Kettenhemd an und ab aufs Pferd: Mit Kindgom Come Deliverance II geht das große Mittelalter-Rollenspiel aus Tschechien in die nächste Runde. Der Erstling hatte bereits große Ambitionen, aber auch noch mit diversen Problemen zu kämpfen. Nun soll der Nachfolger die Wogen glätten. Wie sich Ritter Henry im neuen Abenteuer mausert, verrät unser Kingdom Come Deliverance II Test. Schau dir dazu hier auch unser kurzes Videoreview auf Instagram oder auf TikTok.
von Klaus Kainz, 3. 2. 2025
Kindgom Come Deliverance präsentiert sich als der wahr gewordene Traum aller Mittelalter-Fans. Bei der neuen Rollenspiel-Reihe geht es nämlich voll und ganz darum, im feudalen Böhmen Schabernack zu treiben und als Ritter über die Runden zu kommen – mit so viel historischer Genauigkeit, wie es ein Videospiel zulässt. Trotz interessanten Ansätzen ließ der Erstling allerdings Luft nach oben. Wir konnten vorab auf der PS5 testen, was das Sequel nun draufhat
Böhmen befindet sich im 15. Jahrhundert in Aufruhr. Das bekommt auch Heinrich von Skalitz (aka Henry) zu spüren, in dessen Stiefel Zocker in beiden Games schlüpfen. Als Truppen von König Sigismund im ersten Teil Skalitz niederbrennen und seine Familie ermorden, schwört Henry Rache. Das war’s aber noch nicht mit den Schicksalsschlägen. Die neuen Kameraden, die Henry unter der Herrschaft des pubertären Adeligen Hans Capon gefunden hat, werden erneut von Banditen erschlagen.
Als wäre das noch nicht genug, überlebt Henry während einer Flucht mit Hans nur mit Haaresbreite einen Sturz von einem riesigen Felsen. Das macht das Sequel direkt zum Anlass, Henry wieder als Weichling auf Level 1 starten zu lassen. Apropos, zwar ist es nicht dringend notwendig den Vorgänger zu spielen, um Kingdom Come Deliverance II zu verstehen und das Game als Mittelalter-Sandbox zu genießen. Allerdings baut das Game klar auf der bisherigen Story auf und hält sich mit Anspielungen zu bisherigen Ereignissen nicht zurück.
Das neue Ziel lautet Burg Trosky. Dort sollen Henry und Hans weitere Adelige zusammentrommeln, um König Wenzel zu befreien. Das ist aber leichter gesagt als getan. Weil ihr nach dem Überfall mittellos seid, wird euch nämlich der Zugang verwehrt. Ein paar Einstiegsquests später steht euch die Welt offen und ihr könnt selbst entscheiden, wie ihr weiter vorgeht. Besonders zu Beginn seid ihr mit triftigen Entscheidungen konfrontiert – denn ihr beginnt bettelarm.
Das neue Kingdom Come ist ein Paradebeispiel für sinnvolles Sandbox- und Open-World-Design. Wie ihr die Main-Quest erledigt, liegt nämlich an euch. Es steht euch frei, als Händler oder Schmied über die Runden zu kommen, oder doch eher als Dieb und Schurke. Wobei die moralisch fragwürdigen Optionen meistens verlockender sind. Das Game stellt nämlich eine Vielzahl an Mechaniken für Langfinger zur Verfügung, sei es Schlösserknacken, oder das Bestehlen von Passanten.
Aber Vorsicht, die Wachen sind äußerst spitzfindig, nehmen euch Diebesgut ab oder sind schnell vor Ort und ertappen euch, wenn ihr beispielsweise unerlaubt in einem Haus ein Nickerchen macht. Wer sich dann nicht aus der Situation herausreden kann, muss deftige Strafen zahlen oder verliert nach mehrfachen Züchtigungen seinen guten Ruf im Land.
Ganz könnt ihr die Map zwar zu Beginn noch nicht erkunden, die größte Stadt – Kuttenberg – ist erst in der zweiten Hälfte erreichbar. Aber allein das Gebiet rund um die Burg Trosky fühlt sich riesig an und ihr könnt euch fast ohne Schranken in den Wäldern verlieren oder nach Arbeit in Siedlungen suchen. Oder in der Wildnis Tiere jagen, während ihr eure Bogen-Skills nach oben levelt – die Möglichkeiten sind vielfältig.
Zwar hat das Spiel ein paar Open-World-Klischees, wie Gegner-Camps, aber trotzdem ist es kein typischer Klon von Assassin’s Creed & Co. Für manche könnte die Welt fast schon leer wirken, weil es keine Aussichtstürme oder glitzernden Sammelitems gibt. Was nicht heißen soll, dass sich Erkundung nicht lohnt. In den Wäldern verstecken sich durchaus Schätze oder auch Goodies wie Lehrbücher, um Skills zu verbessern.
Alle Aktivitäten, sei es auch nur Wandern, stärken Henry dabei durchgehend. Quests wiederum fühlen sich nie nach Copy-Paste an, sondern fast immer wie eigenständige Geschichten. Diese sind angesichts des Settings manchmal nicht unbedingt spektakulär – etwa wenn ihr Schafe in den Wald jagen müsst, oder ein Grab umschaufeln. Allerdings peppt das Game Quests auch gerne mit ein wenig Humor auf, wenn ihr beispielsweise im Wald einen Trunkenbold vor Wölfen schützen sollt.
