Wie updated man ein Meisterwerk wie König der Löwen? Am besten gar nicht, denkt sich auch Disney, und präsentiert dem Publikum in seinem neuesten Live-Action-Film ein Shot-für-Shot-Remake seines Animations-Kronjuwels. Ob sich der Film trotzdem lohnt, lest ihr in unserer Kritik.
16. Juli 2019: Die Live-Action Filme haben uns schon alles Mögliche gebracht. Reinterpretationen (Maleficent), Sequels (Alice im Wunderland) oder Besinnung auf das Ausgangsmaterial (Das Dschungelbuch). Doch wie geht man das Goldene Zeitalter der frühen 90er an? Da traut sich Disney anscheinend nicht dem Ganzen einen neuen Anstrich zu verpassen und kopiert fast 1:1, wie Die Schöne und das Biest und Aladdin (unsere Kritik findet ihr hier) bereits bewiesen haben.
Die Krone schnappt sich aber jetzt Jon Favreaus König der Löwen. Nicht nur die Optik biegt immer wieder ins Uncanny Valley ab. Die absolute visuelle, musikalische und Dialog-Angleichung schafft auch immer wieder bizarre Déja-vus. Was für den Film spricht, ist seine Besinnung darauf, im Geiste des 21. Jahrhunderts nicht gezwungen woke zu sein und ihn zu etwas zu machen, was er nicht ist. Morgen hat das Remake bei uns seinen Kinostart. Lest hier im Detail, ob sich die Ansicht lohnt.
Zeitgleich startet übrigens der Agenten-Thriller ANNA von Luc Besson – was der kann verraten wir euch hier in diesem Review.
Wieder dreht sich alles um den kleinen Simba (erst JD McCrary, danach Donald Glover). Er wächst in der afrikanischen Savanne zum Kronprinzen von Pride Rock heran. Sein Vater Mufasa (erneut James Earl Jones) lehrt ihm alles, was er über den Kreislauf des Lebens weiß. In seiner Freizeit ist er unter der Obhut Zazus (John Oliver) mit seiner Freundin Nala (erst Shahadi Wright Joseph, danach Beyoncé) unterwegs.
Doch alles ist nicht eitel Wonne, denn Mufasas arroganter Bruder Scar (Chiwetel Ejiofor) möchte die Herrschaft über Pride Rock an sich reißen. Gemeinsam mit den Hyänen konzipiert er einen Plan und abermals wiederholt sich das altbekannte Kindheitstrauma, in dem Mufasa dank Scar in seinen Tod stürzt. Simba kann entkommen und findet Unterschlupf bei dem komischen Duo Timon (Billy Eichner) und Pumbaa (Seth Rogen). Doch das Geburtsrecht lässt sich nicht einfach so abstreifen und eines Tages holt das Schicksal Simba ein. Er muss entweder weiter vor seiner Vergangenheit flüchten oder sich seiner Bestimmung stellen.
König der Löwen entstand 1994 als Geistesprodukt des damaligen Animationschefs Jeffrey Katzenberg, der damit sein eigenes Erwachsenwerden behandeln wollte. Die Hamlet-ähnliche Dramatik, die bunten Farben, die satten Szenerien und die ausgefallen animierten Sing- und Tanzsequenzen machten den Film sofort zu einem Klassiker. Die Songs von Elton John und Tim Rice gingen unter die Haut und wurden wie die Musik von Hans Zimmer mit einem Oscar beehrt.
Wie kann die Adaption dem gerecht werden? Nun, gar nicht. Und sie versucht es auch nicht einmal. Wie schon online mehrmals gescherzt wurde, ist dieser König der Löwen Disneys Version von Gus van Sants Psycho. Ein Shot-to-Shot Remake in Vfx, das so viel Zeit damit verbracht hat, darüber nachzudenken, ob es das schaffen kann, was es will, dass es keine Sekunde daran verschwendet hat darüber nachzudenken, ob es überhaupt soll.
