.
Ich bin eine der wenigen Poetry-Slam-Veranstalterinnen, die selbst nicht auftritt. Ich hab auf der Uni und in der Schule nie Referate halten können, weil ich sehr nervös und schüchtern war. In Wien habe ich mir dann gedacht, ich möchte das lernen und habe mich meiner Angst gestellt und mit dem Moderieren begonnen. Mittlerweile gehört es zu meinem Leben dazu. Es ist schön zu sehen, wenn man das Publikum in der Hand hat.
“Es macht mir einfach Spaß, Leute zu unterhalten und ihnen eine Bühne zu geben.”
Bei meinen Events kann ich aber nie was planen, weil ich nie weiß, was die Kandidat:innen lesen. Da muss man sehr spontan sein. Es macht mir einfach Spaß, Leute zu unterhalten und ihnen eine Bühne zu geben. Und ich stelle mich einfach gern Herausforderungen.
Überall (lacht). Egal wo, beim Fortgehen in der Klowarteschlange zum Beispiel. Ich habe auch schon auf der Tanzfläche akquiriert, weil ich einfach immer und überall mit den Leuten rede. Alle meine Freunde und Freundinnen sind schon aufgetreten, die sind mittlerweile schon genervt von mir (lacht).
Mein Hauptjob ist es, Leute zu finden, die verlässlich sind. Wenn ich neue Teilnehmer:innen habe, schwitze ich oft. Es ist oft genug passiert, dass die dann nicht daherkommen oder kurzfristig absagen. Aber ich hab mittlerweile einen guten Verteiler an Leuten und gebe Gästebücher durch oder rede nach den Veranstaltungen noch mit Interessierten. Es geht nur weiter, wenn sich immer wieder neue Leute melden.
Die einzige Regel ist, dass die Einträge fünf Jahre her sein müssen. Mir ist es wichtig, dass sich die Personen damit wohl fühlen auf der Bühne. Aber sonst gibt es keine Regeln. Ich lese die Einträge im Vorfeld nicht, es ist jedes Mal volles Risiko. Jede:r Teilnehmer:in liest ca. fünf Minuten. Sprachlich ist es auf Deutsch und Englisch möglich. Letztens hatte ich eine Italienerin dabei, die ihre Einträge übersetzt hat. Mittlerweile habe ich fast 400 Tagebuch Slams in Österreich mit 636 unterschiedlichen Kandidatinnen und Kandidaten veranstaltet und moderiert, 93 davon waren Männer. Der älteste Kandidat ist übrigens 1925 geboren. Die jüngste war Jahrgang 2007.
Ja, definitiv. Meistens schreibt man ja Tagebuch, wenn es einem nicht gut geht. Aber es ist im Nachhinein schön zu sehen, dass man da wieder rausgefunden hat. Das kann helfen. Ein Kandidat hat mir mal erzählt, dass es ihm damals so schlecht gegangen ist, als er die Einträge geschrieben hat und jetzt liest er es vor und ein ganzer Saal applaudiert ihm. Das ist das Schönste was ihm passieren kann. Eine Kandidatin hat in ihr Tagebuch geschrieben: “Liebes Tagebuch, ich mach jetzt mit dir Schluss, weil ich hab jetzt Freundinnen, mit denen ich über meine Probleme reden kann.” Das ist total bezeichnend. Ich selbst hab auch ganz viel Tagebuch geschrieben, weil ich mich in Tirol in meinem Dorf nicht wohl gefühlt hab und wenig Gleichgesinnte hatte.
