Ridley Scott kehrt abermals mit einem epischen Historiendrama auf die Leinwand zurück. Und bietet sitzfleischgeduldige aber epochale Action im Europa der Franzosenzeit. Warum es in Sachen Schauspiel und Schlachten zwar überzeugt, aber von seiner eigenen Wucht ein wenig erstickt wird, liest du in unserer Napoleon Kritik.
von Susanne Gottlieb
23. November 2023: Wo Ridley Scott drauf steht, da ist stets die Garantie drinnen, auf groß angelegte, bildgewaltige Art unterhalten zu werden. Ob das nun seine Meisterwerke Blade Runner (1982), Thelma & Louise (1991) oder Gladiator (2000) sind, oder die unterhaltsamen Der Marsianer (2015) und Kingdom of Heaven (2005). In seinem neuesten epochalen Streich arbeitet er erneut mit seinem Gladiator-Bösewicht Joaquin Phoenix zusammen, der hier den französischen Feldherrn Napoleon Bonaparte gibt.
Ob sich dieser über zwei Stunden lange Momumentalstreifen lohnt und ob er an vorangegangene Meisterwerke anschließen kann, das erfährt ihr in unserer Napoleon Kritik. Was noch ins Kino kommt, haben wir dir in diese Monatsübersicht gepackt.
In Frankreich tobt die Revolution. Der letzte König, Louis XVI und seine Frau Marie Antoinette wurden geköpft. Ein Machtvakuum ist entstanden, das Volk giert nach der blutiger Unterhaltung der Guillotine, Robespierre hält sich mit Angst und Schrecken an der Macht. In dieser Zeit beginnt der korsische General Napoleon Bonaparte (Joaquin Phoenix) seinen langsamen aber respektablen Aufstieg als Befehlshaber der französischen Armee. Dabei lernt er auch seine große Liebe Joséphine (Vanessa Kirby) kennen, die er ehelicht, die ihm später aber keine Kinder schenken kann, wodurch die Verbindung unter keinem guten Stern steht.
Zunächst ein Handlager des Direktorats hochgeborener Adeliger, wird Napoleon zunächst eins von drei Mitgliedern eines Konsuls, bevor er sich und Joséphine 1804 zum Kaiser von Frankreich krönte. Doch sein ausgereiftes Ego, seine Brillanz am Schlachtfeld wachsen sich mit der Zeit in eine regelrechte Manie aus, in der Frankreich zwar zu einer wahren Weltmacht mit vielen eroberten Gebieten aufsteigt, aber immer mehr Verluste auf Seiten des Volkes einstecken muss. Das Blatt wendet sich gegen Napoleon, der immer noch im Glauben ist, einzig und allein Frankreich zu dienen.
Joaquin Phoenix ist einer dieser Schauspieler, die wohl alles spielen können. Und es gelingt ihm, aus der kontroversen Figur Napoleon, die sicher von Haus aus keine Sympathien weckt, eine faszinierende, komplexe Figur zu machen. Ein etwas zu groß geratenes Kind, das immer noch nach Bestätigung sucht, und gleichzeitig mit einem Gotteskomplex auftritt. Einer, der selbst in einem Umfeld wie der herrschenden europäischen Klasse seinesgleichen sucht. Da stört es auch nicht, dass Phoenix eigentlich viel zu alt für die Rolle des anfänglich noch jugendlichen Napoleons ist. Seine Dynamik mit Kirby, ihr Liebe- und Hass-Wechselspiel der Gefühle sind sehenswert und die wiedererkennbare Konstante in diesem Übermaß an Film.
Denn was Ridley Scott hier geschaffen hat, fasziniert und erschöpft. Freunde politischer Machtspielchen und der Dynamik hinter den Kulissen werden hier weniger auf ihre Kosten kommen. Denn Scott versteift sich ganz auf seine Stärken und bietet eine monumentale Schlacht nach der anderen. Von den Anfängen der Belagerung von Toulon, über die Invasion Ägyptens, den Marsch von Moskau bis hin zu Waterloo. Alles wird in groß angelegten Set Pieces und Choreographien noch einmal mit viel Herzblut und Tamtam dargeboten. Aber so wie Napoleon ein Kind seines Größenwahns war, so scheint auch Scott beizeiten die Feder seiner Geschichte aus der Hand zu gleiten. Es ist manchmal zu viel an Film und zu viel an Action.
Auch wenn Ridley Scott einem nicht aus dem Staunen raus kommen lässt, ein wenig fehlt die spezifische Atmosphäre seiner Vorgänger. Der Wechsel zwischen Minimalismus und Grandeur eines Gladiators, der spezifische Look, der emotionale Kern. Die Briefe, die Napoleon und Joséphine einander aus dem Off vorlesen, können zwar hier einiges an Einsicht bieten, wirken dann aber wie eine Randnotiz. Man erbaut sich an Napoleon, aber wirklich in die Figuren kommt man nicht hinein. Scott erspart uns Gott sei Dank den abgelutschten Aufbau eines “alter Napoleon blickt im Exil auf sein Leben zurück”, aber der ausgewaschene, kontrastarme Stil seiner Bilder, die oft mittels CGI erweiterten Szenerien nutzen sich wie bei einem 3D-Film schnell ab.
Normalerweise sagt man, man hätte mehr aus einem Film machen können. Hier wünscht man sich eher, Scott wäre einmal auf die Bremse gestiegen. Aber er bietet wie immer perfekt inszenierte Unterhaltung, in der man sich, zumindest im Original, an zahlreichen britischen Charakterdarstellern als Franzosen erfreuen kann, sowie an der Paradoxie, dass sowohl diese als auch ihre Gegner auf der anderen Seite des Kanals genau in demselben Akzent sprechen. Da kann man letztendlich auch fast verzeihen, dass der Film mit Mühe versucht, episodenhaft dreißig Jahre in zweieinhalb Stunden zu quetschen. Es war auch ein bewegtes Leben.
Napoleon kann optisch und darstellerisch zwar auf voller Linie überzeugen, wird aber von seiner eigenen Monumental-Egomanie beizeiten etwas unterdrückt und leergesaugt.
Zweite weitere Reviews zu aktuellen Kinokrachern und warum Doctor Who Fans künftig auf Disney+ auf ihre Kosten kommen:
Wonka – Musical-Spaß vom Paddington Macher
Starbesetzter Netflix-Thriller – Leave the world behind
Die 6 besten Kinostarts um Dezember
The Marvels – Kritik zum neuen Marvel-Film
Doctor Who im Ranking zum Disney+ Start
Abonniere uns auch auf YouTube für unsere Bestenlisten:
Alle Fotos: (c) Sony Pictures
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.