Anführer und Fußballkönig auf dem Platz, braver Regimebauer abseits davon. Der neue Pelé Film auf Netflix zeichnet die Geschichte des vielleicht besten, aber sicherlich wichtigsten Fußballspielers aller Zeiten – anhand seiner unerreichten drei WM-Erfolge, die er Messi, Maradona und Ronaldo voraus hat. Ein Mann, der ganz Brasilien mit seinen Erfolgen inspirierte, gleichzeitig aber auch dem mörderischen Regime die Hand schüttelte.
von Christoph König
22. Februar 2021: “Die Weltmeisterschaft war wichtig für das Land. Aber in dem Moment wollte ich nicht Pelé sein. Ich fand es schrecklich! Ich betete: Gott, das ist meine letzte WM, bitte hilf mir!” Das ist der starke Einstieg zum neuen Pelé Film auf Netflix, der ab morgen beim Streamingdienst zu sehen ist. Kontrastiert werden diese Worte vom Jubel der 107.000 Fans bei der Eröffnung der Fußball-WM 1970 im Aztekenstadion. Während das Fußballfest mit Trommeln und Trompeten angepfiffen wird, steht der brasilianische Superstar extrem unter Druck. Medien spekulieren, ob der damals beste Fußballspieler der Welt mit erst 29 Jahren schon den Zenit seiner Karriere überschritten hat. Ganz Brasilien leidet unter dem Martyrium einer brutalen Diktatur und hofft, dass ihr Fußball-König sie das Leid zumindest ein paar Tage vergessen lässt.
Harter Schnitt! Ein Rollwagerl kommt ins Bild. Der heute 80-jährige Pelè schleppt sich auf einen Sessel. Ganz kurz hat man Mitleid mit einem, der nicht nur als der beste, sondern auch als einer der schnellsten Spieler der Welt galt. Dann schiebt er die Gehhilfe mit Kraft zur Seite, als wollte er sagen. “So, jetzt zeige ich euch den richtigen Pelé” Und dann erzählt er seine Geschichte.
Sie beginnt mit einem Buben aus armen Verhältnissen, der mit seinen Großeltern noch als 10-Jähriger mit dem Pferdewagen Holz ausliefert, der sein erstes Geld als Schuhputzer verdient und der gar nicht weiß, dass es andere Länder als Brasilien gibt. Den Weg zum Profi, seinen blitzschnellen Aufstieg zum globalen Superstar 1958 mit erst 17 Jahren bei der WM in Schweden. Seine Karriere, gepflastert von unfassbar vielen Toren (1283 in 1367 Spielen), aber auch einigen Rückschlägen, wie die Verletzung bei der WM 1962 oder dem Ausscheiden schon in der Gruppenphase beim Turnier 1966. Und spannt den Bogen bis zum eben erwähnten WM-Titel 1970 – den Pelé als eine persönliche Befreiung beschreibt.
Die Netflix-Doku ist nach klassischem Muster gestrickt. Sicher weniger mutig als beispielsweise der Film von Asif Kapadia über Diego Maradona, der sich auf dessen wildes Leben an der Seite der Mafia in Neapel konzentriert und beim Konkurrenten Amazon läuft. David Tryhorn und Ben Nicholas zeichnen Pelès Geschichte chronologisch, nützen als roten Faden die WM-Turniere, wohl auch, weil es davon am meisten Bildmaterial gibt.
Immerhin war das Fernsehen zu dieser Zeit erst im Vormarsch. “Nach meinem WM-Titel 1958 konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Weil ich war mir nicht sicher, ob meine Familie und die Menschen die Menschen in Brasilien, die Spiele überhaupt gesehen hatten.” Sie hatten und das ganze Land stand Kopf. Für Pelé war der Titel das Geschenk an seinen Vater. Als sie gemeinsam Brasiliens WM-Niederlage 1950 gegen Uruguay im Radio hörten, die ein nationales Trauma auslöste, versprach der Filius dem weinenden Papa: “Ich gewinne eine WM für dich!”
Es sollten drei werden (1958, 1962 und 1970). Kein Spieler hat bis heute öfter den WM-Pokal gestemmt und auch seine Torausbeute ist bis heute unerreicht. Ob das Pelé zum besten Spieler aller Zeiten macht, das ist Geschmackssache und darüber wird bis heute leidenschaftlich gestritten – gibt es da doch noch einen Maradona, einen Ronaldo und einen Messi. Ganz sicher gab es aber wohl keinen Spieler, dessen Erfolge so viel für sein Heimatland bedeuteten. Denn mit den WM-Titeln befreite er Brasilien von seinem “Bastard-Komplex”. Sie gaben einer Nation, die sich selber immer kleiner machte, ein völlig neues Selbstwertgefühl. Im Fußball war man auf einmal die Nummer 1.
