Brauchen Rollenspiele Fähigkeitswerte und Talentbäume? Ein echter Hitman sagt nein, und verkleidet sich als drogendealender Hippie, oder doch lieber als Mechaniker? Der Agententhriller geht mit Hitman 2 in die zweite Runde.
von Christoph Geretschlaeger
19. November 2018: Niemand findet so viele Gelegenheiten, Menschen zu töten wie Agent 47. Im Spazieren durch die Maps werden dem Auftragskiller diverse Opportunities eingeblendet (lässt sich aber auch abdrehen), dann liegt es an dir auf den richtigen Moment zu warten.
Die Helden der Freizeit prüfen Hitman 2 auf Herz und Skalpell.
Verkleidungen sind das A und O von Agent 47. Vom Kellner-Frack zum Bodyguard-Anzug. Leichen bzw. ausgeknockte Wachen/Personal werden natürlich artgerecht in Mistkübeln oder dergleichen entsorgt. Dass ein kolumbianischer Schamane plötzlich einen britischen Akzent hat, scheint niemanden zu stören.
Als Mordinstrument kommt alles in Frage, was nicht niet-und nagelfest ist. Kleinere Waffen lassen sich unterm Sakko verstecken, Äxte, Feuerlöscher und Scharfschützengewehre weniger. Unbefugte werden dadurch schnell ertappt und sorgen bei der Filzung für ungewollten Kugelhagel.
Sechs neue Maps bietet Hitman 2 zum Release. Ein verlassener Strand, dichter Dschungel, noch dichteres Gedränge bei einem Motorsport-Event etc. Unser glatzköpfiger Protagonist ist auf der ganzen Welt zuhause. Die Auswahl ist zwar kleiner als im ersten Teil, aber mindestens so abwechslungsreich. Wer Hitman 1 besitzt (oder das Legacy-Pack um 30 Euro kauft) kann aus dem Vollen schöpfen, und die Maps in der überholten Engine, mit den neuen Features spielen.
Zwei Touristen am Fluss, sie unterhalten sich über einen Tattoo-Künstler, der neu im Dorf ist. Etwas später finden wir ihn in einer Bar und töten ihn. Die Touristen bemerken den Glatzköpfigen im weißen Anzug (Style ist wichtig) und müssen ihrerseits ein frühes Ende finden. Eine fesche Lederjacke, Hornbrille und verkehrtes Käppi später, lassen uns die Wachen beim Vordereingang der Villa reinspazieren.
Im knappen Badeanzug begrüßt uns die Dame des Hauses. Bevor sie uns zu ihrem Mann, Rico Delgado, Chef des Drogenkartells führt, machen wir noch ein paar Selfies für die Socials. Nichtmal im improvisierten Tattoo-Studio kann Mrs. Drogenboss die Finger vom Auslöser lassen, sie wird rüde des Raums verwiesen. Der verbliebene Bodyguard zappelt schon nervös, verlässt aber auf Ricos Wunsch auch den Raum. Wir brauchen schließlich Ruhe, um Arbeiten zu können. Nur ein Hitman, eine Tätowier-Maschine und ein Opfer.
Und das war nur eine von zig vorgegebenen Opportunities in jedem Level. Aber deiner mörderischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Auf den ersten Blick wirkt Hitman 2 wie ein Map-Pack. Lediglich neue Karten mit einer spannenden Fortsetzung der Agenten-Story. Doch unter der Haube hat sich einiges getan. Man kann ich sich in Menschenmassen und vielleicht etwas zu gut in hohem Gras verstecken (ein Feature, Das auch in alte Maps integrierte wurde). Außerdem feiert der Koffer eine glorreiche Rückkehr. Genau groß genug für eine großkalibrige Waffe, passt zu jeder Verkleidung. Darüber hinaus ist auf der Minimap nun auch farblich, und deutlicher markiert, ob man gerade Hausfriedensbruch begeht oder irgendwer einen gesehen hat. Eine übersichtliche Karte der aktuellen Map gibt es leider nach wie vor nicht. Und zwei Multiplayer-Modi, doch dazu später mehr.
