Literatur beschränkt sich nicht streng aufs rein geschriebene Wort. Literatur steckt auf die eine oder andere Weise in jeder Form erzählender Kunst. Obwohl Graphic Novels heutzutage bereits so gut etabliert sind, dass sie eine eigenständige Kunstrichtung sind, fallen sie doch ins expansive Reich der Literatur. Literarisches steckt in Albert Mitringers toller Graphic Novels Requiem auf jeden Fall genug.
Eine Rezension von Peter Marius Huemer. Der freie Schriftsteller stellt euch in “Peters Buchtipp” jeden Monat ein außergewöhnliches Werk vor.
5. Juli 2021: Der Tod steht für gewöhnlich am Ende einer Erzählung, vor allem wenn es sich um den Tod des Protagonisten handelt. In Requiem aus der Feder des jungen Graphic Novel Shooting-Stars Albert Mitringer aus Wien fängt da die Geschichte aber erst richtig an.
Unser Protagonist ist ein bereits vor längerem in der Schlacht gefallener Ritter, der inmitten seiner toten Kampfgefährten als Skelett aufwacht. Leider kann er sich nicht mehr an sein Leben erinnern und macht sich geführt von einer Krähe auf den Weg in seine ehemalige Heimat, um sich selbst wiederzufinden. Auf der Welt gibt es bloß noch wenige Menschen, stattdessen bevölkern Dämonen, riesenhafte Monster und Vampire das Land. Dementsprechend stellt sich die Reise als nicht ganz einfach heraus.
Der Großteil der Zeichnungen in Requiem sind hochstilisiert in schwarzweiß gehalten und schaffen somit genau die scharfen Kontraste, die Figuren und Landschaften benötigen, um die Stimmung des Buches zu transportieren. Der Kontrast zwischen Tragik, Trostlosigkeit und spürbarem Lebenswillen und ironischer Heiterkeit. So traurig die Welt auch ist, durch die sich die Figuren bewegen, überwiegt doch nie die Düsternis, sondern immer ein gutes Stück Hoffnung. Die Architektur und die Kreaturen des Buches erscheinen wie eine Mischung aus Dark Souls und Walter Moers Zamonien-Romanen. In jeder Figur – im Aussehen genau wie im Handeln – findet sich erfrischende Naivität.
Wann immer im Protagonisten eine Erinnerung aus seinem Leben erwacht, kommt Farbe in die Erzählung. Die Welt der Erinnerung ist bunt und hell und ein kleines Stück auch nostalgisch verklärt. Die scharfen Kanten verschwinden aus dem Stil und werden durch weiche Linien ersetzt. Warme Farben füllen das leere Weiß. Das Buch als solches ist wunderschön aufgemacht. Das große Format und das mit Gold verzierte Cover runden das Gesamtbild ab.
Mitringers ebenfalls wunderschön gezeichnetes Erstlingswerk Lila kam ja ganz ohne Text aus. Anders ist es nun bei Requiem. Nur schade, dass gerade das Geschriebene etwas schwächelt. Klar stehen in einer Graphic Novel oft die Bilder und das visuelle Erzählen im Mittelpunkt. Leider schwächen manch ungelenk formulierten Dialoge oder unnötigen inneren Monologe die Erzählung. Hin und wieder wünscht man sich das Buch würde bis aufs Nötigste darauf verzichten. Die Gedichte zwischen den Kapiteln sind hingegen sehr stimmungsvoll und verleihen der Geschichte eine angenehme thematische Kohäsion.
Die Handlung selbst ist inspirierend und der eine oder andere Moment wärmt einem das Herz. Dabei sind es die Nebenfiguren, die scheinen. Ein einsamer Dämon, eine hungrige greisenhafte Vampirin und ein verlassenes Kind stehlen dem Untoten Ritter fast die Schau, weil ihre Emotionen implizit bleiben und wir kontextuell mit ihnen mitfühlen. Die dem Buch zugrunde liegende Botschaft ist zwar nichts ganz Neues, wird aber so liebevoll in Szene gesetzt, dass das nicht weiter ins Gewicht fällt.
Requiem ist ein großartig gezeichnetes, stilistisch interessantes und wunderschön aufgemachtes Buch, das lediglich im Text Schwächen aufweist. Eine herzerwärmende Geschichte über Leben und Tod.
Requiem (Zwerchfell Verlag) von Albert Mitringer ist um 25 Euro seit Mai 2021 in jeder gut sortieren Buchhandlung (hier eine Übersicht der 12 schönsten in Wien) sowie im Online-Handel erhältlich.
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Alle Fotos (c) Zwerchfell Verlag, heldenderfreizeit.com
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.