Total in Erinnerung geblieben ist mir eine Teilnehmerin aus Vorarlberg, die vorgelesen hat, dass sie auf den Pfarrer in ihrem Dorf gestanden ist. Und in der Pause kamen dann fünf Frauen aus dem Publikum daher und alle haben gewusst, von welchem Pfarrer die Rede ist. Der wurde dann gleich gegoogelt und die sind wieder in die Kirche gegangen, weil er immer noch gut ausschaut (lacht). Das war schon sehr legendär. Lustig ist es auch, wenn ich in den Tagebuch-Einträgen vorkomme. Es gibt so viele schöne Momente – bei einem Termin hatte ich zwei beste Freundinnen, Jahrgang 1960, dabei, die parallel Tagebuch geschrieben haben.
“Einmal gab es einen Heiratsantrag live auf der Bühne.”
Ich hatte auch schon Mutter und Tochter auf der Bühne. Eine Kandidatin hat sich mit zwölf vorgestellt, wie ihre Flitterwochen in Kanada ausschauen werden. Eine andere Teilnehmerin ist total auf diesen David Duchovny aus Akte X und Californiacation gestanden und hat auch gewonnen. Einige Tage später schickt sie mir ein Foto, dass sie in der Arena bei seinem Konzert war. Einmal gab es einen Heiratsantrag live auf der Bühne. Berührend war auch ein Vater, der über all seine sechs Kinder Tagebuch geführt und zum 30. Geburtstag seiner Tochter aus dem Tagebuch vorgelesen hat.
Je weiter wir in den Westen kommen, desto mehr wird im Dialekt geschrieben. Die Einträge sind auch katholischer und ländlicher. Also Sonntag Kirche ist ein Fixtermin (lacht). Es ist schwieriger in den Bundesländern Teilnehmer:innen zu finden, weil jede und jeder Angst hat, dass man sie und die Leute aus den Einträgen wiedererkennt. Da nehme ich öfter Leute aus Wien mit. Da leben halt die extrovertierteren Menschen. Ich habe auch schon mal ein Städte-Battle mit Hamburg gemacht. Das war ganz schwierig, weil wir gemerkt haben, der Humor ist nicht derselbe. Das einzige Bundesland, wo ich noch nie war, ist das Burgenland.
“Das Tagebuch muss immer herhalten, egal wie du drauf bist.”
Liebeskummer ist natürlich das Thema Nummer 1, Sex sells (lacht). Ansonsten sind es die Eltern, die nerven, die Schule, schlechte Noten, Streitereien mit Freundinnen und natürlich alle ersten Male: Die erste Tschik, der erste Rausch, das erste Mal Schmusen, erstes Mal Sex, erstes Mal Urlaub allein, erste Konzerte etc. Das Tagebuch muss immer herhalten, egal wie du drauf bist. Da kannst du so ehrlich sein, wie sonst nie. Bei Mädchen ist auch die erste Regelblutung ein großes Thema, bei den Männern das Wichsen. Auch wird immer wieder über zeithistorische Dinge geschrieben, wie z.B. die Mondlandung bei der älteren Generation, Tschernobyl oder der Tod von Lady Di sowie 9/11 oder über Stars, die man verehrt. Viele lesen auch aus ihren Reisetagebüchern vor.
Das Publikum macht das ganz gut. Natürlich gibt es immer wieder mal Texte, die vielleicht nicht so interessant sind. Einmal wurde es etwas kritisch bei einer Kandidatin, da habe ich es dann mit meiner Moderation rausgerissen. Aber es war noch nie so schlimm, dass ich abbrechen musste. Dass in vielen Tagebüchern nicht immer politisch korrekt geschrieben wurde, ist logisch. Das waren andere Zeiten, das muss man im historischen Kontext sehen. Das sage ich auch dazu.
“Ich bin ein Landkind, aber eine Stadterwachsene.”
