In der Nacht von 2. auf 3. März werden in Los Angeles die 97. Oscars vergeben. Vorab gab es in den Hauptkategorien einige Skandale und Charaden. Warum Anora und Der Brutalist davon profitieren dürften und wer sich sonst noch die größten Chancen ausrechnen darf.
von Susanne Gottlieb, 18. 2. 2025
Die Waldbrände konnten nicht alles zerstören. Trotz der schlimmsten Katastrophe in Los Angeles seit Jahren findet die Verleihung wie gewohnt im Dolby Theatre statt. Seit der Ankündigung Mitte Jänner hat sich jedoch eingies getan. Zunächst führte Jacques Audiards Emilia Pérez die Favoritenlist an, kann immerhin stolze 13 Nominierungen vorweisen. Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón war auch die erste Transgender-Person, die in einer Darstellerkategorie berücksichtigt wurde. Doch als Gascóns vergangene rassistische Tweets auftauchten, und die Schauspielerin ihre Entschuldigung verpatzte, ist sie auf Award Shows eine Persona non grata ist und scheint es mit der Vormachtstellung vorbei zu sein. Nun könnten Sean Bakers Anora und Brady Corbets Der Brutalist die Vormachtstellung in diesen Kategorien übernehmen.
Ausgestrahlt wird die Preisverleihung wieder in über 200 Ländern und Gebieten – in Österreich beginnt die Live-Übertragung um 00:00 Uhr in ORF1. Auf der Bühne gibt es zudem ein fast überfälliges Debüt. Der beliebte Late Nite Host Conan O’Brien wird die Verleihung das erste Mal moderieren.
Wir bieten euch unsere Tipps bei den Nominierten in den 9 wichtigsten Kategorien. In Fett und mit Beschreibung die jeweiligen Favoriten. Dazu verlinken wir euch bei den Filmnamen unsere Kritiken, wo ihr mehr zur Handlung und unserer Meinung nachlesen könnt. Emilia Pérez liegt aktuell mit 13 Nominierungen vorne, gefolgt von Der Brutalist und Wicked mit jeweils 10.
Emilia Pérez, Frankreich
Flow, Lettland
The Girl with the Needle, Dänemark
Für immer hier, Brasilien
Die Saat des heiligen Feigenbaums, Deutschland
Lange schien es so, als würde Die Saat des heiligen Feigenbaums das Rennen machen. Doch Walter Salles Für immer hier, das in Venedig begeisterte und ausgezeichnet wurde, und Hauptdarstellerin Fernanda Torres bereits Preise einbrachte, setzt sich langsam an der Spitze durch. Der Film handelt von der Zeit der Diktatur in Brasilien und vom Verschwinden des Ehemanns von Torres Figur. Salles ist kein Unbekannter, er inszenierte schon Filme wie Die Reisen des jungen Che. Ist auch dahingehend gerechtfertigt, da Deutschland nur ein Juniorpartner in der Produktion des Feigenbaums war, und Frankreich sogar mehr Anrechte auf den Film gehabt hätte.
Flow
Alles steht Kopf 2
Memoir of a Snail
Wallace & Gromit – Vergeltung mit Flügeln
Der wilde Roboter
Eigentlich ist Der wilde Roboter das Zeug, von dem die Oscars träumen. Doch ein kleiner lettischer Film scheint sich vor die große, emotional angelegte Hollywood-Produktion zu schieben. Komplett ohne Dialoge, und sehr simpel mit der freien Software Blender animiert, folgt Flow einer kleinen schwarzen Katze, die sich bei einer Überflutung ihrer Welt mit anderen Tieren auf einen Kahn rettet. Aufgeladen mit Botschaften darüber, die eigenen Ängste zu überwinden und Kooperation zu lernen, hat Flow bereits einige Preise gewonnen und mächtige Fans wie Guillermo del Toro. Lest mehr zum in unseren Februar-Kinohighlights.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen“El Mal” Clément Ducol, Camille, Jacques Audiard, Emilia Pérez
“The Journey” Diane Warren, The Six Triple Eight
“Like a Bird” Abraham Alexander and Adrian Quesada, Sing Sing
“Mi Camino” Clément Ducol, Camille, Emilia Pérez
“Never Too Late” Elton John, Brandi Carlile, Andrew Watt, Bernie Taupin, Elton John: Never Too Late
Eine der Kategorien, in der sich Emilia Pérez doch noch durchsetzen wird. El Mal wird von der Anwältin Rita Moro Castro (Zoë Saldaña) gesungen, die Emilia bei einer Spendengala hilft. Der Raum ist voll mit korrupten Politikern, Richtern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, und sie singt über die Korruption im Land und die Heuchelei der Anwesenden, die ihr Geld für den guten Zweck spenden, aber alle auf der Gehaltsliste der Kartelle stehen. .
