Folgt Der Herr der Ringe – Die Ringe der Macht dem gegebenen Kanon der Tolken’schen Geschichte? Ja und auch immer wieder nein – aber das macht nichts. Die Amazon-Prime-Serie ist endlich mal wieder gut produzierte Fantasy.
von Susanne Gottlieb
31. August 2022: Eigentlich hatten sich schon alle gefreut. Nach den legendären Herr der Ringe (2001-2003) Filmen und den etwas weniger geglückten Der Hobbit Streifen (2012-2014) kommt mit Die Ringe der Macht endlich wieder eine Live-Action-Adaption aus dem Herr der Ringe Universum.
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Und die ersten Bilder hatten auch vielversprechend ausgesehen. Doch dann passierte wieder einmal das Internet und eine Armee an wütenden Fans rückte aus. Die Gründe – die absolut nicht haltbare Beschwerde, man habe es gewagt People of Color in Hauptrollen zu casten. Ein schwarzer Elb, eine schwarze Zwergin, das erregte die Gemüter eines gewissen Schlags.
Andere hingegen, die Puristen, machten sich Sorgen, als sich herauskristallisierte, dass die Serie, die im Zweiten Zeitalter von Mittelerde spielt, und davon handelt wie die Ringe geschmiedet wurden, nicht nur auf dem Original-Material von Tolkien basieren würde. Das kanonische aber doch chaotische Simarillion stand nicht zur Verfügung. Die einzigen Rechte, die die Macher hatten, waren der Anhang der Herr der Ringe Bücher. Was bedeutet, dass hier einiges dazugedichtet, und anderes nicht verwendet werden durfte.
Hat es sich dennoch gelohnt? Kann man sich die Serie, die ab 2. September wöchentlich auf Amazon Prime läuft, guten Gewissens ansehen? Wir verraten es euch hier. Übrigens: Falls ihr Fantasyserien mögt, schaut euch unbedingt unsere Übersicht mit den besten Fantasy-Serien auf Netflix, Prime und Disney+ an.
Jahrhundertelang hatte die Elbenkriegerin Galadriel (Morfydd Clark) den bösen Hexenmeister Sauron, ein Diener des bösen Morgoth, quer durch Mittelerde gejagt. Erst wenn er und das Böse auf dem Kontinent besiegt sind, können die Elben in Frieden in ihre Heimat Valinor zurückkehren. Doch nachdem sich die Spur über die Jahre ausgedünnt hat, fordern sie der Elbenkönig Gil-galad (Benjamin Walker) und ihr Vertrauer Elrond (Rober Aramayo) auf, ihre Suche zu beenden und nach Valinor zurückzukehren. Doch Galadriel widersetzt sich dem Befehl, sie spürt, dass sich etwas Böses zusammenbraut.
Gleichzeitig beginnen im südlichen Reich der Menschen immer mehr Orks aufzutauchen. Der Elb Arondir (Ismael Cruz Córdova) will dem Ganzen nachgehen, während die Menschen rund um die Heilerin Bronwyn (Nazanin Boniadi) versuchen zu fliehen. Doch ihr Sohn Theo (Tyroe Muhafidin) scheint ein Kleinod mit sich zu führen, das in Verbindung mit Sauron steht.
Bei den Hobbits entdeckt Eleanor “Nori” Brandyfoot (Markella Kavenagh) nach einem Meteroitenabsturz einen verwirrten grauhaarigen Mann (Daniel Weyman), der mit Glühwürmchen redet und seltsame Kräfte besitzt. Er möchte sie vor etwas warnen, nur fehlen ihm die Worte. Nicht fehlen tun sie hingegen Elrond, der das Zwergenvolk rund um Prinz Durvin IV (Owain Arthur) überzeugen will, dem elbischen Architekten Celebrimbor (Charles Edwards) bei seinem Lebenswerk zur Hand zu gehen. Nicht wissend, dass dessen Lebenswerk eine Reihe von sehr mächtigen Ringen sein würde.
Und auch sonst verdichtet sich das Zeitalter rund um Saurons ersten Aufstieg und Fall mit bekannten Figuren wie Isildur (Maxim Baldry), Elendil (Lloyd Owen) oder dem gegenwärtigen Erben der Númenor Insel, Míriel (Cynthia Adda-Robinson).
Kann die Serie dem Hype nun gerecht werden? Zum Teil. Die Sorge, dass hier Tolkien’sche Überlieferungen zerstückelt werden, ist einserseits berechtigt, weil hier viele neue Figuren eingeführt werden, die es in der Vorlage nicht gibt. Ob nun Elb Arondir, Heilerin Bronwyn oder Hobbit Nori. Sie füllen die Lücken dort, wo die Rechte nicht vorhanden waren. Dass hier mehrere tausend Jahre des Zweiten Zeitalters auf einen kürzeren zeitlichen Umfang reduziert werden, verlangt auch die narrative Einheit. Zu viele Figuren, zu viele Sprünge in der zeitlichen Handlung wären notwendig, um der Geschichte gerecht zu werden.
