Dragshows sind bunt, schrill und voller Lebensfreude. Und diesen Glamour fängt Stage Mother immer wieder ein und will wohlwollend für mehr Toleranz werben. Aber statt die Transformation einer konservativen, queerfeindlichen Mutter zum offeneren Menschen zu zeigen, erhebt der neue Dramedy-Film sie zur Heilsbringerin für die problemgeplagten Dragqueens. Unsere Kritik.
von Sophie Neu
18. August 2020: Stage Mother meint es gut. Aber manchmal reicht das einfach nicht. Denn obwohl die neue Komödie von Regisseur Thom Fitzgerald Liebe und Offenheit predigen will, tut sie am Ende nichts anderes, als Kirchenchorleiterin Maybelline zur gottgleichen Retterin eines Dragclubs und dessen queeren Angestellten zu erheben. Trotzdem kann man sich leicht in der seichten Handlung fallenlassen. Dabei helfen vor allem kecke Dialoge, die von Jacki Weaver mit frechem Charme belebt werden.
Stage Mother startet am 20. August in den deutschsprachen Kinos. Zahlt sich die Ansicht aus? Nach unserem Review weißt du mehr.
Als die konservative Chorleiterin Maybelline (Jacki Weaver) nach zehn Jahren Funkstille erfährt, dass ihr transsexuelles Kind Ricky nach einer Überdosis verstorben ist, reist sie mit gemischten Gefühlen zum Begräbnis nach San Francisco. Dort stellt sie fest, dass Ricky ihr einen Drag- und Schwulenclub samt glamouröser Show hinterlassen hat. Um sein Andenken zu ehren, beschließt Maybelline, die schlechtlaufend Dragshow zu retten. Schnell mausert sie sich von der skeptisch beäugten neuen Besitzerin zur mütterlichen Seelsorgerin für alle Dragqueens des Clubs. Mit links lehrt sie den tontauben Queens das Singen und klärt nebenher noch deren private Probleme. Aber zuhause in Texas wartet immer noch ihr queerfeindlicher Mann darauf, dass sie endlich den Club verkauft und zu ihm zurückkommt.
Stage Mother hat definitiv seine guten Momente – das ist auch nicht weiter verwunderlich, hält sich der Film schließlich an vielerprobte Comedy-Methoden. Aber im Endeffekt retten die Komödie nur seine lustigen, pointierten Dialoge über die Handlung hinweg. Hier strahlen Jacki Weaver, Mya Taylor und Lucy Liu im verbalen Schusswechsel. Egal ob es jetzt um Dates mit gutaussehenden Männern geht oder um ernstere Themen, Stage Mother weiß, welche Worte es wählen muss, um die Situation aufzulockern.
Trotzdem gibt es genug Momente, in denen man am liebsten vor Fremdscham im Kinosessel zusammenschrumpfen will. Denn manche Szenen wirken so forciert, dass die besten Lines nichts mehr ausrichten könnten. Gerade, wenn Maybelline vom als charmant präsentierten Hotel-Concierge August (Anthony Skordi) umgarnt wird, werden Schmerzgrenzen überschritten.
Schmerzhaft anzuschauen ist auch, wie in der Zeitspanne von wenigen Minuten Maybelline von der ultrakonservativen Mutter, die ihr Kind wegen seiner Transsexualität verstoßen hat, zur weltoffenen besten Freundin der Dragqueens wird. Nach einer Entwicklungsphase sucht man kläglich, stattdessen hat sie plötzlich eine Erleuchtung und mutiert sogleich zur wokesten Seniorin in San Francisco. Als allwissende Protagonistin braucht sie da nicht einmal Hilfe von ihrem Schwiegersohn Nathan (Adrian Grenier) oder den Queens aus dem Club. Im Gegenteil: Die brauchen natürlich verzweifelt ihre Unterstützung!
Und so setzt sich das Spielchen durch den ganzen Film hinweg fort: Eine Dragqueen oder Sienna (Lucy Liu) hat Probleme – Maybelline löst sie mit einem ihrer lustigen Sprüche. Das ist anfangs ganz amüsant, aber nach der ersten Stunde der Komödie fragt man sich schon, warum die allmächtige Maybelline denn bisher noch nicht für den Weltfrieden gesorgt hat?
Bei all der Weltretterei gerät in Stage Mother das eigentliche Anliegen komplett in den Hintergrund. Statt um die Dragqueens und deren Lebensrealität, dreht sich alles um Mama Maybelline. Dementsprechend flach bleiben die Charaktere der schillernden Königinnen des Clubs leider. Sie werden zu possierlichen Vorzeigegestalten heruntergestuft, die im Film nur eine Funktion erfüllen: Maybelline in positivem Licht glänzen zu lassen. Auf ihr eigentliches Wesen und ihre Eigenheiten wird nicht eingegangen – sie interessieren Stage Mother eh herzlich wenig. Es muss reichen, dass sie gerne mit Perücken und glitzernden Kleidchen über die Bühne wedeln.
So viel Verherrlichung wird mit der Zeit anstrengend. Doch immerhin: Die glamourösen Dragshows retten viel. Denn die teils auch im realen Leben als Dragqueens agierenden Schauspieler*innen liefern grandiose und schwungvolle Acts ab, die einen fast vergessen lassen, dass sie natürlich nur durch Maybelline zustandekamen. Hier werden in glitzernden, eleganten Kleidern Songs von Marilyn Monroe performt, da wird ein sinnliches Duett am Piano gesungen. In diesen Momenten ist Stage Mother großartig und absolut erlebenswert. Aber im Endeffekt sind diese Augenblicke spärlich gesät.
Man kann sich Stage Mother durchaus anschauen – es ist eine seichte Komödie mit lustigen Dialogen, die angenehm vor sich hinplätschert. Wenn man aber wirklich in die Dragkultur eintauchen will – statt dem merkwürdigen Maybelline-Kult dieses Films zu fröhnen – dann tut man gut daran, sich stattdessen einen Dragclub in der Nähe zu suchen und sich ein authentischeres Bild zu machen.
Doch nicht so ganz deins? Vielleicht ist bei diesen Kinostarts im August 2020 etwas für dich dabei:
Bilder: © kinostar filmverleih
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.