Zum 25-jährigen Jubiläum des Films und dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus brachte Universal Pictures Schindlers Liste am 27. Jänner 2018 österreichweit zurück in die Kinos. Doch was ist rückblickend geblieben von diesem Meilenstein der Filmgeschichte? Ist er nach wie vor ein unangefochtenes Meisterwerk, oder ist seine Fassade über die Jahre gebröckelt? Wir haben uns angesehen, was den Film bis heute auszeichnet, aber auch in welchen Punkten er Kritik einstecken muss, weil er historische Fakten ungenau darstellt.
„Wer nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“
Es ist dieser Spruch aus dem Talmund, der weltweit mit dem Film Schindlers Liste (1993) von Steven Spielberg in Verbindung gebracht wird. Eingraviert steht er auf jenem Ring aus Zahngold, den die „Schindlerjuden“ Schindler als Dank dafür übergaben, dass er ihnen das Leben gerettet hatte. Das auf historischen Tatsachen basierende Drama bewegte und trat nach seiner Premiere am 30. November 1993 in Washington D.C. seinen Siegeszug um die Welt an. 322 Millionen Dollar Einspielergebnis weltweit und sieben Oscars, darunter Bester Film, Bester Regisseur, Bestes Adaptiertes Drehbuch und Bester Soundtrack.
Spielberg hatte damit etwas geschafft, was wenigen vor ihm gelungen war. In einer Zeit, in der die Darstellung des vergangenen Grauens teils noch tabu war und Klassiker wie Claude Lanzmanns zehnstündiger Dokumentarfilm Shoa (1985) eher von einem kleineren Publikum konsumiert wurden, hatte er den Holocaust massentauglich gemacht. Die Geschichte eines reichen Sudetendeutschen, der zwischen 1940 und 1945 über 1000 Juden das Leben rettete, in dem er sie in seiner Fabrik arbeiten ließ, wurde weltberühmt.
Die historische Figur des Oskar Schindlers lebte nach dem Krieg zunächst nur in den Erinnerungen seiner „Schindlerjuden“, insbesondere der Leopold Pfefferbergs, weiter. Schon in den 60ern bemühte sich der Holocaust-Überlebende, die Geschichte medial umzusetzen. Einen ersten Erfolg feierte er 1983, als das Buch Schindlers Ark des australischen Autors Thomas Keneally erschien. Keneally lernte Pfefferberg bei einem Aufenthalt in Los Angeles kennen und führte für seine Recherche mit über 50 Schindlerjuden Interviews. Das Buch, und somit auch der Film später, bestanden somit aus den kumulierten und persönlichen Erfahrungen von Überlebenden.
Produzent Sid Sheinberg schickte kurz nach der Veröffentlichung des Romans dem aufstrebenden jüdischen Regisseur Steven Spielberg eine Buchkritik der New York Times. Spielberg war fasziniert von der Tatsache, dass Schindler diese Rettung hatte durchsetzen wollen und sie ihm auch gelang. „Es ging nicht um einen Juden der Juden rettete, oder eine neutrale Person aus Schweden oder der Schweiz der die Juden rettete. Es ging um einen Nazi der Juden rettete,” erklärte er später in einem Interview. Doch der Spielberg der frühen 80er fühlte sich noch nicht bereit die Regie zu übernehmen. Erst Jahre später entschied er sich, in Hinblick auf seine eigenen Wurzeln und ohne die Akzeptanz einer Gage, den Film selbst zu inszenieren.
Die Wahl den Film in Schwarz-Weiß zu drehen war bereits 1993 unüblich und eine gewagte Entscheidung. Damit erzielten Spielberg und Kameramann Janusz Kamiński aber genau jenen nüchternen Realismus, der den Film auszeichnete. Schwarz-Weiß erinnert außerdem an die historischen grobkörnigen Aufnahmen der Nazi-Zeit. Diese audiovisuellen Zeitzeugen zeigen jedoch kaum die Gräuel im KZ oder die Räumungen der Ghettos. Spielberg konnte so visuell an Bekanntes anschließen und dennoch Bilder schaffen, die ohne Gegenstück existieren.
