In Barcelona oder einem katalanischen Badeort wie Sitges kannst du leicht Zeuge einer atemberaubenden Tradition werden.
“Komm schnell. Das musst du dir anschauen!” Shit, warum denn genau jetzt? Gerade war ich im wunderbaren Hotel Platjador im spanischen Strandort Sitges (nahe Barcelona, ein echter Geheimtipp) so richtig fein in den Entspannungsmodus gedriftet. Noch tiefenentspannt von der Rückenmassage der Düsen im beheizten Pool, ausgestreckt auf der weichen Matte, E-Reader in der Hand, die angenehme katalanische Mai-Sonne am Bauch.
Action am Hauptplatz, wir kommen (von mir aus)
“Was is denn so wichtig?” Meine Freundin zieht mich ungeduldig am Arm. “Kumm scho. Da passiert gleich was am Hauptplatz.” Ich blase erst mal aus. “Pfff! … na wenn es unbedingt sein muss.” “Mach schon. Das bereust du sicher nicht”, grinst sie mir extrem euphorisch entgegen.
Schlaftrunken wechsle ich Badehose gegen Straßenoutfit. Zehn Minuten später stehen wir schon am Hauptplatz. Dort tummeln sich neben einer bereits beachtlichen Zuschauermenge knapp 100 starke Männer, etwas zierlichere Burschen und Damen und eine Handvoll Kinder mit Helmen. Eine Gruppe mit grünen, die andere mit roten Hemden. Alle mit weißen Hosen und einem breiten Hüfttuch. Ich ahne schon was kommt, hier wird gleich sowas wie eine menschliche Pyramide gebaut.
Jeder darf mit anpacken
In dem Moment stürmt auch schon einer der Beteiligten auf mich zu. “Come on, help us!” Und will mich in die Masse der Männer ziehen, die sich bereits eng zu einem großen Ring formiert haben. “No, no!” Ich winke ab. Weder habe ich sowas je gesehen, noch war ich dabei. Ich will ja net am Ende der sein, wegen dem das ganze Ding zusammenbricht. Ein großer Typ neben mir kann sich dem Flehen nicht entziehen und verschwindet schon in der Männermenge.
Die Gruppe “Grün” ist offenbar schon weiter. Altertümliche Flöteninstrumenten sorgen für die passende Untermalung eines aufregend, heiteren Schauspiels. Vier starke Männer steigen auf die Schultern von einer Horde noch stärkerer Kollegen, je vier sind alleine zum Stützen ihrer Hintern eingeteilt.
Turmbau zu Sitges
Schon klettern vier etwas dünnere auf sie drauf. Es folgen vier noch schlankere Typen, vier Mädels, zwei Kids und ein ganz kleines Mädchen. Ui, das schaut schon wackelig aus. Ob das nur gut geht? Kurz bildet das kleinste Mädel in schwindelerregender Höhe die Spitze des menschlichen Turms und streckt den Arm in die Höhe. Schon ist sie wieder am Weg nach unten und es kraxelt in doppelter Geschwindigkeit einer nach dem anderen mit waghalsigem Tempo an den anderen herunter. Offenbar ist die Last denen ganz unten kaum mehr zuzumuten.
Zusammenbruch droht
Zehn Minuten Pause. Jetzt legt die Gruppe direkt vor unserer Nase los. Mittlerweile bin ich froh nicht mitgemacht zu haben. Denn diese Körperpyramide wird weit komplizierter. Bei Hälfte des Projekts kommt ein kurzer Ruf von einem der Basismänner. Abbruch! Irgendwas ist schief gelaufen. Alle müssen wieder runter. Mühsames Schnaufen. Offenbar war es einem Kerl zu viel. Er taumelt. Doch das Wort Aufgeben hat im Katalanischen wie es aussieht keine große Bedeutung.
Nur zehn Minuten später wird ein zweiter Anlauf unternommen. Diesmal schaut es besser aus. Erstaunlich wie geschickt die kleinen Mädchen am Schluss die Menschen wie Leitern nutzen. Als die Oberste beim großen Finale die Kuppel bildet steht auch mir der Angstschweiß ins Gesicht. Dann löst sich alles in tosendem Applaus auf. Wir sind auch hin und weg von diesem Zirkusspektakel.
Eine Viertelstunde später liege ich schon wieder am Pool mit meinem E-Reader. Gerne lasse ich mich wieder für so ein Spektakel aus meiner Urlaubstrance reißen 🙂
Was wir gesehen haben, stellte sich bei nachträglicher Recherche als ein 4de7 und ein 2de8f heraus. Was diese kryptischen Kürzel bedeuten? Der erste Turm bestand in jeder Etage aus vier Leuten und war sieben Etagen hoch. Der zweite wurde aus Zwei-Mann/Frau Etagen errichtet, war acht Etagen hoch und in der zweiten Etage verstärkt (dafür steht das “f” am Ende). Im folgenden Video sieht man einen 3de10fm – ein besonders spektakuläres Kunststück mit zwei verstärkten Ebenen.
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Castells (katalanisch für “Burgen”)ist eine seit über 200 Jahre in Katalonien praktizierte Tradition des menschlichen Turmbaus. Die höchsten bestehen aus 10 Personenebenen hoch.
Sitges ist eine schöne, kleine Stadt am Strand, 35 Kilometer südwestlich von Barcelona und zählt zu den Gay-freundlichsten Orten der Welt.
Von Barcelona oder Barcelona-Airport mit Zug, Bus oder Auto in einer halben Stunde erreichbar. Tipp: Hotel Platjador
Passeig de la Ribera 35
08870 Sitges
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Flug Wien-Barcelona (hin und retour): ab 150 Euro
Hotel Platjador: 1 Woche/DZ in der Nebensaison, zirka 400 Euro
Sitges ist mit seiner stolzen Gay-Community und seinem schönen Stränden und Altstadtgassen schon so eine bunte Attraktion für sich. Wenn dann auch noch die Castellers ihre Menschentürme bauen, ist das Spektakel perfekt. Ein unterhaltsamer, gemütlicher Badeurlaub ist hier garantiert.
Fotos: heldenderfreizeit.com
Der Chefredakteur der Helden der Freizeit hat das Onlinemagazin 2016 ins Leben gerufen und ist seit 2000 als Sportjournalist im Einsatz. Bei heldenderfreizeit.com ist er spezialisiert auf actiongeladene Outdoor-Aktivitäten, Ausflüge, Videos, Spiele, Filme, Serien und Social Media.