Sidney Prescott kommt nicht zur Ruhe. Bereits zum fünften Mal macht ein Unbekannter in der Ghostface Maske ihre Heimatstadt Woodsboro unsicher. Zum ersten Mal ohne Wes Craven im Regiesessel. Ist Scream 5 trotzdem ein wunderbarer Neuzugang zum Franchise? Unser Review.
von Susanne Gottlieb
12. Jänner 2022: Das arme Woodsboro leidet noch immer unter Nachahmungstätern. Alle zehn Jahre ungefähr kommt ein Einwohner auf die Idee, sich die Ghostface Maske über zu ziehen und Jagd auf Menschen zu machen. Menschen, die mit Original-Zielscheibe und Überlebenden Sidney Prescott (Neve Campbell) zu tun haben oder hatten und den Originalmorden von 1996. Aber kann so eine Formel auch noch beim fünften Mal funktionieren? Kann sie. Wenn man weiß, auf welche Zeitgeist-Absurditäten und popkulturellen Entwicklungen man diesmal anspielen soll.
Und im Gegensatz zu Matrix Resurrections, das zwar erst super meta geht, aber dann einem konventionellen Plot folgt (mehr hier in unserer Kritik), vergisst Scream vom Anfang bis zum Ende nicht, was es eigentlich möchte. Wir haben den Film vorab gesichtet und erklären euch zum Kinostart, um was es geht und was ihn ausmacht. Übrigens: Hier findest du unsere Vorschau auf alle weiteren Kinohighlights, die uns 2022 noch erwarten.
Man kennt die Ausgangssituation. Ein junges Mädchen, Tara Carpenter(!) (Jenna Ortega), ist allein daheim, als das Telefon klingelt. Ein Unbekannter will ein Spiel mit ihr spielen. Popquiz Horrorfilme. Das Ganze endet in einer Messerattacke. Doch im Gegensatz zu Drew Barrymores Figur einst überlebt Tara und kommt ins Krankenhaus. Ihre Schwester Sam (Melissa Barrera), die vor Jahren wegen eines düsteren Familiengeheimnis die Stadt verlassen hat, eilt daraufhin an ihre Seite. Mit im Gepäck ihr Freund Richie (Jack Quaid).
Nun gehen die altbekannten Ratespiele wieder los. Denn auch nach einer Konsultierstunde mit dem ehemaligen Sheriff und Mehrfach-Überlebenden Dewey (David Arquette), ist klar, die Regeln sind noch immer die gleichen. Traue keinem, und es ist wie immer ein Mitglied aus dem Freundeskreis des ersten Opfers. Die gegenseitigen Anschuldigungen unter Taras Freunden Wes (Dylan Minette), Mindy (Jasmin Savoy Brown), Chad (Mason Gooding), Liv (Sonia Ben Ammar) und Amber (Mikey Madison) gehen somit los.
Aber Sam weiß insgeheim, warum der Killer hinter ihr und ihrer Familie her sein könnte. Und ziemlich bald wird auch klar, hier handelt es sich um ein besonders kreatives Köpfchen, das ein “Requel” der ersten Morde/ersten “Stab” Films inszenieren will. Requel bedeutet, dass die Geschichte den Inhalt eines früheren Teils wieder aufgreift, ohne ein Remake oder eine Fortsetzung des Plots zu sein. Und somit ist klar, dass bald auch Sidney (Neve Campbell) und Gale (Courteney Cox) wieder nach Woodsboro zurückkehren müssen.
Wofür könnte ein Mörder heutzutage im Scream Universum noch leben? Die meisten Originalfiguren sind entweder tot, bereits gerächt oder zu weit von der Geschichte weg, um noch eine Rechnung offen zu haben. Die Macher, in diesem Fall die Drehbuchautoren James Vanderbilt und Guy Busick, finden den großen bösen Gegner aber in der Fankultur. Denn hier scheint es schon bald weniger um eine persönliche Vendetta zu gehen – sondern um das strategische Werk eines “Stab” Fans – also die im Scream Universum angesiedelte Filmreihe über die Morde in Woodsboro. Dieser scheint einfach nicht mit dem letzten Film zufrieden gewesen zu sein. Und möchte der Reihe neue Inspirationen liefern.
Dieses offensichtliche “Reshoot” eines Fans nimmt somit weniger die großen Studios und ihren Bedarf nach altbekannten Ideen in neuen Gewändern aufs Korn. Vielmehr fragt der Film neckisch nach dem Besitz von gegenwärtiger Popkultur. Wer weiß am besten, wie ein Scream/Stab-Film auszusehen hat? Als welches Tribunal walten die Fans, die sich hier anmaßen zu urteilen, ob jemand “ihre Kindheit ruiniert” oder einfach einmal was Neues probiert? Was bedeutet es, dass Leute sich so mit fiktionalen Werken identifizieren? Und dass wir in einem digitalen Zeitalter der “Culture Wars” leben? Natürlich darf in so einem Ambiente auch die eine oder andere Anspielung auf Personen wie Rian Johnson und das Star Wars Universum nicht fehlen.
Scream Veteranen sowie kleinere Figuren aus den Sequels dürfen hier ebenso auftreten – immerhin steht immer alles in einer Verbindung zueinander – wie eine breite Gruppe an neuen Figuren. Was schon im vierten Film offensichtlich war, verschiebt sich hier noch mehr in die Richtung, dass Sidney nur mehr ein besonderer Gast ist, und nicht die Hauptfigur. Das mag für manche Fans vielleicht enttäuschend sein, tut der Filmreihe aber gut. Die Mordserien-Veteranin kann einfach nicht auf ewig das Opfer bleiben. Das wäre ihrer Figur gegenüber nicht fair und würde wenig Charakterentwicklung bezeugen. Vielmehr wird sie zu einer Art “sensei”, die der neuen Protagonistin Sam die notwendigen Ratschläge erteilt, wie man Ghostface erledigen kann – und dann auch ohne zu zögern schon mal die Waffe zückt.
Und so entführt Scream, der fünfte, uns abermals in wonnig altbekannte Bilder und Szenarien, kommentiert diese aber auch unablässig süffisant auf einer Metaebene. Der Film hat einfach sehr viel Spaß hier wieder mit Erwartungen zu spielen. Allein eine Sequenz mit Wes in seinem Haus, in der der Film mit Erwartungen bezüglich Jumpscares bei Spiegeln und geöffneten Türen jongliert, ist super unterhaltsam. Scream 5 orientiert sich sehr offensichtlich an Scream von 1996. Inklusive einiger sorgfältig gepflegter Nostalgiemomente. Aber er erlaubt sich auch, dem Ganzen nochmals seinen eigenen Stempel aufzudrücken.
Scream ist wunderbare kurzweilige Unterhaltung und eine gelungene Fortsetzung der Reihe. Eines der besseren “sind wir wieder in den 90ern” Sequels der letzten Monate.
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Fotos: (c) Constantin Film
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.