In Spinning Out sucht eine gefallene Eiskunstläuferin ihren Halt am Eis und im Leben. Schwer in einer Netflix-Serie, in der das Drama an allen Ecken und Schlittschuh-Kufen lauert. Und als wären die eigenen psychischen Probleme und die mit dem Paarlauf-Prinzen im Schürzenjäger-Cape nicht genug, wartet zuhause auch noch eine überehrgeizige Sportlermama mit bipolarer Störung.
von Christoph König
4. Jänner 2020: Hört sich nach viel Drama an? Na, wenn ihr wüsstet! Die Netflix-Serie, die seit 1. Jänner mit ihren 10 Folgen online ist, lässt sich am besten als eine Mischung aus I, Tonya und Dawson’s Creek beschreiben. Oder mit drei Worten: Drama! Drama! Drama! Dabei kann sie mancher brasilianischen Telenovela locker das Wasser reichen. Hört sich ein bisserl mühsam an? Ist es aber weniger, als ihr denkt. Denn neben dem Hang zur Melodramatik, der selbst bei so manchem Binge-Watching-Muffel Suchtverhalten auslösen dürfte, behandelt Spinning Out auch ernste Themen wie psychische Störungen, Rassismus, Homosexualität oder Leistungsdruck, die andere Teenie-Serien lieber großräumig umkurven.
Gelingt dieser gewagte Themen-Paarlauf oder landet das Netflix Original mit dem Popo am harten Eis? Wir haben die Serie schon für euch gesichtet und verraten es euch in unserer Kritik.
Warum geht’s? Die hochtalentierte Eiskunstläuferin Kat Baker (Kaya Scodelario – zuletzt auch im Alligator-Horrorfilm Crawl: Hier unser Review) traut sich nach einem schweren Sturz keine Sprünge mehr zu. Sie rasselt durch ihre Trainerprüfung und will mit ihrem Freund nach London durchbrennen. Dabei könnte sie endlich ihre Probleme abschütteln. Denn ihre alleinerziehende Mama Carol (selbst eine gescheiterte Eiskunstlauf-Königin, gespielt von January Jones) hat eine bipolare Störung – und während die überehrgeizige Sportlermutter Kats kleine Schwester Serena (Willow Shields aus Tribute von Panem) zu dem drillt, was Kat scheinbar nicht werden kann, hat sie für Kat meist nur Verachtung übrig.
Trainierin Dasha Fedorova (Svetlana Efremova) und ihre beste Freundin Jenn (Amanda Zhou) überreden Kat zu bleiben und sich ihren psychischen Problemen (die hat sie tragischerweise von der Mutter geerbt) zu stellen. Sie soll als Paarläuferin mit dem reichen Hotelbesitzer-Sohn Justin Davis durchstarten. Doch da gilt es gewaltige Spannungen zu überwinden, denn der Dorf-Feschak jagt jedem Rock im engen Eiskunstlauf-Kostümchen hinterher. Gut, dass es da noch den bodenständigen Marcus gibt, der mit Kat in der Hotelbar kellnert. Aber der ist halt leider kein begnadeter Eiskunstläufer, sondern will es als Skifahrer zu den Olympischen Spielen schaffen. Was ihn mit Kat verbindet? Er hat es dabei noch etwas schwerer als die Rich Kids im Nobel-Skiresort.
Spinning Out ist auf der einen Seite sehr speziell und etwas Besonderes – und dann wieder sehr klischeehaft. In einem Moment hauen die Teenies bedeutungsschwangere Sätze raus als wären sie schon 20 Jahre älter (“Ich muss meine Gefühle endlich unter Kontrolle kriegen.” Dawson’s Creek lässt grüßen), dann verhalten sie sich wieder wie trotzige Tafelklässler. Gerade Kat’s Schwester Serena wechselt so schnell zwischen diesen beiden Rollen, wie sie am Eis ihre Pirouetten dreht. So fällt es einem manchmal schwer ihre Charakterentwicklung im Auge zu behalten, die aber mit Fortdauer der Staffel immer interessanter wird.