Dass Peter Jackson übrigens nicht in der Serie involviert war, liegt weniger an irgendwelchen “woken” Agenden der Produzenten, sondern am Berater selbst. Und zwar an Tolkien-Enkel Simon Tolkien, der seit dem Tod seines Vaters Christopher das Erbe verwaltet. Dieser hatte die Auflage erteilt, dass Jackson keine Skript-Consulting Aufgaben übernehmen dürfe. Doch Tolkiens wachsames Auge und das üppige Milliardenbudget, das in jeder Szene der Serie ins rechte Licht gerückt ist, sind nicht die einzigen Gründen, warum die Serie so gelungen ist. Die Abwesenheit Jacksons wird durch die Kooperation mit jenen Leuten kompensiert, die Mittelerde einst schon visuell und akustisch erschufen. Die Musik klingt so vertraut, da Howard Shore auch hier für den Soundtrack verpflichtet wurde. Die Welten wirken bekannt, weil Concept-Artist John Howe wieder an Board ist.
Und so sind schon die ersten paar Minuten ein Wohlfühl-Callback zu den Filmen, die wir vor 20 Jahren einst so lieb gewonnen haben. Ein Voice Over von Galadriel erfüllt den dunklen Bildschirm, elbischer Gesang erklingt im Hintergrund, eine Vorgeschichte wird erzählt. Doch im Gegensatz zu House of the Dragon (hier unser Review), das sich etwas zu sehr auf den Meta-Wiedererkennungseffekt der Vorgängerserie Game of Thrones stützt, ist Der Herr der Ringe – Die Ringe der Macht mutig genug, seine eigene Geschichte zu erzählen, auf seine eigene Anziehungskraft zu vertrauen und sich nicht als Abziehbild zu positionieren.
So sind Galadriel- und Elrond-Darsteller Morfydd Clark und Robert Aramayo keine Kopien der ikonischen Cate Blanchett oder Hugo Weaving. Sie interpretieren die Figuren auf ihre Weise, fügen ihnen etwas Jüngeres, Ungezähmteres hinzu. Dass Galadriel hier noch als Kämpferin durch Mittelerde wandelt, und nicht wie im Simarillon sich schon zur Ruhe gesetzt hat, dass dieser graue Riese, der vom Himmel fällt, verdächtig wie ein Zauberer aussieht, der hier noch nichts zu suchen hätte, kann für manche sicher nervig sein. Doch letztendlich muss man sich entscheiden, ob man eine sklavische Adaption der Geschichte braucht oder à la Star Trek sich einer “Kelvin-Timeline”-artigen Variation der Geschichte verschreiben kann.
Was Der Herr der Ringe – Die Ringe der Macht letztendlich möchte, ist eine universelle Parabel. Viele “Fans” hatten sich vorab an der Ankündigung gestört, dass man mit dieser Herr der Ringe Serie an die von uns bewohnte Realität anknüpfen wolle. Doch die Serie versucht nicht etwas zum gegenwärtigen politischen Status oder gesellschaftlichen Bewegungen zu sagen. Sie appelliert an eine universelle, zeitlose Botschaft, die sich auch in den Originalromanen Tolkiens findet. Gemeinsam kann man Böses überwinden. Gemeinsam kann man sich seinen Feinden stellen. Dabei erlaubt sich die Serie auch mehr Grauzonen, als die oft viel zu aggressiv betriebene Schwarz-Weiß Einordnungen Tolkiens.
Die Produzenten und Autoren versuchen hier kein düsteres, realistisches Fantasy-Gebilde zu schaffen. Die nächste Game of Thrones Kopie mit prominenten Namen in den Ring zu werfen. Der Herr der Ringe – Die Ringe der Macht darf sein eigenes Ding sein. Eine Serie, die mit Grandeur und Feinfühligkeit unterhält. Die zwar manche Entwicklungen, wie eine mögliche Romanze zwischen Elb und Mensch, etwas zu leichtfüssig in den Raum wirft, wenn man bedenkt wie bedeutend die beiden anderen Verbindungen dieser Art bisher waren. Die aber auch versteht, welchen Ton die Vorlage und die Filme hatten und diesen verwantwortungsvoll weiterführt.
Die Herr der Ringe Serie Die Ringe der Macht ist eine gelungene Rückkehr nach Mittelerde, die sicher nicht alle Hardcore-Fans überzeugen wird, die aber dennoch unterhaltsam und respektvoll umgesetzt wurde. Statt billiger gehetzter Action, wie bei vielen anderen aktuellen Genre-Vertretern, ein Ort zum Träumen und Verweilen.
In unserem Seher-Bereich gibt es Kritiken zu Filmen, Serien und praktische Monatsvorschauen:
House of the Dragon – Kritik zur Serie
Review zum Skandalfilm Don’t Worry Darling
Kinostarts September: Callboys, Dschinns und Kopftücher
Aufmacherfoto: (c) Amazon Studios
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.