Ach, ich bin im scheiß Kaff aufgewachsen (lacht). Es gibt sogar einen Tagebuch-Eintrag, wo ich nur „Scheiß Kaff, hier versteht mich niemand“ schreib. Ansonsten hatte ich klassische Teenager-Probleme mit Zahnspange und Pickel Ende nie. Ich war so ein bissl ein Hippie mit ganz langen Haaren. Ich hab drei ältere Brüder, die dann alle nach Innsbruck oder woanders hingegangen sind und ich war die, die noch im Dorf gesessen ist. Da war halt nix, da gab es nix zum Ausgehen. Ich hab dann zum Glück eine Clique gefunden, die haben mich ein bissl gerettet. Da haben wir uns immer in einem umgebauten Stadl getroffen. Mit zwei von ihnen bin ich immer noch befreundet und die haben auch schon mitgemacht beim Tagebuch-Slam. Ich war froh wegzukommen von dort, zuerst nach Innsbruck fürs Studium und dann nach Wien. Ich sag immer: “Ich bin ein Landkind, aber eine Stadterwachsene.”
Ja, immer noch. Ich hab ja mit Moduletto ein 5-Jahres-Tagebuch rausgegeben. Auf einer Seite sind da immer fünf Jahre. Da sehe ich genau, was ich an welchem Tag vor einem Jahr gemacht hab. Längere Einträge schreib ich nur mehr, wenn was Besonderes passiert.
Sehr wichtig. Ich bin ein modischer Mensch und habe mittlerweile einen richtigen Kostümfundus. Wenn ich vor der Veranstaltung noch nicht umgezogen bin, werde ich schon angeredet. Es macht total Spaß mit diesen extravaganten Outfits. Am Anfang war es eine Verwandlung, das ist einfach mein Bühnen-Ich. Mode war immer schon meins. Neulich hat mir ein Uralt-Freund den Matura-Artikel über mich geschickt und da ist es auch schon darum gegangen, was ich trage und welche Farbe meine Schuhe haben (lacht).
Einfach das machen, was man will. Man kann nicht alles planen. Manche Dinge passieren einfach. Ich hätt mir auch nie gedacht, dass Tagebuch schreiben mein Leben mal so dominiert. Aber ich bin niemand, der gerne Ratschläge gibt.
Weniger Gedanken drüber machen, was andere über einen denken und das durchziehen, auf was ich Lust habe.
“Der Rabenhof war immer ein Traum für mich.”
Das Theater an der Gumpendorfer Straße wird neu übernommen und umgebaut. Und ich wollte mein Publikum nicht verlieren. Ich bin dem TAG sehr dankbar, aber jetzt ist es Zeit für eine neue Location und die Gelegenheit größer zu werden. Der Rabenhof war immer ein Traum für mich. Auf dieser Bühne zu stehen, ist schon großartig. Aber ja sonst? Elbphilharmonie in Hamburg wär schon super (lacht).
Es fehlen mir noch ein paar Städte, ich möchte zum Beispiel unbedingt noch nach Linz mit dem Tagebuch Slam. Andere Projekte sind gerade schwierig umzusetzen. Ich bin halt eine One-Woman-Show und so viel unterwegs. Jetzt muss ich erstmal schauen, dass die neue Location in Wien läuft. Mehr wie sechs, sieben Events im Monat gehen sich da leider nicht aus. Aber mein größter Traum war immer eine eigene Radiosendung, so ein Talk-Format. Das wäre schön.
Zur Person: Diana Köhle kommt ursprünglich aus Nassereith in Tirol und ist dort mit drei Brüdern aufgewachsen. Nach einem Medienpädagogik-Studium und dem Psychotherapeutische Propädeutikum an der Uni Innsbruck, zog sie 2003 nach Wien und mischt seitdem die Poetry-Slam-Szene gehörig auf.
Alle Infos und Termine zum Tagebuch-Slam findest du auf tagebuchslam.at!
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Aufmacherfoto: (c) Anna Konrath
Wordrap: Stefanie Riegler und Verena Fink/heldenderfreizeit.com
Stefanie Riegler ist seit 2009 als Journalistin tätig. Sie liebt das Wiener Stadtleben, geht gerne auf Reisen oder auf Konzerte und schätzt besonders österreichische Filme.