Darüber hinaus bieten die Quests selbst eine offene Spielweise mit unterschiedlichen Vorgehensweisen. Sollt ihr einen bewachten Maibaum fällen, könnt ihr handgreiflich werden, euch diplomatisch verhalten oder euch an Stealth versuchen. Dass ihr zuvor irgendwo in der Welt eine Axt auftreibt, liegt dann übrigens an euch. Klingt banal, aber rückt die Eigenverantwortung innerhalb der Open World in den Mittelpunkt.
Map-Icons geben deswegen oft nur grobe Zielgebiete an, aber Charaktere oder spezifische Locations sind selbst zu finden. Müsst ihr in einem Gefängnis herumschnüffeln, hilft vielleicht ein hohes Level als Mediziner und Diplomat, weil einige NPCs krank sind. Andernfalls ist vielleicht Arbeit mit dem Dietrich gefragt, den ihr mit Geschick stibitzen könnt, oder doch lieber in einem Würfelspiel gewinnen.
Für ein gutes RPG klingt das wie Standard. Aber Kingdom Come schreibt sich auch vermeintlichen Realismus auf die Fahne. Also nichts da mit Zaubersprüchen oder Drachenschwertern. Stattdessen müsst ihr euch darum kümmern, genug Schlaf zu bekommen, eure Wunden selbst richtig zu behandeln, oder genug zu essen. Allerdings solltet ihr euer Essen für lange Reisen richtig trocknen, sonst kommt die Lebensmittelvergiftung. Und dazwischen sollte das gelegentliche Bad nicht fehlen.
Damit steht Kingdom Come auch für Entschleunigung. In der Schmiede per Minigame die Rüstung ein paar Minuten zu schleifen, oder selbst Kräuter pflücken und zu Medizin zu verarbeiten, gehört hier zum Konzept.
Gerade für Neueinsteiger kann die Vielzahl der Mechaniken zu Beginn abschreckend wirken. Es gibt zwar viele Tutorials, aber die Menüs sind trotzdem ziemlich zugepflastert mit Statistiken und Icons, die nicht immer schlüssig sind. Obendrauf ist die Menüführung mit Controller-Steuerung nicht immer intuitiv. Wobei das Spiel auch kulant sein kann und beispielsweise jederzeit Fast Travel zu bereits besuchten Orten bietet. Wobei auch hier Achtsamkeit geboten ist, denn Fast Travel schlägt ebenfalls auf den Magen.
Der Elefant im Raum dürfte das Kampfsystem sein – das vielleicht größte spielerische Manko im ersten Kingdom Come, selbst nach allen Updates. Tatsächlich gibt es nun kleine Verbesserungen beim Waffenwechsel und es sei hier empfohlen, rasch die Kampftraining-Sidequests zu erledigen. Richtig gut funktioniert es aber trotzdem noch nicht. Egal wie oft wir gekämpft haben, das Schwert zu schwingen fühlt sich durchgehend wie ungelenkes Wedeln an – fast schon wie ein Meme-Game á la Surgeon Simulator. Der Lichtblick hier ist, dass Kingdom Come Deliverance II kein allzu actionlastiges Spiel ist, wenn man es nicht darauf anlegt.
Vielleicht das größte Upgrade wiederum ist die Technik. Der erste Teil war als Crowdsourcing-Projekt beim Budget noch begrenzt, während Kindgom Come II mit Deep Silver einen großen Publisher gefunden hat – und das merkt man. Nicht nur, weil Böhmen mit seinen detailreichen Landschaften und noch realistischeren Texturen um mindestens eine Generation stärker aussieht. Obendrauf hat es deutlich weniger Bugs als der Erstling, der noch jahrelang gepatcht werden musste. Wir mussten das Game zwar einmal wegen einer feststeckenden Ladezeit neu starten, aber haben sonst keine groben Fehler gefunden. Lediglich die Gesichtsanimationen während Dialogen wirken etwas steif, aber das ist im Genre ja nichts Neues.
Wenn wir schon bei der Stimmung sind: so ganz mittelalterlich fühlt sich Kingdom Come Deliverance II nicht immer an. Wie schon im ersten Teil setzt der Soundtrack auf heitere Orchestermusik mit Flöten, Trompeten und was man sonst noch mit Mittelalter assoziiert. Zusammen mit der teilweise bunten Art Direction bekommt das Game fast schon das Flair eines Disney-Films, wenn nicht sogar von Parodien wie Ritter der Kokosnuss. Die Hauptstory bedient sich außerdem viel bei Film-Dramaturgien, die wahrscheinlich wenig mit echtem Mittelalter zu tun haben. Ob so viel geflucht wurde, wie in der englischen Sprachausgabe, sei auch dahingestellt.
Kingdom Come Deliverance II baut zu großen Teilen auf den Stärken des Vorgängers auf und liefert damit eine Mittelalter-Sandbox, die ihresgleichen sucht. Vor allem das Kampfsystem bleibt zwar leider sperrig, aber immerhin wurden die größten technischen Mankos des Vorgängers ausgemerzt. Kingdom Come Deliverance II ist dahingehend zwar ein Sequel, aber auch gewissermaßen eine hochpolierte Neuversion vom ursprünglichen Konzept. Geschichtefans dürften das ein oder andere Manko verkraften, denn virtuelles Mittelalter gibt es selten mit derart viel spielerischer Freiheit.
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Der Redakteur (APA, Helden der Freizeit) und Videospiel-Blogger reviewed für uns vor allem Games, Serien und Filme - ist aber auch so manchem Naturausflug nicht abgeneigt.