Was, wenn sich die vier amerikanischen Legenden Muhammad Ali, Malcolm X, Sam Cooke und Jim Brown an einem Abend zu Zeiten des Civil Rights Movement zusammengesetzt hätten und über die Bewegung, Mittäterschaft, Diskriminierung und Religion gesprochen hätten? Basierend auf dem fiktiven Bühnenstück One Night in Miami von Kemp Powers bietet sich dem Zuschauer ein intensiver Blick auf eine Zeit, in der schwarze Amerikaner zwar berühmt und einflussreich, aber noch lange nicht gleichberechtigt waren. Unser Review zum Film, der nun auf Amazon Prime zu sehen ist.
von Susanne Gottlieb
16. Jänner 2021: Die 60er Jahren waren nicht nur ein Umbruch der Gesellschaft, weg von den konservativen Nachkriegszeiten hin zu einer liberaleren Gesellschaft. Es war auch die Zeit des Civil Rights Movement. Afro-amerikanische Bürger forderten ihre zivilen Rechte und Gleichbehandlung ein. So essentiell diese Bewegung als Ganzes war, so bedeutsam war sie auch auf ihrer mikroskopischen Ebene – bei den verschiedenen Ideologien, Überzeugungen und Positionen, in denen sich ihre Mitstreiter befanden.
Der amerikanische Autor Kemp Powers widmet sich dieser entscheidenden Zeitperiode aus der Sicht von vier berühmten amerikanischen Persönlichkeiten. Afro-amerikanische Männer, die zwischen Ruhm und Diskriminierung pendelnd, ebenfalls individuell an einem entscheidenden Punkt in ihren Karrieren angekommen sind. Im Laufe des Abends, den sie miteinander verbringen, wird klar, wie sehr ihre Vergangenheit aber auch ihre Zukunft an die Bewegung gebunden ist – auch wenn sie unterschiedliche Verständnisse dafür entwickelt haben, wie sie zu dieser beitragen sollen
One Night in Miami ist ein gelungenes, viele Ideologien und Spannungspunkte umfassendes Herunterbrechen eines Moments in einer historisch bedeutsamen Zeit. Wir verraten euch, warum ihr den Film, der seit 15. Jänner auf Amazon Prime zu sehen ist, unbedingt sehen müsst.
Am 25. Februar 1962, nach dem Muhammad Ali, damals noch Cassius Clay (Eli Goree), in Miami unerwartet zum Schwergewichts-Box-Weltmeister gegen Sonny Liston wird, treffen er und seine drei Freunde Malcolm X (Kingsley Ben-Adir), der NFL Star Jim Brown (Aldis Hodge) und Sänger Sam Cooke (Leslie Odom Jr.) sich zur Feier in einem Motel der Stadt. Alle vier Männer stehen vor unmittelbaren Veränderungen in ihrem Leben.
Cassius möchte der Nation of Islam, einer islamischen afro-amerikanischen Organisation beitreten, und muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob seine weißen Sponsoren ihn weiter unterstützen werden. Malcolm X hingegen will aus dieser austreten und fürchtet um die Wut, die ihm von der Vereinigung entgegen schwappen könnte. Sam versucht gerade in der von Weißen dominierten Copacabana in New York Türen für schwarze Künstler zu öffnen. Und Jim, der im Süden von Weißen als Footballstar gefeiert wird, aber nicht einmal deren Haus betreten darf, überlegt vom Sport nach Hollywood zu wechseln.
Nachdem das Quartett auf Cassius Sieg anstoßen will, schwenkt die Diskussion schnell von der ersten Euphorie auf eine Zeit der Reflexion. Die vier Männer, allesamt Wegbereiter und Vorbilder der Civil Rights Bewegung, beginnen ihre eigene Rolle zu reflektieren. Ob sie ihre Gemeinschaft hintergehen indem sie am Kuchen der Weißen mitnaschen. Ob Veränderung durch Opposition oder Aneignung der Spielregeln der Weißen entstehen kann. Und inwieweit sie selber ein Werkzeug des Kampfs um Gleichberechtigung sind, oder ihre eigenen Regeln erstellen.