Einer der Selling Points war bis jetzt immer, dass die Adaptionen diesmal auf reale Figuren und Settings bauten. Bei König der Löwen ist das aber in keiner Sekunde der Fall. War Das Dschungelbuch noch wenigstens von einem Menschenkind bevölkert, ist bei diesem Film ausnahmslos alles animiert. Und nicht nur das, es gleicht alles 1:1 dem Storyboard der 2D Animation. Allein die Eröffnungssequenz ist eine glasklare Kopie des Originals, mit der Ausnahme, dass diesmal Figuren mit Raumtiefe und in fotorealistischer Optik durchs Bild hüpfen. Doch diese „Natürlichkeit“ bringt keinen Mehrwert. Die Geschichte wird nicht besser und dem Aussehen der Figuren kein neuer Spin verliehen. Vielmehr verliert sie an Lebendigkeit und Farbenfreude und lässt einen wundern, was einem so sehr am Original bewegt hat.
Für den Film spricht aber, dass sein Ausrutschen ins Uncanny Valley eher minimal bleibt. Es gibt zwar immer wieder Momente, da schaut der Löwe doch etwas zu fake aus, oder da wirkt es komisch, wenn sich plötzlich der Mund der Tiere bewegt, aber unterm Strich ist den 3D-Künstlern da etwas Beeindruckendes gelungen. Aber wie alles was computeranimiert ist, stellt sich die Frage, wann es ob der Weiterentwicklung der Technik outdated wirken wird. Gezeichnete Animation dagegen ist zeitlos.
Besonders deutlich wird diese Beschränkung auf die Realität bei den Musiknummern. Während im Cartoon Scheinwerferlichter anpoppten und die Savanne sich in knallig-bunte Set-Pieces verwandelte, in der die Figur ein Solo hinlegten, rennen sie in der Neuauflage einfach nur singend durchs Bild. Jede einzelne Musiknummer besteht aus Figuren, die einfach nur durch die Gegend rennen. Ein müdes Abziehbild.
Glover und Beyoncé klingen zwar gut, wenn sie ihr Duett über Liebe trällern, aber leider tut der neue Look der Figuren auch ihnen nichts Gutes. Einer der herausragenden Vorteile von Animation ist, dass sie die Gestik und Mimik der Sprecher übernehmen kann. Scar war Jeremy Irons. Timon war Nathan Lane. Durch den angestrebten Realismus bleibt das Voice-Acting diesmal aber ziemlich auf der Strecke. Man weiß zwar, wer hinter den Figuren steckt, aber außer Eichner und Rogen als Timon und Pumbaa kann niemand glänzen.
Eines gelingt König der Löwen aber. Der Film verleiht der Geschichte innerhalb seines selbstgeschusterten Korsetts der totalen Kopie nicht zwanghaft einen modernen Anstrich. Zwar sollte jedes Remake dem Material etwas Neues hinzufügen, und der Film versucht das, indem er Nalas Rolle minimal ausbaut, in die Vollen geht er jedoch nie. Das tut ihm viel besser als Die Schöne und das Biest und Aladdins gezwungener Pseudofeminismus, wenn Belle plötzlich zur Erfinderin wird und Jasmin zum Sultan.
Der Film baut auf die alten Stärken der Geschichte und weigert sich die paar existierenden Schwächen auszubügeln, die es schon 1994 gab. So findet Simba noch immer erst dann seine Bestimmung, wenn er erfährt, dass er gar nicht am Tod seines Vaters schuld ist, sondern sein Onkel, anstatt ungeachtet davon zu reifen.
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König der Löwen ist nette Unterhaltung, wenn man mit dem Original nicht sonderlich vertraut ist. Für alle anderen ist es eine gespenstische Retro-Kutsche, die bei weitem nicht für so viel Gänsehaut sorgt, wie das Original. Hier wurde vor der Macht des Originals in die Knie gegangen und ironischerweise ist es genau diese unhinterfragte Ehrfurcht, die dem Film es nicht erlaubt, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. (sg)
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Alle Fotos: (c) Disney
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.