Jürgen Bauer dürfte spätestens seit seinem erfolgreichen Roman Ein guter Mensch den meisten literaturinteressierten Menschen in Österreich ein Begriff sein. Mit seinem Buch Portrait (Septime Verlag) schafft er es, noch einmal sich selbst zu übertreffen. Aktuelle Ergänzung: Hier haben wir auch noch eine Rezension zu seinem neuesten Werk Styx.
Eine Rezension von Peter Huemer. Der freie Schriftsteller stellt euch in “Peters Buchtipp” jedes Monat ein außergewöhnliches Werk vor.
24. November 2020: Portrait ist die Biografie eines facettenreichen Menschen in drei Stimmen. Seine Mutter, seine Ehefrau und sein Geliebter berichten vom Leben des Mannes. Sie erzählen jeder für sich die Geschichte jener Person, für die sie ihn halten und davon, wie er auf ihre Leben wirkt. Ein vielschichtiges Buch über die Schranken der Zwischenmenschlichkeit.
Der Roman ist in drei nach ihren jeweiligen Erzählern benannte Kapitel unterteilt und die unterscheiden sich in Stil und Konstruktion als wären es drei unterschiedliche Erzählungen. Dabei hängen die Passagen untrennbar aneinander. Wie die Leben des abwesenden Protagonisten und seiner drei Erzähler sich nie ganz vereinen und niemals völlig harmonieren und trotzdem ohne einander nicht sie selbst wären.
Der Einstieg in den Roman ist gleich stark, weil vage. Mariedl, Georgs Mutter, erzählt von der Zeit vor der Geburt ihres Sohnes, vom Verschwinden dessen Vaters während des Kriegs und von ihrem Leben auf dem Bauernhof. Ihr Blick auf ihr Kind ist zwischen mütterlicher Zuneigung und traditionsgebundener Ablehnung hin und her gerissen. Sie versteht ihren Sohn nicht und erzählt deshalb lange an ihm vorbei. Auf die eine oder andere Weise gilt dies für alle drei ErzählerInnen. Aber besonders bei Mariedl macht es Eindruck, weil sich in diesem Umkreisen einer Person, ein extrem facettenreicher Charakter konstruiert. Während die anderen Kapitel dem eigentlichen Protagonisten näher sind, tastet sich dieses behutsam voran und ist dabei eine ganz eigene, in sich geschlossene, Erzählung.
Die zwei folgenden Kapitel erzählen ebenfalls mehr von ihren Erzählern als von Georg und auch sie können für sich allein gelesen werden. Trotzdem sind sie dem Protagonisten, seinem Erleben und seinen Gedanken näher – Georg ist Präsent, ist Figur und nimmt dementsprechend mehr Platz ein. Das ist natürlich notwendig, macht aber die Erzähler (Gabriel und Sara) zu weniger alleinstehend treibenden Charakteren. Dafür befinden sie sich mitten im Geschehen und verankern Georg in einer dreidimensionalen Welt, die greifbar voller Geschichte und Leben steckt.
Wie gut kann man einen Menschen kennen? Das ist die zentrale Frage von Portrait. Aber das Kennen ist keine Einbahnstraße. Georg ist kein einfacher Mensch und in all seiner Komplexität trägt er Mitverantwortung dafür, was über ihn gedacht wird, was man von ihm sieht und was nicht. Die Erzählung ist also eine mehrfrach gefilterte Illusionen über Illusionen, die es zu durschschauen gilt. Dass das gar nicht möglich ist, macht nichts. Portrait ist im wahrsten Sinne ein Gemälde. Die Interpretation eines Lebens.
Stets gegenwärtig sind in dem Buch auch gesellschaftliche Einflüsse auf die Perspektiven der Menschen. Es sind nicht nur die Rollen, der Erzähler sondern vor allem der soziale Kontext ihres Zusammenseins mit Georg, die ihr Bild von ihm prägen. Auch in diesem Aspekt gelingt es Jürgen Bauer mehr als nur Kulissen zu schaffen. Die Welt lebt und wächst und wandelt sich ohne jemals künstlich zu wirken.
Jürgen Bauers Roman Portrait ist weniger eine Charakterstudie oder eine Biografie als vielmehr eine Wahrnehmungsstudie oder ein Mosaik. Kein Buch für Leser, die nach ständiger Action suchen, sondern für alle, die sich gerne in einem stetigen literarischen Strom von Eindrücken und Erinnerungen verlieren. Ein großartiges Stück österreichischer Literatur.
“Portrait” von Jürgen Bauer ist seit 24. August 2020 in jeder gut sortierten Buchhandlung und im Online-Handel erhältlich. Hier kannst du auch schon eine Rezension zu seinem neuesten Buch STYX nachlesen.
Egal ob aktuelle Film- und Buchempfehlungen, köstliche Rezepte oder spannende Reiseberichte, auf heldenderfreizeit.com findest du die besten Tipps für deine Freizeit. Zusätzliche Lektüre kannst du hier entdecken:
STYX von Jürgen Bauer
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Alle Fotos (c) Jürgen Bauer, Septime Verlag, heldenderfreizeit.com
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.