Eigentlich kommt einem die Geschichte bekannt vor. Ein Auftragskiller bekommt eine Identitätskrise oder die Familie wird bedroht, er begibt sich auf einen persönlichen Rachefeldzug und metzelt alle Bösewichte mit viel Blut und Gore nieder. Warum Nobody daher eine Chance geben? Weil er das Ganze doch ganz kurzweilig und mit neuem Spin unterhaltsam macht.
von Susanne Gottlieb
4. Juli 2021: Bob Odenkirk hat ja eine Karriere daraus gemacht, den liebenswerten, aber gewitzten Loser zu spielen. Obwohl er seit Jahrzehnten in allen möglichen Nebenrollen auftaucht, ist und bleibt seine Paraderolle wohl Saul Goodman in Breaking Bad und Better Call Saul. Witzig ist Odenkirk übrigens auch. So war er Ende der 80er als Autor für die Sketchshow Saturday Night Life tätig. Doch der furchtlose Held der Geschichte, das war Odenkirk bisher nie. Macht nichts. Mit Nobody darf er sich jetzt zur Abwechslung mal durch all die Klischees und Stereotypen des Auftragkiller-Genres durchprügeln, schießen und bomben.
Was bei dem Film herausgekommen ist, mag zwar nicht das Zeug zum Kultklassiker haben. Wir verraten euch, warum sich der Kinobesuch aber trotzdem lohnt. Übrigens: 6 weitere Empfehlungen für den Kino- und Streamingmonat gibt es hier. Und hier eine Kritik zur ebenfalls gerade gestarteten Videospiel-Verfilmung Monster Hunter.
Hutch Mansell (Odenkirk) lebt ein belangloses monotones Leben im amerikanischen Suburbia. Für seinen Schwiegervater schuftet er als Buchhalter in einer Metallverarbeitungsfabrik. Daheim sitzen seine vom Alltagstrott etwas unterkühlte Ehefrau Becca (Connie Nielsen) und seine zwei Kinder. Der Alltag dreht sich um den zu spät herausgebrachten Müll, zu viel Kaffee, die Besuche bei seinem Vater David (Christopher Lloyd) im Altersheim und den Sport, den Hutch fast aggressiv täglich treibt.
Eines Nachts wird die Familie von einem Einbrecherpaar überrascht. Während Hutchs Sohn Blake sich auf den Mann stürzt, entscheidet sich Hutch überraschenderweise, seinen Vorteil nicht auszunutzen und die Frau mit der Waffe niederzustrecken. Während er von seinem Sohn und seinem überheblichen Schwager am Tag danach angefeindet wird, erklärt er seinem Halbbruder Harry (RZA) über eine Radioverbindung, dass die Diebe unerfahren und ohne geladene Waffe ins Haus gekommen waren.
Es ist somit schnell klar, Hutch hat eine versteckte, man möge meinen, dunkle Seite. Eine, die ausbrechen will, nachdem er beinahe wieder in den Genuss einer kämpferischen Auseinandersetzung gekommen ist. Doch es dauert nicht lange und es ergibt sich doch noch die Gelegenheit, ein wenig Dampf abzulassen. Nur, was Hutch zunächst nicht bedacht hat: Wenn er Ärger sucht, wir der Ärger auch ihn und seine Familie finden.
Mit Originalität in der Ausgangsprämise mag der Film vielleicht nicht punkten. Der Killer, der sich zurückgezogen hat, und dann ungewollt zurück in die Action gezogen wird, hat man so schon gesehen. Doch was Nobody gelingt, ist hier mit seiner eigenen Idee diese altbekannte Formel umzusetzen, und das auch noch viel plastischer und ungeschönter als viele andere Filme. Man denke an den trockenen Humor von Grosse Pointe Blank und stylische zerstörerische Energie von John Wick, gepaart mit einer Prise durchgeknallter Jason Statham in so ziemlich jedem Actionmovie seiner Karriere, um man kann in etwa zusammenfassen, was einem mit Nobody erwartet.
Die Thematik, des sich zur Ruhe gesetzten Killers, wird auch nicht von einer sentimentalen Seite her aufgezogen, Auftragsmorde nicht als böse verteufelt. Der Film fragt sich vielmehr, in welchem Luxus eine zunächst so erbärmlich wirkende Figur wie Odenkirks Hutch schwelgen muss, sich beide Welten nach Belieben anzueignen. Hutch ist nicht aus der Szene ausgestiegen, weil er Gewissensbisse hatte. Er wollte etwas anderes probieren. Doch seine Natur lässt ihm keine Ruhe. Der Drang, wieder unter den Gangstern aufzumischen, kommt zu ihm. So natürlich wie jener nach der morgendlichen Tasse Kaffee. Doch diese Instinkte sind ihm nicht fremd oder zu verachten. Sie sind ihm in jenem entscheidenden Moment in einem Bus, in der eine Gruppe Rowdys einsteigt, willkommen.
Wer sind wir also als Menschen, könnte man fast denken, versucht der Film auf eine sehr dünne Art zu fragen. Und wer von uns kann es sich leisten, mitten im Leben nochmals den Hebel umzulegen und etwas anderes zu machen. Eventuell sogar zweimal. Vielleicht würde sich auch unsere Lebenskrise weniger ausprägend gestalten, wenn wir weniger versuchen würden, gewisse Erwartungen zu erfüllen und mehr wir selbst zu sein. Hutch wird zwar automatisch wieder potenter und ein besserer Ehemann, als er seiner Vergangenheit wieder die Türe öffnet. Aber gleichzeitig vermeidet der Film hier eine klare Schwarz-Weiß-Trennung. Es geht nicht darum, die Fähigkeiten der einen Identität in die andere zu transferieren. Sondern darum, die Bedürfnisse zu vereinen, und sich dabei mehr selbst zu finden.
So philosophisch das auch klingt: In erster Linie bleibt Nobody trotzdem ein Haudrauf Film. Regisseur Ilya Naishuller verzichtet auf Hochglanz polierte, ästhetisch choreographierte Gewalt, sondern lässt dem Ganzen etwas Rohes, Unverbrauchtes anhaften. Die Schläge fühlen und hören sich echt an. Die zugefügten Wunden und Verletzungen dienen weniger dem Schockfaktor als der organischen Gewaltorgie. Dass Naishuller gebürtiger Russe ist, erlaubt dem Film auch, seine russischen Bösewichte zwar durchaus mit Mobklischees zu unterfüttern, aber sie fern von standardisierten Russendarstellungen Hollywoods zu halten. Die Nationalität ist hier kein Handlungstreiber, sondern ein Beiwerk einer Geschichte. Worin sich Naishuller dennoch schwer tut, ist die Geschichte in Gang zu bringen. Als Zuschauer braucht man Geduld, bis die großen Konfrontationen endlich einmal losgeht.
Nobody ist nicht der große Wurf, macht aber Spaß. Wer die ersten 30 Minuten abwartet, wird letztendlich mit ungenierter Action und einem tollen Bob Odenkirk belohnt.
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Bilder (c) Universal Pictures
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.