Vieles ist sehr vorhersehbar. Ein Beispiel (ohne zu viel zu spoilern): Bei Kat und Marcus werden die unglücklichen Zufälle, die ihrem Zusammenkommen im Wege stehen, derart überstrapaziert, dass man sich öfter bei einem Augenrollen ertappt. Wenn sie sich dann doch noch verabreden, sie auf ihr Handy schaut, der Akku nur noch 10 Prozent anzeigt und die Schwester just kurz vor dem Date anruft, weil sie abgeholt werden mus, kann man sich schon denken, wie das ausgeht. Drama aus dem Seifenoper-Lehrbuch für Anfänger.
Hervorragend gelungen sind hingegen alle Eiskunstlauf-Szenen. Sowohl die Inszenierung als auch die Technik der Läufer und der Ablauf der Wettkämpfe ist extrem authentisch. Man merkt, dass sowohl im Produzenten-Team als auch unter den Schauspielern ehemalige Profis am Werk waren. Johnny Weir, der Justins Konkurrent Gabriel spielt, war sogar WM-Bronzemedaillen-Gewinner 2008.
Lobend zu erwähnen sind die Hauptdarsteller – hier überzeugt neben Kat vor allem ihre Freundin Jenn und Kats Mutter Carol, deren bipolare Störung sie zu einem absolut unberechenbaren Charakter macht. Die Palette reicht von völliger Aufopferung für ihre Kinder bis zu Verachtung für Kat, in der sie alle Probleme sieht, die sie selber plagen. Aber auch die Nebencharaktere kommen wegen viel Screentime gut zur Geltung. Angenehm stechen da die Figuren hervor, die um ihre Probleme nicht das große Drama veranstalten: Jenn, Dasha und Marcus. Und so manche, wie Justins Schwiegermutter Mandy Davis (Sarah Wright), brechen sogar gekonnt mit dem üblichen Klischee ihrer Rolle. So ist Mandy eben nicht das hübsche, blonde Dummchen, das ihr steinreicher Mann nur wegen dem Aussehen geheiratet hat.
Natürlich wird aber auch über die Nebendarsteller der große Drama-Kübel ausgeschüttet. Kats beste Freundin, die ewige Zweite und immer zu allen liebe Jenn, dürfte mit ihrer Hüftverletzung eigentlich gar nicht mehr laufen, will es aber ihrer Familie recht machen. Immerhin haben die Eltern wegen ihrer Karriere kein zweites Skigeschäft aufgemacht (Rich Kid Problems. Pff!) Und Marcus? Der ist der einzige Schwarze im Skiteam. Und muss sich im Kellnerjob völlig grundlos von reichen weißen Damen als Dieb denunzieren lassen, weil die sich an der Bar fadisieren. Die ganze Rassismus-Problematik wirkt in der Serie leider zu sehr aufgesetzt.
“Verflixt, musst du um alles immer so viel Drama machen?” Diese Frage, die Mandy Carol in einer Folge an den Kopf wirft, könnte man auch den Serienmachern stellen. Trotz aller berechtigten Kritik ist Spinning Out aber unterhaltend. Mit dem vielen Drama ist die Netflix-Serie einfach wie geschaffen für Binge-Watching. Einige starke Hauptfiguren und die Behandlung ihrer psychischen Probleme heben sie zudem von den 0815-Teenie-Serien ab.
Außerdem ist die Action am Eis erstklassig. Leider kommt sie bei der ganzen Seifenoper abseits davon etwas zu kurz. Auch nimmt sich Spinning Out leider oft selbst zu ernst und sorgt so für manchen unfreiwilligen Schmunzler. Da wo das offensichtliche Vorbild I, Tonya (es gibt sogar einen Seitenhieb – siehe Trailer) und tolle Serien wie Atypical punkten, in dem sie psychische Probleme mit viel Witz und einem Augenzwinkern behandeln, übertreibt es Spinning Out manchmal mit der Melodramatik. Was bleibt, ist eine kurzweilige Serie, die aber auch hervorragend werden hätte können. Süchtig macht sie trotzdem! Aber das war ja schon bei den Telenovelas nicht anders.
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Die besten Netflix-Serien im Ranking und was sie auszeichnet
Alle Fotos: (c) Netflix
Der Chefredakteur der Helden der Freizeit hat das Onlinemagazin 2016 ins Leben gerufen und ist seit 2000 als Sportjournalist im Einsatz. Bei heldenderfreizeit.com ist er spezialisiert auf actiongeladene Outdoor-Aktivitäten, Ausflüge, Videos, Spiele, Filme, Serien und Social Media.