Eines der beeindruckendsten Beispiele dafür ist die rund 20-minütige Sequenz der Räumung des Krakauer Ghettos. Verstärkt durch eine Handkamera schaffte Spielberg gewaltvolle und furchteinflößende Szenen, die wie echtes Archivmaterial wirken. So erklärte er 1994 in einem Interview mit der NZZ: „Ich bin immer hinter dem Kameramann mit seiner Handkamera hergerannt, wir waren wie ein Tagesschau-Team in einem Kriegsgebiet. Ich habe Regie im Laufen geführt, ganz spontan, ohne vorgeschriebene Abläufe, ohne Storyboard. Mit der Kamera, die manchmal gerade richtig zur Stelle war, manchmal alles verpasste.“
Ebenso einprägsam ist die Abschlusssequenz am Grab des echten Schindlers. Spielberg hatte während der Dreharbeiten die Idee sämtliche Schindlerjuden zum Friedhof nach Jerusalem einfliegen zu lassen. Gemeinsam mit den Darstellern des Films und in Farbe legten sie nach alter jüdischer Tradition Steine nieder. Spielberg schuf damit nicht nur einen emotionalen Abschlussmoment, gleichzeitig legitimierte er auch seinen Film über seine Natur als Spielfilm hinaus. Die Überlebenden bürgten mit ihrer Präsenz dafür, dass das Gezeigte die Wahrheit war.
Weitere Authentizität schuf der Film durch das Drehen an Originalschauplätzen. Die Dreharbeiten fanden innerhalb von 72 Tagen in Krakau statt, unter anderem in Schindlers Original Emailwarenfabrik und in seiner Wohnung. Für Auschwitz erhielt das Team nur die Genehmigung für Außenaufnahmen. Des weiteren stellte die Crew reale Aufnahmen nach wie etwa zu Beginn des Films, als Soldaten einem Juden die Locken abschneiden. Ebenso sind historische Tonaufnahmen wie eine Rede von Winston Churchill zu hören.
Es ist diese Mischung aus historischen Aufnahmen und klassischen Holocaust Bildsymbolen, die dem Film seine realistische Bedrückung verleihen. Das Tor von Ausschwitz, die ausgemergelten Körper, die Leibesvisiten, all diese Bilder kennt man aus dem Geschichtsunterricht, Museen oder Dokumentationen. Auch seine eigenen Symbole baute Spielberg in die Handlung ein. Zum einen die friedliche Familie zu Beginn des Films beim Sabbat. Der Rauch ihrer Kerze wandelt sich in den Rauch einer Lokomotive um, das unmissverständliche Omen eines KZ Transports. Zum anderen der rote Mantel eines kleinen Mädchens in der sonst schwarz-weiß gehaltenen Räumung des Ghettos. Sie fällt Schindler im Chaos auf, später sieht er sie auf einem Leichenberg der verbrannt werden soll. Ein Symbol des Massakers, ein Echo des Mordes.
Dass der Film dramaturgisch so gut funktioniert liegt auch daran, dass er klassisch nach dem Hollywood-Schema angelegt ist. Ein Held, ein Antagonist, Figuren mit einem Entwicklungsbogen und ein klares Ende. Schindler (Liam Neeson) startet nicht als Retter. Er ist der geldgierige Geschäftsmann, der sich im Laufe des Films zum Guten wandelt und im Finale etwas übersentimental zum reumütigen Helden stilisiert wird. Neben seiner Tätigkeit als Retter der Juden wird er auch, etwas kitschig, als Ehemann geläutert und wandelt sich vom Frauenhelden zum treuen Gatten.
Spielbergs Film blendet sehr bewusst aus, dass der historische Schindler ein Kriegsgewinnler war. Schindler übernimmt die Rolle als Repräsentant der Menschlichkeit. Er wird als eine Ikone stilisiert, die er niemals war. Fakt ist, seine Geldgeber für die Fabrik waren jüdisch, das Gebäude ein enteigneter jüdischer Besitz, seine Arbeiter jüdisch, sein Buchhalter und Schattengeschäftsführer Itzhak Stern (Ben Kingsley) war ebenfalls jüdisch – Schindler selber musste nur sehr wenig tun. Er opferte jüdisches Geld um Juden zu retten.
