Nach dem Hexenzirkel in Hereditary nun der heidnische Horrorfilm Midsommar, der sich wie eine Hommage an den 1973 Klassiker The Wicker Man liest. Ari Aster geht in seinem zweiten Spielfilm ganz andere Wege. Warum das unterhaltsam ist, lest ihr hier.
27. September 2019: Nachdem er mit Hereditary bei den Kritiken und an den Kinokassen seinen Durchbruch feiern konnte, legt Ari Aster nun mit dem wohl hellsten und buntesten Horrorfilm aller Zeiten nach. Im Zuge einer Pressevorführung seines Erstlingswerks sprachen ihn ein paar schwedische Finanziers an, ob er einen Film mit diesem Setting in Schweden drehen wolle. Aster beschloss das traditionell nordische Fest Mittsommer als Anlass zu nehmen und einen beklemmenden Film über das Ende einer Beziehung zu drehen.
Dani (Florence Pugh) ist eine junge Frau, die seit einigen Jahren in einer ungesunden Beziehung mit Christian (Jack Reynor) feststeckt. Der will sich trennen. Doch dann ermordet Danis bipolare Schwester sich selbst und die Eltern und Dani sind auf einmal ganz alleine auf der Welt. Christian kann sich in so einem Moment schwer von ihr trennen und bleibt bei ihr. Einige Monate später erfährt Dani von Christians schwedischem Freund Pelle (Vilhelm Blomgren), dass er Christian und dessen Freunde Josh (Will Poulter) und Mark (William Jackson Harper) zu seiner Kommune nach Schweden eingeladen hat. Dort findet bald das Midsommar Fest statt und die Anthropologie-Studenten wittern darin ihre Chance, eine Abschlussarbeit zu verfassen.
Dani ist nicht erfreut, dass Christian ihr nichts vom geplanten Trip erzählt hat. Der lädt sie schuldbewusst ein, mit nach Schweden zu reisen. Die Gruppe und zwei weitere britische Gäste kommen in einem ganz besonderen Jahr. Alle 90 Jahre wird der Midsommar auf ganz spezielle Art und Weise gefeiert. Die Besonderheit des Events wird sofort klar als die Gruppe gleich zu Beginn mit Magic Mushrooms zugedröhnt wird. Außerdem sind die Einwohner etwas wage, wenn es um die Rituale geht, die vollführt werden sollen. Und zu guter Letzt scheint über dem bunten Bilderbuch-Dorf aus einem anderen Jahrhundert ein gewisser Zauber zu liegen, der früher oder später beschwört werden möchte.
Midsommar ist ein Film, der es einem gleich einmal nicht einfach macht. Die lange Spielzeit und das langsame Tempo verlangen dem Zuschauer einiges an Geduld ab. Wer sich aber damit abfinden kann, findet eine emotional eindringliche, episodenweise mit schwarzem Humor gespickte Abrechnung Asters mit Beziehungen, falscher Liebe und Familienzugehörigkeit. Dabei lässt er auch keine Chance auf bizarre Highlights aus. Es gibt mysteriös gefüllte Pasteten, choral besungene Sexrituale, Kultmitglieder die verschwörerisch in die Ferne starren oder die Fremden in ihrer Mitte bedrohlich konfrontieren.
Was Midsommar sonst noch aus der Massenware hervorhebt ist sein ungewöhnliches Setting und die bunten Farben auf der Leinwand. Der Himmel strahlt blau, die Wiesen blühen grün, die Mitglieder der Kommune leuchten in ihren weißen Kleidern und die Hütten sind ein Feuerwerk an verschiedenen Farbtönen. Es ist als Zuschauer eine Herausforderung hier erstmal reinzufinden, aber danach weiß Aster das Setting gezielt auszunutzen.
Wie in Hereditary durchzieht Aster auch hier wieder den Stoff mit der Frage nach alternativen Familienkonzepten. Dani beginnt sich zunehmend in die Gruppe einzufinden und den Schmerz über den Verlust ihrer Familie zu verarbeiten. Ihre Begleiter hingegen werden allmählich von diesen Traditionen überrannt. Immer mehr verschwindet Dani in einem Meer aus Blumen, während Christian wortwörtlich seinem Schicksal immer nackter entgegensieht.
Dass der Film so gut funktioniert ist auch seinen Darstellern geschuldet. Florence Pugh liefert eine Meisterleistung als die verletzte, einsame Dani. Das ist auch notwendig, weil einige der Elemente der Handlung dann doch etwas zu überzeichnet wirken, wie etwa das Sexritual. Diese bekommen dann vom Publikum eher Lacher geschenkt als atmosphärische Zustimmung.
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Midsommar bietet eine spannend gemachte Abrechnung mit dem Konzept Trennung und der Frage, wie wir zu anderen Menschen stehen. Die Längen und die manchmal aufgelegten Absurditäten trüben zwar manchmal das Seherlebnis, insgesamt ist Ari Aster aber hier ein erfolgreiches Zweitwerk gelungen. (sg)
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Alle Fotos (c) Luna Filmverleih
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.