Sean Bean ist gemeinhin fürs Sterben in Filmrollen bekannt (Game of Thrones, Herr der Ringe, etc.). In Hitman 2 ist er das erste „schwer zu fassende Ziel“. Ein Ziel, irgendwo auf der Karte, das im ersten Anlauf zur Strecke gebracht werden muss. Kenntnis der Map und der möglichen Verkleidungen ist dafür unabdingbar. Nur eines von vielen wöchentlichen Events mit denen Entwickler IO Interactive, auch lange nach dem Release, das Spiel am Leben halten wird, geht es nach den Erfahrungen aus dem Vorgänger.
Zu den immer größeren Menschenmassen auf dem Schirm, werden es auch hinterm Schirm mehr. Im Modus Sniper Assassin sitzen wir zu zweit an einem stillen Örtchen mit viel Übersicht und einem Scharfschützengewehr. Drei Ziele, zig Bodyguards und gefühlt endlose Collectibles. Das können Gartenzwerge, Plastik-Enten oder Tauben sein. Aktuell gibt es nur ein prall gefülltes Level, doch dort lohnt sich das Umschauen. Vielleicht tut sich ja noch eine kreative Tötungs-Gelegenheit auf.
Nicht so kooperativ ist der Ghost Mode. Da wird gegeneinander, gegen die Zeit assassiniert. Zwei Spieler in einer kopierten Welt, mit den gleichen Zielen. Wer zuerst unentdeckt zuschlägt gewinnt den Punkt. Der Clou: die Welten sind separat, man sieht den anderen Spieler und das Opfer, kann aber nur minimal mit der anderen Welt interagieren. Und zwar mit Ghost Coins. Funktionell ident mit normalen Münzen, dienen sie dazu Personen in der anderen Welt abzulenken – mit möglicherweise katastrophalen Folgen. Momentan ist der Ghost Mode noch in der BETA.
Keine Frage. Hitman 2 kann einiges. Die einzelnen Level sprühen vor Charme und vor Dingen, die es zu entdecken gilt. Mit schier endlosen kreativen Möglichkeiten um Menschenleben zu beenden. Von einem Zementmixer über einen Fisch, von einer Statue zu einer Feueraxt. Leider fühlen sich die stark durchgeplanten Opportunities sehr nach Händchen halten an. Jeder Schritt ist vorgegeben und wenn man vom Weg abkommt, verliert man die Chance und muss zu anderen Mitteln greifen. Und wenn es zu einem, der je nach Spielweise seltenen, Schusswechsel kommt, ist die Steuerung keine große Hilfe, aber immer noch brauchbar.
Natürlich sind die Opportunities nur genau das, Möglichkeiten. Du kannst dir ohne Weiteres, nein du wirst sogar dazu ermutigt, dir deinen eigenen Weg durch die Maps zu suchen. Dafür braucht man allerdings eine Engelsgeduld, sind doch in den Gebieten Auslöser verteilt, die das Verhalten der Opfer ändern. Das kann eine Wunderheilung sein, oder das Ersetzen eines Mechanikers. Erst, wenn man diese kennt und anzuwenden weiß, öffnet sich der Erwachsenen-Spielplatz. Oft besteht das Agentenleben aber auch einfach nur aus warten, warten bis das Ziel an der richtigen Stelle ist, warten bis die Wache vorbei gelaufen ist.
Ich respektiere das Spiel für den schieren Umfang der Möglichkeiten, nur fehlt mir persönlich – leider – die Geduld dafür. Wer diese aber mitbringt, der wird Hitman 2 genießen, wie kaum ein anderes Spiel.
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Alle Bilder (c): IO Interactive
Der Grafiker und Art Direktor (Helden der Freizeit, Styria Verlag) aus Wien ist ein absoluter Game- und Film-Kenner. Das zeigt das in seinen Tests und Bestenlisten.