Wie damit umgehen, wenn gleich nach der Geburt das Baby stirbt? Wer trägt die Schuld? Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó und seine Partnerin und Drehbuchautorin Kata Wéber lassen bei ihrem englischsprachigen Debüt Pieces of a Woman Vanessa Kirby auf der Suche nach Antworten zur Spitzenform auflaufen. Warum der Film, der heute bei uns auf Netflix startet, trotzdem nicht in jeder Hinsicht überzeugen kann.
von Susanne Gottlieb
7. Jänner 2021: Kein Elternteil sollte sein Kind je sterben sehen. Vor allem nicht ein paar Minuten nach der Geburt. Es ist harter Tobak, den Kornél Mundruczó und Kata Wéber für diesen Film gewählt haben. Vor allem, da sie dem Zuschauer in einer großartigen, ungeschnittenen Plansequenz 20 Minuten lang, die zum Scheitern verurteilte Geburt offenbaren, bevor überhaupt die Titel Credits über den Bildschirm huschen. Die Geschichte basiert peripher auf ihrer eigenen Erfahrung mit einer Fehlgeburt. Dazwischen versucht sich der Film als introvertierte Charakterstudie irgendwo zwischen Arthouse und Hollywood Drama einzunisten. Das gelingt jedoch nicht immer.
Wir verraten euch hier, warum ihr den Film trotz schwierigen Szenen durchaus schauen solltet und wo er leider ein wenig Potenzial verspielt hat. Und hier der ultimative Überblick, was noch im Jänner auf Netflix erscheint.
Die Boston stämmige Martha Weiss (Vanessa Kirby) erwartet mit ihrem Lebenspartner Sean Carson (Shia LaBeouf) ihr erstes Kind. Martha, aus reichem Hause mit Top-Bürojob und der aus einfachen Verhältnissen kommende Brückenbauer Sean scheinen zunächst nicht viel gemeinsam zu haben. Auch Marthas Mutter Elizabeth (Ellen Burstyn), sieht nicht viel Potenzial in der Verbindung, was immer wieder zu Konflikten zwischen ihr und Sean führt. Ein Baby, so könnte man meinen, wäre die ultimative Verbindung. Doch die anstehende Geburt steht unter keinem guten Stern.
Martha, die sich für eine Heimgeburt entschieden hat, muss zunächst hinnehmen, dass ihre geplante Hebamme verhindert ist und den Ersatz Eve (Molly Parker) den Job übergeben. Nach zunächst guten Voraussetzungen bemerkt Eve, dass die Herztöne immer unregelmäßiger werden. Für das Krankenhaus ist es bereits zu spät. Das Kind muss vor Ort geboren werden. Doch das Geburtstrauma beschert Marthas Tochter kein langes Leben.
Wie nun damit umgehen? War Eve Schuld? War es ein böser Schlag des Schicksals? Was bedeutet das für die Beziehung der beiden Elternteile? Die weitere Laufzeit des Filmes folgt dem Versuch Marthas so wie ihrer erweiterten Familie, aus diesem Trauma Sinn zu schöpfen. Während Martha sich zurückzieht und ihr Leben verwahrlosen lässt, versucht ihre Mutter mithilfe einer Cousine der Familie Eve vor Gericht zu verantworten. Aber auch die Dinge zwischen Martha und Sean entrücken immer weiter, da man keinen gemeinsamen Pfad der Trauer findet.
Der Film mag zwar auf einer realen Ausgangssituation basieren, die persönlichen Emotionen und Entwicklungen sind jedoch ganz allein Kirbys hervorragende Arbeit. Ihr Schauspiel wurde zurecht bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet. Ihre Martha ist eine Mischung aus Zerbrechlichkeit, stummer Wut und eiskalter Rationalität, wenn sie den Alltag danach, die verbleibenden körperlichen Zeugen einer Geburt sowie das überschwängliche Mitleid ihrer Mitmenschen navigiert.
Oszillierend davon blickt der Film auch auf LaBeoufs Sean, der von der Illusion seiner Tochter nicht loslassen kann und ebenso verbittert wie Marthas Mutter Eve zur Rechenschaft ziehen will. Elizabeth, das Kind von Holocaust Überlebenden, spricht von ihrem eigenen Kampf ums Überleben im Faschismus. Sie versucht wiederum in Martha einen von weiblichen Generationen vor ihr vererbten Willen zur Selbstverteidigung, zum Schutze ihrer Existenz einzupflanzen, der ihr helfen soll, die Täter zu bestrafen. Aber Martha wehrt sich gegen diese Vereinnahmung. Sie möchte ihre Trauer anders gestalten.
Diese mikroskopische Analyse der Familienverhältnisse ist einerseits einer der stärksten Elemente des Films, bedingt aber auch leider seine schwächeren. Das Gerichtsverfahren gegen Eve beispielweise, wird bis auf eine Schlüsselszene nur peripher angerissen. Die Umwelt, die Martha navigieren muss, erscheint als fahler Schleier. So wirken die stärkeren Momente des Films, in denen das Arthouse Kammerspiel in große Reden des Hollywoodkinos umschwingt, manchmal etwas gezwungen.
Pieces of a Woman ist herzzerreißendes Arthouse Kino, das mit einer emotional-auslaugenden Anfangssequenz aufwartet, aber gegen Ende ein wenig Dampf verliert. Aber ein Thema, über das so wenig geredet wird, und das so wunderbar gespielt wird, hat sich ein Netflix-Screening verdient.
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Bilder: © 2020 Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.