Freilich wird auch Pelés Rolle unter der Diktatur ab 1964 im Film kritisch beleuchtet. Denn der ließ sich auch vom mörderischen Regime einladen, drückte beispielsweise General Medici lächelnd die Hand. Dass ihm der Mut fehlte, sich gegen die Machthaber aufzulehnen, haben ihm viele bis heute nicht verziehen. Das liegt wohl auch daran, dass ihm die Mächtigen meist geschickt umgarnten. Während das brasilianische Volk unter einem blutigen Regime litt, sagt Pelé: “Beim Fußball war alles wie es war. Für mich gab es keine spürbaren Veränderungen.” Hätte er überhaupt die Chance gehabt etwas zu bewirken? Hätte man ihn dafür wie seine Landsleute gefoltert und eingesperrt?
Fix ist: Abseits des Fußballs wirkte Pelés breites Strahlelächeln nicht mehr auf alle so magisch, wie noch zu Beginn seiner Karriere. Er heiratete er eine Frau, die er nur mochte, aber nicht liebte. Er zeugte zwei uneheliche Kinder, zu denen er sich erst in den 90er Jahren bekannte, er schlachtete sich selber sehr aggressiv als Marke aus und wurde 2017 wegen Geldwäsche verurteilt. Das alles ist Pelé.
Pelé ist aber auch der erste globale Superstar des Fußballs. Er konnte wegen des Rummels nicht mehr auf die Straßen gehen, wurde auf der ganzen Welt wie ein Popstar gefeiert wurde. Und er ist der, der alle Stärken der anderen Superstars in sich verband. Körperlich, vom Schuss und Kopfballspiel eine Urgewalt wie Cristiano Ronaldo, beidbeinig und dribbelstark wie Messi und Maradona. Und seine Tore sind wie Gemälde. Gaberlnd und mit Haken lässt er Horden an Verteidigern aussteigen und zimmert die Bälle ins Netz – wohlgemerkt in einer Zeit der harten Lederkugeln, in denen die Schiris ihre Karten selbst nach Blutgrätschen von hinten oft stecken ließen.
Während es dem Film nicht in allen Aspekten gelingt, hinter die Oberfläche zu schauen. So schafft es die Doku aber, alle Emotionen rund um die WM-Turniere gekonnt einzufangen. Denn was Pelé wahrscheinlich von einem Ronaldo, Messi oder Maradona abhebt, ist nicht nur, dass er als einziger dreifacher Weltmeister ist, sondern wie er sich dazu krönte. Nachdem der erste Titel 1958 noch die große Pelé One-Man-Show war, war jener 1962 mehr seinen Teamplayer-Qualitäten geschuldet. Denn da verletzte sich der Superstar früh. Er schaffte es aber seinen Kollegen einzuimpfen, dass sie auch ohne ihn erfolgreich sein können.
Der Titel 1970 war freilich sein größtes Meisterstück. Vom Regime zur Teilnahme gezwungen, fand er hier seinen Spaß am Fußball wieder. Er glänzte nicht nur als Torschütze, sondern vor allem als Einfädler. Bevor er aber er im Finale Italien mit einem Kopfballtor und zwei Assists abschoss, weinte er im Bus am Weg zum Stadion. “Als ich die Fanmassen Pelé und Brasilien schreien hörte, haben mich meine Gefühle übermannt.” Und als er nun 50 Jahre später diese Geschichte erzählt, kommen Pelé wieder die Tränen. Was für ein Druck muss auf ihm damals gelastet haben?
Es sind die stärksten Momente in diesem Pelé Film, der als Dokumentation die Welt nicht neu erfindet. Dafür fehlt etwas der Mut alle kritischen Aspekte genauer auszuleuchten. Das Bildmaterial nimmt uns aber gekonnt mit auf eine Zeitreise mit seinen genialsten Tore und dem Rummel drumherum – inklusive berührender Begegnungen in der Gegenwart zwischen Pelé und seinen alten Kollegen vom FC Santos. Vor allem lässt es uns aber fühlen, wie es in einem gefeierten Superstar vor der größten Sternstunde seiner Karriere wirklich vorgeht. Denn: “Das größte Geschenk nach einem Sieg ist nicht der Pokal. Es ist die Erleichterung.”
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Alle Fotos: (c) Netflix
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