Das Kinojahr mag quantitativ mau gewesen sein, aber qualitativ müssen wir uns heuer bei den Oscars keine Sorgen machen. Am 26. April (2 Uhr früh MEZ), zwei Monate später als üblich, werden wieder die Goldstatuetten verliehen. Und sie werden wohl abermals Geschichte schreiben. In unserer Oscar Prognose 2021 erfährst du alles, was du wissen musst – zum geänderten Ablauf, den Nominierten und den Favoriten.
von Susanne Gottlieb
19. April 2021: Oscars? Geht denn das überhaupt? Die Kinos waren doch zu! Ja geht. Wenn auch diesmal zwei Monate später und mit einer durch die Bank kleineren Filmauswahl. Soll nicht heißen, dass im letzten Jahr nicht einiges raus gekommen wäre. Aber viele Filme, von denen man erwartet hätte, sie heuer auf einer Nominierungsliste zu sehen, werden wohl erst bis 2022 ihren Weg auf die Leinwand finden.
Die COVID-19 Pandemie hat sich aber nicht nur auf das Angebot ausgewirkt. Auch der Ablauf und die Regeln der Oscars werden diesmal ganz anders sein (ORF1 überträgt ab 0:30 Uhr früh in der Nacht vom 25. auf den 26. April). Da die meisten Kinos geschlossen bleiben mussten, können heuer auch Filme teilnehmen, die nur gestreamt wurden, aber für sieben Tage in einem Kino in Los Angeles County hätten gezeigt werden sollen. Diese sieben Tage Kinolaufzeit müssen nachgeholt werden, sobald die Kinos in LA wieder offen sind.
In anderen weniger COVID-bedingten Entscheidungen werden die beiden Tonkategorien heuer zusammengelegt und die Nominierungsanzahl für den Besten Film auf exakt 10 Filme festgeschrieben.
Der Positiveffekt der geringeren Auswahl scheint zu sein, dass Hollywood das erste Mal seit Langem wieder Filme von weiblichen Filmemacherinnen ernst zu nehmen scheint. Zwei Frauen sind für beste Regie nominiert: Chloé Zhao und Emerald Fennel. Das gab es noch nie. Bis jetzt hatte sich pro Nominierungskategorie hin und wieder maximal eine Frau im Pool der Auserwählten tummeln dürfen. Und erst eine hat bisher überhaupt jemals die Statuette gewonnen: Kathryn Bigelow für The Hurt Locker, und das im Jahr 2010!
Und wenn man sich die sehr wahrscheinlichen Gewinner in bester Film und beste Darsteller anzieht, dann dürfte es nicht nur für die Frauen ein sehr diverses, nicht-maskulines Jahr für die Oscars werden. Mit anderen Worten: Es geht doch. Wenn auch erst in einer Pandemie.
Stichwort Pandemie. Auch der Ablauf der Oscars wird sich ändern. Es wird ein physisches Live Event geben, wieder ohne Host. Produzent Steven Soderbergh hat mehr von dem Event einer “Cocktail Party” geredet. Nominierte und Präsentatoren werden anhand eines Swinging Doors Prinzips den Saal betreten und verlassen, um ihn möglichst leer zu lassen. Nominierte aus anderen Ländern werden dazu aufgefordert, sich in Nominierten Hubs in London und Paris einzufinden, um Flüge und Massenaufläufe in Los Angeles zu verhindern.
Auch heuer lassen sich für unsere Vorschau wieder einige klare Favoriten ausmachen, was wohl unter anderem auch daran liegt, dass es weniger Optionen als in den letzten Jahren gibt. Wir listen euch unsere Tipps in den wichtigsten Kategorien auf. Film ab für unsere Oscar Prognose 2021:
Better Days (少年的你 / Shàonián de nǐ), Hongkong
Kollektiv – Korruption tötet (Colectiv), Rumänien
The Man Who Sold His Skin, Tunesien
Quo Vadis, Aida?, Bosnien und Herzegowina
Der Rausch (Druk), Dänemark
Bei den Golden Globes konnte überraschenderweise noch der amerikanische, aber auf Koreanisch gedrehte Minari die Jury überzeugen. Doch im Hinblick auf dessen Nicht-Nominierung, und der Tatsache dass Der Rausch seit Monaten ein absoluter Kritikerliebling ist, wird der Oscar wohl nach Dänemark gehen. Die Tragik rund um den Tod von Regisseur Thomas Vinterbergs Tochter Ida (sie starb mit 19 bei einem Autounfall zu Beginn der Dreharbeiten) verleiht dem Ganzen noch zusätzliches Gewicht.
Die bunte Seite des Monds – hier unsere Kritik
Onward: Keine halben Sachen – hier unsere Kritik
Shaun das Schaf – UFO-Alarm
Soul – hier unsere Kritik
Wolfwalkers
Hier konkurriert Pixar amüsanterweise mit sich selbst. Aber keine Sorge, wie so oft wird Pixar das auch gewinnen. Nicht mit Onward, der leider nie so recht sein Publikum finden konnte, sondern mit dem Afterlife-Jazz-Melodrama Soul.
Fight for You aus Judas and the Black Messiah
Hear My Voice aus The Trial of the Chicago 7
Husavik aus Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga
Io sì (Seen) aus Du hast das Leben vor dir (La vita davanti a sé)
Speak Now aus One Night in Miami
Hier muss die Academy gelobt werden, dass sie die Filmwelt erhört hat und zumindest ein Lied aus dem Eurovision Song Contest Film nominiert hat. Wer gewinnen wird, ist aber schwer zu sagen. Bei den Globes hatte Io sì aus Du hast das Leben vor dir die Nase vorne.