Obwohl sie Freunde im wahren Leben waren, ist die gemeinsame Nacht nach Alis Sieg rein erfunden. Autor Kemp Powers nutzt die verschiedenen Hintergründe seiner Figuren aber, um hier sehr unterschiedliche, pressende Fragen des Kampfs um Gleichberechtigung zu stellen. Sein Skript verleiht jeder dieser realen Helden mit ihren oft kontroversiellen, idealistischen aber auch pragmatischen Ansichten Tiefe. “Die Welt ist nicht schwarz-weiß”, meint Sam zu Malcolm, nach dieser meint, dass er nur entweder für oder gegen die Bewegung sein kann. Kemps stellt dabei geschickt eine der Kernfragen in den Raum.
Kann man den Rassimus überwinden, indem man sich einen Platz am Tisch mit den herrschenden Mächten erarbeitet? Oder muss das ganze System zerstört und neu aufgebaut werden? Muss man sich aggressiv gegen die Privilegierten stellen? Oder spaltet man ultimativ noch mehr damit, als man versucht zu verbinden? Das Material aus dem das gegenwärtige Amerika geformt ist, ist bekannt. Die Frage ist aber: Wie soll das zukünftige Amerika aussehen? Welche Freiheiten hat man außerhalb des weißen Amerikas, mit dem man letztendlich aber doch koexistieren muss?
Malcolm fordert die Einbindung seiner Freunde, die als berühmte Künstler und Sportler im Rampenlicht stehen, als Paradekämpfer für die Bewegung. Sams Künstlerkarriere wird zum Politikum, da Malcolm hinterfragt, ob er aktivistisch genug ist oder einfach nur weißentaugliche Musik macht. Selbst der weiße Bob Dylan habe mit Blowing in the Wind einen politischeren Song als er je geschrieben. Cassius Konvertierung zum Islam wird mit der Frage nach dem kontroversiellen Gepäck aufgegriffen, das er für seine weitere Karriere damit auf sich ladet. Jim hingegen wird zunächst dafür ausgelacht, in Filmen künftig freiwillig einen “token black character” zu spielen.
Getragen wird der Film vor allem von seinen vier hervorragenden Hauptdarstellern. Vor allem Ben-Adir, der die nicht einfache Rolle des Malcolm X zu interpretieren hat, schafft es, die entschiedene Härte Malcolms zu verdeutlichen, wenn er seine Freunde von ihrer Pflicht als Vorkämpfer der Bewegung zu überzeugen versucht. Aber er zeigt auch die verletzliche Seite. Den oft aggressiven Idealismus und die Zweifel, die er an seinen eigenen Mitstreitern hat. Malcolm X und Muhammad Ali wurden bereits mit sehr populären Resultaten von Denzel Washington und Will Smith verkörpert. Ben-Adir und Goree drücken den Figuren aber ihren eigenen Stempel auf und befreien sich so von jeglichen sich aufdrängenden Vergleichen.
Regina King hingegen beweist, dass sie sowohl vor als auch hinter der Kamera Talent besitzt. Der Film fühlt sich nie gefangen in seinem Quellmaterial, einem Bühnenstück an. Der Look des Films ist nicht überkandidelte 60er Romantik. Der jazzige Soundtrack von Terrence Blanchard verortet das Setting dafür umso mehr in der afro-amerikanischen Kultur.
Man sieht nicht oft wie Afroamerikaner, geschweige denn vier Berühmtheiten, filmisch Bezug zu Themen der Rassendiskriminierung der schwarzen Erfahrung in Amerika nehmen können, ohne dass hier versucht wird, ein weitgehend weißes Publikum anzusprechen. Die Dialoge mögen erfunden sein. Aber sie fangen die Figuren, ihre Persönlichkeiten und ihre Überzeugungen geschickt ein. One Night in Miami ist ein seltener Blick auf jene, die zwar Ruhm und Einfluss hatten, aber dennoch von der Mehrheitsgesellschaft weitgehend als Menschen zweiter Klasse betrachtet wurden.
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Bilder: © 2020 Amazon Prime
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.