Die Verfilmung von Daniel Glattauers E-Mail–Roman Gut gegen Nordwind kommt mit viel Herzschmerz und interessanter Prämisse auf die große Leinwand. Wo die Stärken des Filmes liegen und wo man besser beim geschriebenen Wort bleibt, lest ihr in unserer Kritik.
13. September 2019: Leo ist Linguist und Romantiker. Als die Beziehung zu seiner Langzeitfreundin in die Brüche geht, trifft ihn das hart und er schickt ihr eine letzte verzweifelte E-Mail. Statt einer Antwort erhält er eine Massenmail mit Weihnachtsgrüßen von Emma. Mit ihr kam er Wochen zuvor in flüchtigen Kontakt, weil sie aus Versehen eine Mail zur Abbestellung eines Magazins an seine Adresse geschickt hatte. Die beiden kommen ins Gespräch.
Wir durften Gut gegen Nordwind bereits vorab für euch sichten. In unserer Kritik verraten wir euch, ob er dem Bestseller gerecht wird. Ü
Sprachwissenschaftler Leo hat ein gebrochenes Herz und Emmas Ehe ist im Scheitern begriffen. Daraus entsteht eine digitale Zufallsbekanntschaft voll von geistreichen Dialogen, emotionalem Gedankenaustausch und bald auch romantischen Gefühlen. Die beiden beginnen ein Doppelleben. Einerseits schleppen sie sich durch ihren Alltag voller Enttäuschungen und Trauer, andererseits freuen sie sich darauf, in das Online-Gespräch zu fliehen. Irgendwann werden die Zuneigung und die Neugier zu groß, um sie immer aufs Internet zu beschränken. An diesem Punkt drohen die Fantasien mit der Realität zu kollidieren. Die verbotene Beziehung wird auf eine harte Probe gestellt.
Gut gegen Nordwind stellt sich der großen Herausforderung, eine Geschichte auf die Leinwand zu bringen, die im Original rein aus E-Mail-Dialogen besteht. Er meistert sie. Man bedient sich kreativer Kniffe, wie dem Einblenden der geschriebenen Texte in die Szenen, als würden sie auf Fensterscheiben geschrieben. So verliert der Film nie seinen Fluss. Ansonsten werden Mails stets aus dem Off vorgelesen, was den Zusehern die Chance gibt, sich auf die Emotionen der Szene zu konzentrieren.
Beide Protagonisten Leo (Alexander Fehling) und Emma (Nora Tschirner) dominieren den Film. Mit ihren schauspielerischen Leistungen steht und fällt der Film. Glücklicherweise spielen die beiden souverän. Vor allem Nora Tschirner, die im ersten Filmdrittel nur als Stimme aus dem Off auftritt, stellt die unterschwellige Verzweiflung und die spielerische Lebendigkeit ihrer Figur auf beeindruckende Weise dar. Alexander Fehling leidet als Leo ein wenig an den Beschränkungen, die ihm das Drehbuch in den Weg stellt. Sein Charakter entwickelt sich kaum und funktioniert nur mit Emma als Referenzpunkt.
Das Drehbuch tut sich vor allem gegen Ende etwas schwer mit den Nuancen des Romans umzugehen. Wenn man das Gefühl hat, zum Ende zu kommen, zieht die Geschichte noch dreimal den gleichen Kreis um das gleiche Dilemma. Das funktioniert im Buch, weil man die graduelle Veränderung der Beziehung Schritt für Schritt fühlen kann. Im Film aber vermittelt es den Eindruck, als wäre das Drehbuch genau wie seine Protagonisten unentschlossen. Die Wortwahl und Formulierungen in den Mails wirken hin und wieder etwas unauthentisch. Auch das ist im Roman kein Problem. Man liest den Text im literarischen Kontext und da ist man an leicht gekünstelte Dialoge in der Literatur gewöhnt. Sobald dieselben Worte aber laut von Schauspielern ausgesprochen werden, hört sich das stellenweise unnatürlich an.
Beeindruckend ist hingegen die visuelle Umsetzung des Films. Licht und Schatten, Landschaftspanoramen und extreme Close-Ups führen die Zuschauer perfekt durch die Emotionen der Handlung und unterstreichen das Geschehen, ohne sich in den Vordergrund zu schieben. Bei einer Laufzeit von gut zwei Stunden schafft es der Film, die oft sehr statischen Szenarien niemals langweilig zu präsentieren.
Eine besondere Erwähnung verdient auch noch Ulrich Thomsen als Emmas Ehemann. Seine Fähigkeit, Emotionen mit weniger Worten und winzigen Bewegungen der Mimik darzustellen, ist herausragend. Er schafft es, die Zuschauer zu zwingen, mit seiner potenziell eindimensionalen Figur mitzufühlen, und macht seinen Charakter aus einer reinen Hürde für die Liebe der Protagonisten zum echten Menschen.
https://www.youtube.com/watch?v=inxVtHGIl6w&t=1s
Gut gegen Nordwind ist eine kompetente Literaturverfilmung, die sich in einigen Details Freiheiten im Gegensatz zur Vorlage erlaubt – vor allem am Ende. Alles in allem ist es ein überraschend nuancierter Liebesfilm mit starken Darstellern und konsequent durchgesetzter Prämisse – ohne zu großen Kitsch. Für Freunde des Buchs und echte Romantiker eine Empfehlung.
Helden-Tipp! Passend zum Kinostart am 13. September erscheint beim Deuticke Verlag ein Doppelband in dem Gut gegen Nordwind und die Fortsetzung Alle sieben Wellen enthalten sind.
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Alle Fotos (c) Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH/Anne Wilk/Tom Trambow
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.