Monica Barbaro, A Complete Unknown
Ariana Grande, Wicked
Felicity Jones, Der Brutalist
Isabella Rossellini, Konklave
Zoe Saldaña, Emilia Pérez
Zwar sind noch keine SAG-Awards verliehen, aber dennoch darf man nach der BAFTA-Verleihung bereits annehmen, dass Zoe Saldaña diesen Oscar für sich verbuchen wird. Sie hat ungleich Karla Sofía Gascón auch keinen Skandal an sich hängen, und kann im Gegensatz zu Selena Gomez auch die spanische Sprache perfekt. Aber das ist noch kein Ausschlaggeber. Fakt ist, Zoe Saldaña war in einigen großen Produktionen der Neuzeit. In den Avatar-Filmen, den Marvel-Filmen, in Fluch der Karibik. Es ist schön zu sehen, dass sie nun auch für ganz andere Filme gewürdigt wird.
Yura Borisov, Anora
Kieran Culkin, A Real Pain
Edward Norton, A Complete Unknown
Guy Pearce, Der Brutalist
Jeremy Strong, The Apprentice
Wenn eine Kategorie sonnenklar ist, dann ist es wohl der beste Nebendarsteller, Kieran Culkin, jüngerer Bruder von Macaulay aus Kevin allein zu Haus, hat seit Anbeginn der Preisverleihungen alle Awards für sich verbucht. Als Jesse Eisenbergs Cousin im “Nachkommen von Holocaust-Überlebenden besuchen Polen”-Drama A Real Pain konnte er bisher die Kritiker und das Publikum begeistern. Sonst wird man von dem Film bei den Awards eher weniger hören.
Cynthia Erivo, Wicked
Karla Sofía Gascón, Emilia Pérez
Mikey Madison, Anora
Demi Moore, The Substance
Fernanda Torres, I’m Still Here
Für einen Moment hätte man meinen können, Karla Sofiá Gascón könnte als Reaktion auf die trans-feindliche Politik Trumps den Preis für sich verbuchen. Doch seit dem Skandal sind die Chancen hier eher dünn. Mikey Madison und Fernanda Torres mögen zwar auch Preise für sich verbucht haben, doch die Awards und der Preisträger-Narrativ haben Demi Moore bisher am meisten geliebt. Die einstige Königin von Hollywood, die mit dem Alter auch aufs Abstellgleis gestellt wurde, nicht ernst genommen wurde, nach der Scheidung von Ashton Kutcher gedemütigt war – wer würde ihr nicht einen Oscar wünschen? Nun kann sie diesen vermutlich abholen.
Adrien Brody, Der Brutalist
Timothée Chalamet, A Complete Unknown
Colman Domingo, Sing Sing
Ralph Fiennes, Konklave
Sebastian Stan, The Apprentice
Einst gewann Adrien Brody den Oscar als bester Hauptdarsteller für Der Pianist. Nun wird er wohl mit einer ähnlichen Rolle, der eines europäischen Juden in den 40ern, erneut die Statue gewinnen. Macht aber nichts. Brody ist ein Meister in diesen Rollen, schon andere haben zwei Auszeichnungen für sehr ähnliche Rollen gewonnen. In Der Brutalist ist er ein jüdischer Flüchtling, der sich im Amerika nach dem Krieg eine neue Existenz aufbauen will, aber von dem amerikanischen Traum bald bitter enttäuscht wird. Ein großes Kinoerlebnis, ein großer Brody.
Jacques Audiard, Emilia Pérez
Sean Baker, Anora
Brady Corbet, Der Brutalist
Coralie Fargeat, The Substance
James Mangold, A Complete Unknown
Selten finden sich in den Kategorien Beste Regie und Bester Film unterschiedliche Gewinner. Das wird auch heuer nicht anders sein. Sean Baker wird wohl das Rennen mit seinem Anora machen. Bisher mit seinen Filmen zwar mehrfach nominiert aber nur in kleineren Kreisen ausgezeichnet, könnte Anora nun der große Preisregen sein, der dem unkonventionellen Filmemacher schon länger zusteht.
Anora
Der Brutalist
A Complete Unknown
Conclave
Dune: Part Two
Emilia Pérez
Für immer hier
Nickel Boys
The Substance
Wicked
Auch hier nochmals: Der Anti-Pretty Woman Anora wird wohl das Rennen machen. Ob es Sean Bakers bester Film ist, da scheiden sich wohl die Geister. Aber nichtsdestotrotz ist er ein mächtiger Film über Klassenunterschiede, Sexarbeit, falsche Liebe, gebrochene Erwartungen. Ein Genremix aus Romanze, New Hollywood und Drama. Mit tollen Darstellern, emotionalen Momenten und einer Botschaft, die noch lange nachhallt. Ein würdiger Gewinner der Preisverleihung.
Wie haben die Nominierten der Oscars 2025 in unseren Bewertungen abgeschnitten? Lies hier unsere Reviews:
Die Saat des heiligen Feigenbaums – Kritik: Unterdrückung im Iran
Wicked – Große und bunte Musical-Adaption
Gladiator II – Überdrehte Fortsetzung des Kultfilms
Der Brutalist – Ein monumentales Meisterwerk
Alien: Romulus – Endlich mal wieder ein würdiges Franchise-Sequel
Alles steht Kopf 2 – Unterhaltsame Fortsetzung ohne neue Ideen
Planet der Affen: New Kingdom – Top-Auftakt einer neuen Filmreihe
Aufmacherfoto: (c) Universal Pictures, Polyfilm
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.