Auch seine Ansprache in Brünnlitz (Brněnec, CZ) gegen Ende des Films, in der er die Wachen herausfordert sie alle zu erschießen, ist kein wahres Opfer. Die Kriegsniederlage war bereits bekannt, die Soldaten eher an ihrem eigenen Überleben interessiert als daran Juden zu erschießen. Sein Wille, sich dem Tod zu stellen ist somit nicht real, es geht keine Gefahr mehr aus. Dass er als Retter fliehen muss, sozusagen das letzte Opfer für die Juden bringen muss, ist somit ebenso problematisch.
Das Gegenstück zum erleuchteten Schindler ist der SS-Hauptsturmführer Amon Göth (Ralph Fiennes), ein menschenfeindlicher Nazi und das personifizierte Böse, der eine perverse Freude an der Macht hat. Hier stellt sich die Frage. ob der Nationalsozialismus funktionieren hätte können, wären alle Nazis solche durchgedrehten Sadisten wie Göth gewesen, aber die Charakterisierung der Figur in Schindlers Liste beruht auf den verschiedenen Aussagen der Zeugen. Diese wurden zu einem großen Ganzen zusammengefügt und ihnen durch Fiennes Leben eingehaucht. „Basierend auf dem Roman“ sagt der Film immerhin, nicht „basierend auf wahren Begebenheiten“.
Die beständigste Kritik an dem Film ist jedoch, dass Schindlers Liste eine Ausnahmesituation des Holocausts zeigt. Die Geschichte dreht sich um eine kleine Gruppe, die die Möglichkeit hatte zu überleben, während die Mehrheit nicht dieses Glück hatte. Der daraus resultierende Gewissenskonflikt, der in anderen Filmen von Überlebenden aufgegriffen wurde, fehlt oder wird nur kurz angerissen. Die Tatsache, dass sechs Millionen Menschen keinen Oskar Schindler hatten wird ausgeblendet.
Besonders zwei Szenen werden dabei immer wieder herausgepickt. Zum einen die bereits erwähnte letzte Ansprache Schindlers am Bahnhof in Brünnlitz, während der er von Schuldgefühlen übermannt wird, nicht mehr von seinem Hab und Gut und sein Parteiabzeichen verkauft zu haben. Sein Abzeichen hatte ihn aber erst die Rettung ermöglicht. Sein Lamentieren suggeriert, dass man als Deutscher eine einfache Wahl gehabt hätte.
Ebenso problematisch sehen Kritiker die Szene, in der der Zug der Frauen fehlgeleitet wird und in Ausschwitz landet. In einer Sequenz von fast perverser Suspense stellt sich heraus, dass die Frauen in den Duschräumen nicht vergast werden, sondern sich Wasser über sie ergießt. Auch das stellt in den Raum, dass es durchaus möglich war mit dem Schrecken davon zu kommen, während in der Realität der Duschraum meistens das unausweichbare Ende war. Claude Lanzmann sagte 1994 in einem Interview mit dem Standard dazu: „ In Schindlers Liste gibt es etwas, was nicht ehrlich ist, weil Spielberg den Eindruck erweckt, als habe man die Gaskammer lebend verlassen können: Es gibt da ein Spiel zwischen Gaskammer und Duschbad, das nicht akzeptabel ist.“
Bei aller Kritik muss man aber festhalten, dass es sich bei Schindler’s Liste um keinen Dokumentarfilm, sondern einen Spielfilm handelt, der sich letztendlich in seinen Grundzügen der Wunschmaschine Hollywood unterwerfen muss. In seiner Imaginierung des Holocaust ist er sehr effektiv, reizt geradezu die technische Vorstellungskraft der Traumfabrik aus. Ob er abseits der Schindlerjuden den Millionen von Toten gerecht wird ist die andere Frage.
Trotzdem hat Spielberg mit Schindlers Liste einen zeitlosen Film geschaffen und das Tor zu einem Thema aufgestoßen, das nicht mehr nur einem kleinen Kreis vorbehalten war. Es hat somit nicht nur seine Tabuisierung verloren, sondern maßgeblich zum Versöhnungsprozess beigetragen. Und das ist im Endeffekt das wichtigste Erbe von Schindlers Liste. (sg)
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Alle Fotos © 2019 Universal Pictures
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.