Mit Hillbilly Elegy wollte Ron Howard eigentlich die Lebensrealität der armen Midwestern Rednecks in den USA porträtieren. Herausgekommen ist ein wildes Durcheinander an Szenen und überkandideltem Schauspiel, das nun auf Netflix erscheint.
von Susanne Gottlieb
23. November 2020: Es war das Jahr 2016. Donald Trump schien sich immer stärker als der tatsächliche Präsidentschaftskandidat herauszukristallisieren. Im amerikanischen Kongress sowie im Senat hatten die Republikaner bereits die Mehrheit unter Obama und behinderten nicht nur progressive Politik, sie zementierten neoliberale, dem Business und der Wall Street zuvorkommende Politik. Am bisschen Sozialstaat wurde wiederholt gesägt.
In dieser Zeit kam auch das Buch Hillbilly Elegy des Risikokapitalgebers J.D. Vance auf den Markt. Es wurde zu einem kontrovers diskutiertem Thema. Vance erzählte darin von seiner Kindheit, von seinen Vorfahren in den Appalachia Bergen, wie seine Familie aus dem Nichts kam und wie strukturelle Armut der weißen Arbeiterklasse dort ein großes Problem ist. Wofür die Republikaner ihn aber feierten war, dass er in seinen Observierungen viele ihrer Talking Points übernahm. Die Selbstverschuldung der eigenen Armut. Themen wie systematischer Rassismus und Ungleichheit spielten in dem Buch keine Rolle. War Vance, so stritten die Kritiker, durch die glückliche Fügung, der Armut entkommen zu sein, dem falschen Schein des Narrativs “Sozialhilfeschmarotzer” aufgesessen?
Regisseur Ron Howard (Apollo 13, A Beautiful Mind, Rush) hat sich dem Stoff angenommen und einen Film geschaffen, der ab 24. November auf Netflix zu sehen ist. Wo er im Gegensatz zur Buchvorlage andere Wege einschlägt, wie sehenswert das ist und warum es genau geht – das alles liest du in unserem Hillbilly Elegy Review.
Von diesem provokanten und seismischen Verschiebung der amerikanischen Kultur ist in Ron Howards Film nicht mehr viel zu spüren. Ron Howard, der alte Sentimentalist und Optimist, hat aus der Vorlage das Fünkchen Sozialdrama hervorgekratzt und daraus ein Ensembledrama fabriziert. Seine Hauptfigur J.D. (Gabriel Basso) wird als ein “fish out of the water” Student an der Eliteuni Harvard eingeführt. Mithilfe seiner Freundin Usha (Freida Pinto) stellt er sich so herausfordernden Momenten wie beim Dinner für potenzielle Summer Internships nicht zu wissen, was die drei Reihen an Besteck bedeuten oder das Wort “Syrup” wie jemand aus der intellektuellen Elite auszusprechen.
Dieser First World Problems Marathon wird jedoch davon unterbrochen, dass J.D.s Schwester Lindsay (Haley Bennett) anruft. Ihre Mutter Beverly (Amy Adams) würde wieder Drogen nehmen. Sie brauche seine Hilfe. Also verschwindet J.D. am Höhepunkt der Bewerbungswoche vom Campus und fährt ins heimatliche Ohio. Während die beiden eine neue Unterkunft für ihre aus dem Krankenhaus entlassene Mutter suchen, kehren J.D.s Gedanken immer wieder an die Orte seiner Kindheit zurück. Die Wurzeln seiner Familie in den Appalachia Bergen Kentuckys. Die chaotische Kindheit in der heruntergekommenen Vierteln von Middletown, Ohio. Aber auch seine Großmutter, liebevoll Mamaw (Glenn Close) genannt, die es ihm mit ihrem Engagement und ihrer Geduld ermöglichte, aus seinem sozialen Milieu auszubrechen.
Elegy – ein Klagelied – ist in Ron Howards Film nur bedingt zu finden. Die Eckpunkte von Vances Biografie mögen noch stimmen, aber die kritische, teils auch provokative Auseinandersetzung mit dem armen weißen amerikanischen Arbeitern fehlt. Howard, der ewige Optimist, versucht den Stoff lieber auf ein sentimentales, schlussendlich aufbauendes Drama über die Nöte dreier amerikanischer Generationen in Armut umzudichten.
Das hätte vielleicht sogar funktioniert. Nur scheint Howard sich selber im Dickicht dieser eher dünn und vorhersehbaren Geschichte verstrickt zu haben. Mit fast abstoßenden Fetisch inszeniert er die Geschichte als “Armutsporno”, in dem Amy Adams und Glen Close sich in schwammigen Gesichtsprothesen, ruppigen Perücken und viel überkandidelter Schauspielkunst regelmäßig ins Gesicht schreien. Kein Moment kann zu schäbig und dreckig sein, die Dialoge sind auf provokative fluchende Evergreens programmiert.
Das ist schade, immerhin warten Massen an Fans seit gefühlt hundert Jahren darauf dass Adams und Close endlich mal einen Oscar gewinnen. Der Trailer für den Film hatte dies zunächst noch als Möglichkeit vermuten lassen. Doch das Spiel der beiden, so passioniert es auch ist, fügt sich zu überzogen in die allgemeine Inszenierung ein als dass es positiv hervorstechen würde. Mut zur Hässlichkeit ist längst kein Freifahrtticket zur goldenen Statuette mehr.
Im Gegenzug bleibt Hauptdarsteller Gabriel Basso unverzeihlich blass und uninteressant. Nur die jüngere Inkarnation von J.D., in der 90er Jahre Version gespielt von Owen Asztalos, setzt ein paar interessante Momente. Die Probleme, denen er sich stellt (Soll er in seiner Vergangenheit verharren oder nach vorne blicken?) kennt man bereits aus anderen Sozialdramen. Howard macht hier nichts Neues, und das was er zeigt, ist nicht ausgereift, um wirklich fesselnd zu sein. Von den kritischen Tönen des echten Vance ist in diesem Film nicht mehr viel übrig.
Hillbilly Elegy ist ein wenig überzeugendes Sozialdrama, das sich in seiner übertriebenen Darstellung von Armut suhlt und inhaltlich nur wenig zu sagen hat.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.