Marija Bakalowa – Borat Anschluss Moviefilm
Glenn Close – Hillbilly Elegy
Olivia Colman – The Father
Amanda Seyfried – Mank
Yoon Yeo-jeong – Minari – Wo wir Wurzeln schlagen (Minari)
Mit einem SAG Award und einem BAFTA Award bereits in der Tasche, wird der Preis wohl an die südkoreanische Schauspielerin Yoon Yeo-jeong gehen. Und das absolut verdient. Yeo-jeong hat ihrer unkonventionellen Großmutter in Minari nicht nur stoischen Pragmatismus, sondern auch eine Einfühlsamkeit gegeben, die wir im Alltag oft an Menschen vermissen. Fun Fact übrigens – Glenn Close ist für dieselbe Rolle auch für einen Razzie nominiert. Bitte gebt der Frau also endlich für irgendetwas den Oscar!
Sacha Baron Cohen – The Trial of the Chicago 7
Daniel Kaluuya – Judas and the Black Messiah
Leslie Odom Jr. – One Night in Miami
Paul Raci – Sound of Metal
LaKeith Stanfield – Judas and the Black Messiah
Die absurde Situation hier ist, dass die Hauptdarsteller LaKeith Stanfield und Daniel Kaluuya beide für die Nebendarsteller Kategorie nominiert wurden, was die Frage offen lässt, ist Jesse Plemmons dann der Hauptdarsteller in Judas and the Black Messiah? Aber Scherz beiseite, der Nebendarsteller ist ein altbekannter Trick, um die Chancen von Leuten zu erhöhen. Und für Kaluuya wird es sich wohl auch auszahlen. Er konnte bisher bei anderen Preisen abräumen.
Viola Davis – Ma Rainey’s Black Bottom
Andra Day – The United States vs. Billie Holiday
Vanessa Kirby – Pieces of a Woman
Frances McDormand – Nomadland
Carey Mulligan – Promising Young Woman
Frances die Göttliche – sie wird auch ein drittes Mal als Beste Hauptdarstellerin zuschlagen. Nach Fargo und Three Billboards Outside Ebbing Missouri ist sie nun als Nomadin Fern zu sehen. Eine der vielen Menschen in Amerika, die sich nach der Wirtschaftskrise 2008 quer über das Land migrierend mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. McDormand findet abermals das Menschliche, das Nahbare in ihrer Figur. Fern ist eine Offenbarung darin, wie man seine persönliche Freiheit finden und doch nicht vor den Tragiken des Lebens fliehen kann.
Riz Ahmed – Sound of Metal
Chadwick Boseman – Ma Rainey’s Black Bottom
Anthony Hopkins – The Father
Gary Oldman – Mank
Steven Yeun – Minari – Wo wir Wurzeln schlagen (Minari)
Hier nur einen rauszupicken ist schwer. Alle fünf Herren haben sich in ihrer Darbietung famos geschlagen. Aber der frühe überraschende Tod von Chadwick Boseman könnte das Pendel zu seinem Gunsten ausschlagen lassen. Es ist quasi die letzte Chance, seine Bedeutung für die Filmwelt noch entsprechend zu würdigen. Der Film selber hat bisher weniger Wellen geschlagen. Zu sehen ist er seit Dezember auf Netflix
Lee Isaac Chung – Minari – Wo wir Wurzeln schlagen (Minari)
Emerald Fennell – Promising Young Woman
David Fincher – Mank
Thomas Vinterberg – Der Rausch (Druk)
Chloé Zhao – Nomadland
Es ist wieder Zeit. Eine Frau wird gewinnen. Chloé Zhao, die bei allen Preisverleihungen bisher quasi durchmarschiert ist, wird den Preis mit nach Hause nehmen. Und das ist gut so. Ihr Nomadland war ein brillanter ruhiger Film über das moderne Nomadentum der USA, ein wahrhafter, roher Blick in den Alltag im Niemandsland, ein Liebesbrief an die Weite und Schönheit der rauesten Ecken unserer Existenz. Fennell, die hier ihr Debüt lieferte, wird die Chance nochmals bekommen und für Fincher war Mank wohl eher eine stilistische Fingerübung als sein Magnus Opus.
The Father
Judas and the Black Messiah
Mank – hier unsere Review
Minari – Wo wir Wurzeln schlagen (Minari)
Nomadland
Promising Young Woman
Sound of Metal
The Trial of the Chicago 7 – hier unsere Kritik
Auch hier ist die Entscheidung bereits ziemlich klar, wenn man sich die Trends bei anderen Awards ansieht. Nomadland wird auch den großen Preis mit nach Hause nehmen dürfen.
Neugierig, wie wir die Favoriten aus unserer Oscar Prognose 2021 selber bewertet haben? Lest hier unsere Reviews zu den heißesten Kandidaten:
One Night in Miami – Kritik
Pieces Of A Woman – Kritik
Soul – Kritik
Mank – Kritik
Borat 2 – Kritik
The Trial of the Chicago 7 – Kritik
Aufmacherfoto: © Universal Pictures © Warner Bros © Walt Disney Pictures © Tobis Film
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.