Berührender Blick auf alternative Lebensentwürfe: Mit Past Lives gelingt Regie-Debütantin und Dramatikerin Celine Song eine der berührendsten Filme des Jahres. Pünktlich zum Kinostart lest ihr bei uns eine ausführliche Kritik.
von Susanne Gottlieb
10. August 2023: Wir alle waren schon einmal in der Situation. Das Kennenlernen einer besonderen Person, mit der es einfach nicht sein sollte. Seien es Umstände wie geographische Distanz, unterschiedliche Lebensabschnitte, oder sogar die Tatsache, dass wir mit jemanden anderen zusammen sind. All diesen intervenierenden Variabeln sowie der höheren Frage, wann und warum wir uns für einen bestimmten Lebensweg entscheiden, greift die kanadisch-koreanische Dramatikerin Celine Song in ihrem Regiedebüt Past Lives auf.
Der Film, der auf der Berlinale 2023 seine Premiere hatte, kann zurecht bereits als einer der besten Filme des Jahres gelten. Selten hat man in den letzten Jahren emotionaler und berührter mit einem (Beinahe-)Pärchen mitgelitten.
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Als Kinder stehen sie zwischen heimlicher Bewunderung und Konkurrenz. Na Young (hier noch Moon Seung-ah) und Hae Sung (hier noch Leem Seung-min) wachsen im Seoul der 90er Jahre gemeinsam auf, konkurrieren in der Schule und gehen jeden Tag gemeinsam heim. Na Young meint, sie könne sich vorstellen, ihn eines Tages zu heiraten. Doch etwaige zukünftige Romanzen werden auseinandergerissen, da Na Youngs Familie bald danach nach Kanada auswandert. Der Kontakt der Kinder zueinander geht verloren.
Zwölf Jahre später ist Na Young, die nun von allen Nora (jetzt Greta Lee) genannt wird, erneut eingewandert – diesmal in New York, wo sie sich als Dramatikerin einen Namen machen will. Durch Facebook stolpert sie über Hae Sung (jetzt Teo Yoo), der sie sucht. Die beiden entwickeln einen kurzen aber heftigen Online-Flirt, den Nora abbricht, da sie sich auf ihre Karriere konzentrieren will. Dann lernt sie auch noch den Autor Arthur (John Magaro) kennen, den sie bald darauf heiratet. Weitere zwölf Jahre später kommt es dann doch zum Wiedersehen. Und zu der Frage, ob man im Leben die richtigen Entscheidungen getroffen hat.
Was bedeutet es, den perfekten Menschen kennen zu lernen, und doch nicht füreinander bestimmt zu sein? In-Yun lautet ein koreanisches Prinzip – es geht davon aus, dass das Universum Seelen vereint, die in früheren Leben eine Verbindung hatten. 8000 Ebenen von In-Yun bedeuten, dass die beiden Seelen in diesem Leben ein Paar werden. Wo stehen Nora und Hae Sung? Kennen sie sich aus einem vergangenen Leben und treffen sich im nächsten um zusammenzufinden? Oder ist dies dieses Leben, das sie eigentlich vereinen sollte?
Autobiographisch angehaucht, erzählt Celine Song mit viel Einfühlungsvermögen eine Lovestory, die so keine sein kann, und doch mehr zu Herzen geht als vieles andere, was gegenwärtig am Kinomarkt als romantisch verkauft wird. Dabei gelingt es ihr, nicht nur das Thema von unerfüllbarer Liebe aufzugreifen. Auch Fragen von Emigration, dualer Identität, Zerissenheit zwischen den Kontinenten und der Abwägung von Selbstverwirklichung und romantischer Erfüllung finden sich auf behutsame, pointierte Weise im Skript.
Sie wolle sich auf ihren Wunsch, Dramatikerin in New York zu werden, konzentrieren, stattdessen suche sie dauernd Flüge nach Seoul, erklärt Nora ihren Wunsch, erst einmal getrennte Wege zu gehen. Und da ist dieser Bruch, den Song so schön herausschält, die Komplexität des Lebens. So wie Nora ihre eigene Identität entwickeln will, so entrücken die einstigen Kinder, die einstigen Gemeinsamkeiten einander immer mehr. Er sei so koreanisch, erklärt sie später ihrem Mann Arthur. Der Hae Sung, der in Theorie noch immer zu der Idee einer Na Young passt, ist vielleicht nicht mehr das Richtige für die Nora, die es nun gibt. Und dann ist da noch der stoische Arthur, der heimliche Held des Films, der sein eigenes Ego zurücksteckt, um Nora in ihrer komplexen Emotionsentwirrung zu unterstützen.
Veränderung ist ein wichtiges Element in Past Lives. Die romantische Neigung zu glauben, dass ein Seelenverwandter stets auf ewig zu uns passen wird, wird gegen den Strich gebürstet. Aufgrund seiner Dialoglastigkeit, seiner feinfühlig getakteten Erkundung zwischenmenschlicher Beziehungen, wurde der Film bereits mit der Before-Trilogie Richard Linklaters verglichen. Das greift im weitesten Sinne, da Nora und Hae Sung die meiste Zeit getrennt verbringen. Aber die Frage, was zwei Menschen verbindet, auch wenn die Verbindung nur an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmen Zeit existieren kann, das verpackt auch Song sehr berührend in ihrem Film.
Mit Past Lives ist Celine Song einer der berührendsten Filme des Jahres gelungen. Eine tief gehende Romanze über die Eigenarten des Lebens und Seelenverwandschaften, die man vielleicht nie einlösen kann.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.