Wie mit Femiziden umgehen? In ihrem Regiedebüt Promising Young Woman lässt Schauspielerin, Produzentin und Regisseurin Emerald Fennell die beste Freundin einer ermodeten jungen Frauen Rache an all jenen nehmen, die sich der Tat und der Vertuschung schuldig gemacht haben. Mit der unangepassten Art der Protagonistin, und der fast durchgehend unromantisierten Sicht auf die Realität der Dinge, gelingt Fenell hier ein ausgezeichneter, oscar-prämierter Einstand.
von Susanne Gottlieb
19. August 2021: Es vergeht fast kein Monat in den Medien, in denen man nicht hört, wie eine Frau, oder sogar eine Jugendliche, von ihrem Ehemann/Freund oder doch einem Fremden vergewaltigt und ermordet wurde. Gewalt gegen Frauen ist ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem. Vor allem, da viele Menschen hier noch immer Täter-Opfer-Umkehr betreiben. Hinzu kommt, dass manche Frauen das patriarchale System, das diesen Problemen kein Gehör schenkt, im Erhalt des Status Quo unterstützen. Erhebt man seine Stimme, prangert man das System an, ist man “eine von denen”. Fenells Film wirft den Blick auf eine solche Frau, die aus der von ihr erwarteten Rolle ausbricht, um Rache für ihre von der Gesellschaft physisch wie auch symbolisch vergrabenen Freundin zu nehmen.
Promising Young Woman startet nun endlich nach Monaten des Wartens im Kino. Was euch erwartet, lest ihr hier.
Cassie (Carey Mulligan) hat vor Jahren ihr Studium als Ärztin geschmissen und jobbt, zum Leidwesen ihrer Eltern, in einem Coffeeshop. Vor Jahren wurde ihre beste Freundin Nina von ihrem Mitstudenten und Trust Fund Erben Al (Chris Lowell) vergewaltigt. Das darauf folgende Trauma und das mangelnde Gehör ihrer Mitmenschen ließen Nina nicht nur das Studium abbrechen, es trieb sie schlussendlich in den Selbstmord. Cassie jagd Männern auf der Jagd im Nachtleben nun regelmäßig einen Schreck ein. Sie gibt sich als sturzbetrunkenes Partygirl aus, von dem Typen glauben, sie können mit ihr schnellen Sex haben – bis sie daheim eines Besseren belehrt werden.
Eines Tages kreuzen sich die Wege von Cassie und ihrem ehemaligen Uni-Kollegen Ryan (Bo Burnham), der ihr erzählt, dass Al im Begriff ist zu heiraten. Während sich die beiden privat näher kommen, plant Cassie sich an Al und all den anderen zu rächen, die Nina nicht glaubten, oder sich auf Als Seite stellten. Doch Ninas Mutter bittet sie, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Und Cassie muss sich auch fragen, was sie realistisch glaubt, erreichen zu können und was sie bereit ist zu opfern. Immerhin ist das System in solchen Fällen selten auf der Seite der Frau.
“Promising young man” – so nannte der Richter Brock Turner, nachdem er den Vergewaltiger nur zu drei Monaten Haft verurteilt hatte. Der junge Mann habe immerhin noch seine ganze Zukunft vor sich. Wie mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um Gewalt an Frauen geht, sollte kein Geheimnis sein. Emerald Fennell hatte sich für ihr Debüt daher ein gewagtes Debüt ausgesucht. Egal wie progressiv die Filmlandschaft inzwischen sein mag. Eine Frau, die Männer verfolgt, verletzt und zur Rechenschaft zieht, das ist unter den (männlichen) Executives noch immer ein heikles Thema. Filme werden ja primär immer noch mit einer männlichen Zielgruppe vor Augen produziert.
Dass Fennell diesen Film machen konnte, ist großartig. Denn sowohl im Drehbuch als auch in der Regie nimmt sie sich kein Blatt vor dem Mund. Ihre Cassie ist unangepasst, provokativ und geht ihren Mitmenschen gehörig auf die Nerven. Aber, das darf sie, denn Cassie ist nicht der Pflicht unterworfen, sich wie eine angepasste Vorzeigefrau dem Idealbild der Gesellschaft von Feminität zu unterwerfen. Ihr Vater (Clancy Brown) wirft ihr zwar immer vor, ihr Leben zu vergeuden. Doch selbst der kleinste Ansatz, Cassie in irgendeiner Weise die Form ihrer Existenz oder Umgang mit Menschen abzusprechen, wird sofort abgeschmettert.
Das Ende ist dann doch etwas weicher geraten als Fennell es ursprünglich geplant hatte. Das Studio hatte sich einen gewissen Grad an Optimismus gewünscht. Im Endeffekt soll Hollywood dann doch inspirieren, auch wenn es in der Realität diese Inspiration oft nicht gibt. Dennoch verleiht es dem Ganzen eine bittersüße Note, und lässt darüber debattieren, wie viel besser die Welt doch wäre, wären wir solidarischer mit den Schwächsten und Schutzlosesten unter uns.
Promising Young Woman ist ein ungeschönter, gelungener Racheakt gegen eine Welt, in der Frauen noch immer in ihrer Glaubwürdigkeit daran eingestuft werden. Oder bei Gelegenheit gefragt werden, was sie anhatten und wie viel sie die Person angelächelt haben.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.