Martin Scorsese meldet sich zurück. Diesmal im Gepäck: Ein Western-Epos über Native-American-Morde mit seinen Lieblingen Robert de Niro und Leonardo DiCaprio. Auch wenn sich Killers of the Flower Moon etwas zieht, beweist der Kultregisseur damit wieder, was für ein begnadeter Geschichtenerzähler er ist.
von Susanne Gottlieb
Martin Scorsese ist zurück. Das neueste Epos des Kultregisseurs, wir reden hier immerhin von über drei Stunden Laufzeit, handelt von den Morden and den Osage-Native-Americans in den 20ern des vergangenen Jahrhunderts, ein noch immer totgeschwiegenes, unverarbeitetes Thema amerikanischer Geschichte und die Gier, die durch Reichtum und Öl entsteht. Mit dabei sind wie immer zwei von Scorseses Lieblingsdarstellern: Seine Muse seit 50 Jahren, Robert de Niro, und Mr -“Für Weniger als Scorsese arbeite ich fast nicht mehr”- Leonardo DiCaprio.
Wie gelungen der Film ist und um was es genau geht, liest du in unserer Killers of the Flower Moon Kritik. Welche neuen Highlights der Kino-November bringt, haben wir dir in dieser Filmstart-Übersicht zusammengefasst.
Der einfältige Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) kehrt nach dem Ersten Weltkrieg in die USA zurück, und kommt bei seinem Onkel William King Hale (Robert de Niro) im Native-American-Reservat Osage County unter. Ziemlich bald wird klar, dass nicht die weißen Amerikaner hier diejenigen mit Mitteln sind, sondern die Natives, denen das Land von der Regierung zugesprochen wurde, und auf dem bald darauf reichhaltige Ölvorkommen entdeckt wurden. Da der Imperialismus nicht erst mit der Eroberung Amerikas durch Kolumbus ausgestorben ist, und die weiße Bevölkerung, Hale allen voran, sich des Reichtums bemächtigen wollen, beginnt auf “mysteriöse Weise” ein Native American nach dem anderen zu sterben. Die Erben: Ihre weißen Treuhandverwalter oder Ehemänner.
Ernest selbst geht eine Ehe mit Mollie (Lily Gladstone) ein, deren kranke Mutter ebenfalls profitable Ländereien besitzt. Doch auch hier beginnen langsam sowohl ihre Cousinen als auch Schwestern wegzusterben. Teils an falsch behandelten Krankheiten, teils an mysteriösen Umständen, die auf Selbstmord hinweisen sollen, aber nicht ganz sauber wirken. Mollie will sich gegen diesen offensichtlichen Genozid in Osage County wehren, und bittet die Regierung um Hilfe. Doch bevor FBI-Mann Tom White (Jesse Plemons) die Ermittlungen aufnehmen kann, wird sie selber schwer krank.
Der Film basiert auf dem Buch des Journalisten David Grann Das Verbrechen: Die wahre Geschichte hinter der spektakulärsten Mordserie Amerikas. Scorsese und Drehbuchautor Eric Roth haben haben den Fokus des Narrativs, die Entstehung des FBI unter J. Edgar Hoover und die Untersuchung der Osage-Morde, umgedreht, und die Erzählung auf die Perspektive von Mollie und Ernest verlagert. Dieser Fokus weg vom weißen Ermittler, der die Natives “rettet”, erlaubt es der Handlung, eine Geschichte von Diskriminierung aufzuzeigen, wie Wohlstand in den USA nie ein erstrebbarer Status Quo für alle war. Wie Gewalt gegen Menschen, die als minderwertig angesehen werden, Teil des Gründungsmythos der USA ist. Die Verweise auf das Tulsa-Massaker und den Ku Klux Klan sind nicht zufällig.
Killers of the Flower Moon ist nicht der traditionelle Gangsterfilm, den man von Scorsese gewohnt ist, und auch das Alter hat ihn weniger wütend, und mehr zum klagenden Aufzeiger eines gewissen Weltschmerzes gemacht. Aber der Film geht einher mit den Geschichten und Motiven von korrupten, gewalttätigen Männern, denen Scorsese seine Karriere verschrieben hat. Eine Geschichte von Männern, die mit Mord fast schon banal umgingen. Die ihre Drecksarbeit mit der Beiläufigkeit eines Punktes auf einer Einkaufliste erledigten.
Es ist Scorsese, aber vor allem auch Hauptdarstellerin Lily Gladstone anzurechnen, dass der Film nie ins Melodramatische abgleitet und Mollie und ihre Schwestern zu passiven Opfern macht, die stellvertretend für eine ganze indigene Gemeinschaft stehen müssen. Der Film fühlt sich zu keinem Zeitpunkt wie eine hochstilisierte Geschichtsstunde an, sondern findet stets die Parallelen zur Gegenwart, die Anknüpfpunkte für unsere heutige Gesellschaft.
Auch de Niro und DiCaprio glänzen erneut als gestriegelter Soziopath und einfältiger Soldat, der nur seinem Onkel gefallen will. Das Machtverhältnis von Onkel und Neffe bekommt manchmal zu viel Raum auf Kosten von Mollie und ihren Schwestern. Und man wünscht sich in manchen Momenten, Scorsese hätte bei der Laufzeit die Zügel etwas fester gehalten. Trotzdem ist ihm hier wieder ein großartiges Kinoerlebnis gelungen.
Killers of the Flower Moon ist erneut ein langsames, aber grandioses Scorsese-Epos, das einiges an Geduld abverlangt, aber mit Präzision und Feinfühligkeit ein fast vergessenes Verbrechen vor den Vorhang holt.
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Aufmacherfoto: Constantin Film
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.