Christopher Nolan lässt es krachen – wortwörtlich. Sein neues Historien-Epos Oppenheimer nimmt unter die Lupe, wie der gleichnamige Wissenschaftler es einst zur Erfindung der Atombombe gebracht hat. Warum es sich bei diesem Biopic mit Star-Cast aber keineswegs um eine angestaubte Geschichtsstunde handelt, verrät unsere Kritik.
von Klaus Kainz
Deutschland hatte im Sommer 1945 schon lange kapituliert, aber die USA und Japan führten weiter Krieg. Erst die verheerenden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki sollten den endgültigen Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg bringen – und die Welt für immer verändern. Dieser Teil der Geschichte gilt als altbekannt, aber vermutlich nicht die politischen Hintergründe, die dieses Atomzeitalter eingeläutet haben. Dem hat sich nun Kultregisseur Christopher Nolan angenommen. Sein zweites Historien-Drama nach Dunkirk wirft den Blick nämlich auf Oppenheimer, den Erfinder der furchterregendsten Waffe aller Zeiten.
Robert Oppenheimer, auch bekannt als Vater der Atombombe, muss sich nach Ende des Weltkriegs dem Vorwurf des Staatsverrats stellen. Genau hier setzt Dark Knight-Regisseur Nolan an, um uns – diesmal wieder non-linear – durch das Leben des berüchtigten Physikers zu führen. Wir sehen Oppenheimers erste Berührungen mit der Quantenphysik in Europa, die Etablierung des sogenannten Manhattan Projekts und schließlich die daraus resultierende Zündung der ersten Atombombe.
Für diese kritische Auseinandersetzung mit dem atomaren Schrecken steht ein entsprechend hochwertiger Allstar-Cast zur Verfügung. Cilian Murphy, bei Nolan für prominente Nebenrollen und inzwischen als Star von Peaky Blinders bekannt, wird die Hauptrolle als Robert Oppenheimer vermutlich als Karriere-Höhepunkt verbuchen. Darüber hinaus wäre hier kaum Platz, alle nennenswerten Stars aufzuzählen. Jedenfalls besetzen unter anderem Emily Blunt, Robert Downey Jr. und Matt Damon prominente Nebenrollen. Etliche andere bekannte Gesichter zeigen sich in kurzen aber dennoch wichtigen Auftritten und sorgen für ein hohes schauspielerisches Niveau. Auch bei Kostümen und Sets wurden keine Kosten gescheut und inzwischen überzeugen selbst die Alterungs-Effekte vollkommen.
Oppenheimer ist aber alles andere als sachte Geschichtsstunde. Es wäre kein Nolan-Film, würde er der Story nicht seine berühmte Wucht verleihen, wie sie nur in Filmen möglich ist. Das Biopic ist mit seinem historischen Setting zwar alles andere als actionreich – aber trotzdem so inszeniert. Nolan-typisch ist der Plot in ständiger Bewegung. Das bedeutet knackige Montagen und epische Landschaftsaufnahmen, immer wieder sehen wir die Moleküle in Oppenheimer’s Gedankenwelt geradezu explodieren.
Auch gehört zur spektakulären Inszenierung mal wieder konstantes Geigenorchester und Trommelgewitter. Das wirkt inzwischen zwar formelhaft und dem Film hätten ruhigere Momente nicht geschadet. Aber beim Sound ist Oppenheimer mitunter am kreativsten. Der Film weiß seine kurzen Momente der Stille wirkungsvoll einzusetzen, aber auch sie präzise zu brechen. Im Hintergrund der Soundkulisse schleichen sich das Brummen der Bombe oder radioaktives Knistern ein, andere laute Geräusche reflektieren gewissermaßen den kommenden atomaren Knall.
Internationale Kritiken sehen bei Oppenheimer das nächste Meisterwerk von Christopher Nolan. Allerdings ist das epochale Biopic nichts für alle Geschmäcker. Rund drei Stunden Laufzeit verlangen Sitzfleisch und viel Konzentration. Das Leben des Physikers dürfte es in sich gehabt haben und wird breit aufgefächert – was durchaus überladen wirkt. Es geht um die Ursprünge der Quantenphysik in Amerika genauso wie um Weltkrieg und Kommunismus-Paranoia. Die Person Oppenheimer verfolgen wir ab seinem Studium und biegen gelegentlich auch in sein Liebesleben ab. Weil er später zum Atombomben-Gegner wurde, verhandelt der Film auch die moralische Komponente. Nach dem Bombeneinsatz endet der Film außerdem nicht, sondern serviert langwieriges Politdrama.
Gleichzeitig springt die Geschichte konstant zwischen verschiedenen Zeitlinien hin und her, was die vielen Themen – vor allem ohne Hintergrundwissen – überwältigend machen kann. Trotzdem ist es wegen bestimmten Twists empfehlenswert, sich vor dem Schauen nicht in die Materie einzulesen. Ein paar Cuts hätten jedenfalls nicht geschadet. Es ist beispielsweise fraglich, ob denn Oppenheimers Beziehung zu Albert Einstein wirklich relevant für die Geschichte ist, oder nur wegen der berühmten Figur in den Film gepackt wurde – ein Verdacht, der sich verfestigt, als sich Nolan einen irrelevanten Namedrop von John F. Kennedy nicht verkneifen kann.
Und bisher blieb hier unerwähnt, dass das Thema Atomkrieg in der aktuellen politischen Lage – leider – ganz neue Brisanz bekommen hat. Nicht grundlos ging wegen dem zeitgleichen Release des Barbie-Films (unser Fazit hier) das Meme “Barbenheimer” viral. Die pinke Spielzeug-Komödie ist Eskapismus pur und somit das komplette Gegenteil der grimmigen Atom-Bilanz, die für manche womöglich aktuell nicht das attraktivste Kino-Erlebnis ist.
Oppenheimer zeigt, die Nolan-Formel funktioniert auch ohne Action. Das Historien-Drama zieht schon allein durch seine Imposanz in den Bann und wird inklusive seiner etlichen Star-Darsteller sicherlich bei den nächstjährigen Oscars auftauchen. Allerdings muss vor einem Kinobesuch klar sein, dass der Film anstrengend sein kann. Sein Thema ist ungemütlich und über drei Stunden Länge etwas unnötig verschachtelt.
Wem gerade eher nach Wohlfühl-Eskapismus ist, geht in Barbie – lies hier unsere Filmkritik. Wenn es aber berührendes Kino sein soll, dann empfehlen wir euch unbedingt einen Blick auf unsere Past Lives Review zu werfen.
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Der Redakteur (APA, Helden der Freizeit) und Videospiel-Blogger reviewed für uns vor allem Games, Serien und Filme - ist aber auch so manchem Naturausflug nicht abgeneigt.