Prügeln, plaudern oder plündern? Seit 8. Mai sorgt das Rollenspiel-Highlight Pillars of Eternity 2: Deadfire für schlaflose Nächte. Reibereien auf hoher See, im finsteren Kerker und tiefsten Urwald erfreuen das Zocker-Herz. Warum der Singleplayer-Hit aber nicht ganz so fesseln kann wie erhofft? Unser Test.
von Christoph Geretschlaeger
Die Renaissance der klassischen Rollenspiele á la Baldurs Gate ist voll im Gange. Es setzen aber kaum große Publisher auf CRPGs (computer role playing games), es sind vielmehr Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter und Fig. Mit den entsprechenden Finanzen kann man auf Fig sogar als Investor einsteigen. Im Jänner 2017 startete Pillars of Eternity 2: Deadfire seine Geld-Sammel-Kampagne. Nach gerade einmal 22 Stunden war das Spiel schon finanziert. In den folgenden Wochen ging es darum möglichst viele Stretchgoals (neuer Content, je mehr Geld gespendet wird) zu erreichen. Insgesamt kamen so knapp 4,5 Millionen Dollar zusammen von rund 34.000 Unterstützern. Wäre die 5 Millionen-Hürde geknackt worden, hätten wir uns auf einen weiteren Mitstreiter freuen können, aber auch so hat Pillars of Eternity 2: Deadfire mehr als genug zu bieten.
Was genau erfahrt ihr in unserem großen Test:
Pillars ist eine direkte Fortsetzung des erfolgreichen ersten Teils aus dem Jahr 2015. Es geht wieder um Seelen, Götter und das Gewebe zwischen dem Dies- und Jenseits.
Du hast den Vorgänger nicht gespielt oder kannst dich nur mehr finster daran erinnern? Kein Problem. Ganz am Anfang schreibst du die Geschichte einfach neu. Ein umfangreiches Glossar hilft bei der Entscheidungsfindung. Oder du importierst deinen Spielstand vom ersten Teil. Pillars 2 macht mit seiner Einleitung einen guten Job, dich in die Welt hineinfinden zu lassen. Veteranen der Reihe werden im Verlauf des Spiels aber viele Hinweise oder Callbacks an den ersten Teil finden, inklusive zurückkehrender Gruppenmitglieder.
Nach der umfangreichen Charaktererstellung, bemerkt man die fast schon exzessive Vertonung der Gespräche. Überhaupt ist offensichtlich wie viel Zeit und Energie in die Dialoge gesteckt wurde. Wobei das Lesematerial teilweise ausartet (freilich nicht ganz so schlimm wie im ersten Teil als jede Seele seine eigene seitenlange Hintergrundgeschichte hatte).
Du wachst an Bord deines Schiffs auf, der Defiant. Als Deep Space Nine Fan gibt es auch keinen Grund es jemals umzubenennen. Du bist ein Watcher, kannst Seelen sehen und mit ihnen interagieren. Um dich scharst du eine Gruppe von Abenteurern, die im Deadfire-Archipel für Recht und Ordnung sorgen. Oder die plündern und brandschatzen – deine Entscheidung.
Kämpfe laufen quasi-rundenbasiert ab. Nach jeder Aktion, sei es ein Zauber oder ein Fausthieb, braucht jeder Charakter ein bissl um sich zu erholen, modifiziert durch die Schwere der Rüstung, etwaigen Buffs oder Debuffs und der Art der Waffe. Klassisch von Pen-und-Paper-Rollenspielen inspiriert kann zum Beispiel der Magier in jedem Kampf nur eine bestimmte Anzahl an Zaubern einer bestimmten Stufe wirken. So etwas wie einen Manavorrat gibt es nicht. Barbaren und Krieger haben ein Punktebudget, das in stärkere oder schwächere Fähigkeiten investiert wird. Cipher, die Klasse die mein Watcher spielt, muss ihre Ressource im Kampf erst aufbauen.
Eine Gruppe besteht aus bis zu fünf Abenteurern. Kämpfe können mit der Leertaste jederzeit pausiert werden. Genug Zeit um jedem Gruppenmitglied Befehle zu geben. Will man sich nicht mit jeder einzelnen Aktion auseinandersetzen, gibt es ein ausgeklügeltes AI-System. Damit setzt man Bedingungen, wann bestimmte Zauber oder Angriffe verwendet werden. Das ausgesprochen robuste System erlaubt die wildesten Sachen und verhindert, dass der Krieger immer zum hintersten Gegner rennt oder der Priester sich nur selber heilt. Auf den höheren Schwierigkeitsgraden ist eine solide eingestellte AI Gold wert, und auf den niedrigeren tun es aufgeschreckt herumlaufende Henderl auch.
Womit wir schon bei einem Kritikpunkt sind: In den Kämpfen verliert man leider viel zu leicht den Überblick. Gegner lassen sich nicht direkt analysieren. Unter ihren Namen finden sich lediglich Rüstungswert und die Namen der Buffs. Wer nicht hunderte Stärkungs- und Schwächungszauber kennt, ist dazu verdammt den Kampflog minutiös zu studieren, um herauszufinden welche Attacke jetzt besonders effektiv sein könnte.
Immer nur Prügeln muss ja nicht sein. Viele Konflikte lassen sich durch zahlreiche Dialogoptionen umgehen (aber durchaus auch initiieren). Je nach Fähigkeit in den korrespondierenden Talenten sind Lügner schnell durchschaut oder Auftraggeber hinters Licht geführt.
Als ich zum ersten Mal mein Schiff bestiegen habe, dachte ich zuerst, nujo die Karte ist ja gar nicht mal so groß. Dann fahr ich mit meinem Schinakel bis an den Rand und plötzlich zoomts raus. Die Karte ist riesig. Zahllose Atolle gilt es zu erforschen, zahllose (andere) Piraten oder auch hilflose Händler gilt es zu jagen.
Auf dem Weg zu meinem ersten Ziel gerate ich direkt in einen Sturm. In einem quasi Text-Adventure entscheide ich, dass mein Steuermann sich gefälligst mit einem Tau festzubinden hat und der Rest der Crew unter Deck die Ladung sichern soll. Der Sturm wird immer stärker und meine unerfahrene Crew (am Kapitän und seinen Entscheidungen kann‘s ja nicht liegen) scheitert gnadenlos: Game Over. Nach dem Quick Load (Pillars speichert relativ oft selbst, ist was das betrifft sehr gnädig) umgehe ich den Sturm weitläufig und konzentriere mich lieber auf unentdeckte Ländereien.
Das Schiffs-Management selber ist leider unnötig sperrig. Ressourcen (Holz zur Schiffsreparatur, Heilkräuter für verwundete Crew-Mitglieder und natürlich Kanonenkugeln) müssen in den Häfen alle einzeln nachgefüllt werden.
Einige Bugs und Abstürze sind mir in meinen rund 40 Stunden Spielzeit über den Weg gelaufen. Zwei, drei Kämpfe musste ich wiederholen, weil das Spiel nach einem Szenenwechsel abstürzte. Und warum ich die Kapitänskajüte nicht upgraden konnte, weiß ich bis heute nicht. Aktuell lässt sich auch ein bestimmter Handlungsstrang (recht spät im Spiel) nicht auflösen, aber vielleicht muss ich dazu nur ein paar Leute ins Jenseits befördern. Außerdem funktioniert der adaptive Schwierigkeitsgrad momentan mehr schlecht als recht. Entwickler Obsidian hat allerdings schon einen Patch angekündigt.
Ich liebe Rollenspiele. Pillars of Eternity 2: Deadfire ist kein grandioses oder bahnbrechendes, aber ein gutes. Es schließt nahtlos an seinen Vorgänger an, vereinfacht ein paar Systeme und verkompliziert neue. Ich hatte nach dem starken ersten Teil große Hoffnungen für Pillars 2. Es ist ein Spiel, in dem man sich für Stunden verlieren kann, mit ausgesprochen interessanten Charakteren. Es fehlen jedoch die Wow-Momente. Die atmosphärische Grafik ist toll, aber leider bleibt die Kamera immer isometrisch und hält einen auf Distanz. Dafür haben Entscheidungen weitreichende Konsequenzen. Ein gewisser gefiederter Paladin hat einfach für immer meine Gruppe verlassen, weil ich den Kopf einer Adelsfamilie … geköpft hab.
In den Kämpfen fehlt mir die rundenbasierte Freiheit und Combo-Flexibilität eines Divinity: Original Sin 2 (siehe Helden-Test). Die Effekte geben selten massive Boni oder Immunitäten, meistens nur eine etwas bessere Chance einem Debuff zu widerstehen. Loot hat das gleiche Problem. Gerade am Anfang gibt es kaum interessante Gegenstände, +1 Wahrnehmung hier, +1 Verteidigung dort. Im Verlauf des Spiels wird das ganze interessanter. Lebende Waffen und Amulette, die den Tod verhindern sind nur ein paar Beispiele von Endgame-Rüstungen, die für meinen Geschmack aber viel zu spät im Spiel auftauchen.
Fesselnd würde ich die Story auch nicht gerade beschreiben. Nie schafft es die Hauptgeschichte ein gewisses Tempo reinzubringen oder einen Handlungsdruck zu erzeugen. So bleibt dafür mehr Zeit zum Erforschen des Archipels. Den oft übertrieben redseligen NPCs hört man nach einer gewissen Zeit gar nicht mehr zu, was angesichts der toll vertonten Charaktere sehr schade ist.
Pillars of Eternity 2: Deadfire ist seit 8. Mai um 46 Euro auf Steam und GOG erhältlich. Für Herbst ist eine Konsolenversion geplant. Wir sind gespannt, ob sie eine vernünftige Steuerung für den Controller zusammenbringen.
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Alle Bilder (c): Obsidian
Der Grafiker und Art Direktor (Helden der Freizeit, Styria Verlag) aus Wien ist ein absoluter Game- und Film-Kenner. Das zeigt das in seinen Tests und Bestenlisten.