Schon einmal darüber nachgedacht, ob hinter einer Person, die man kennt und schätzt, ein gefährlicher Psychopath stecken könnte? In Greta lässt der irische Regisseur Neil Jordan die wie immer exzellente Isabelle Huppert als Stalkerin auf Jungstar Chloё Grace Moretz los, nachdem diese ihr einen Gefallen tut und eine verlorene Handtasche retourniert. Warum der Film trotzdem nur ansatzweise schauerhaft wirkt, lest ihr hier in unserer Kritik.
15. Mai 2019: Monster, übernatürliche Wesen und Aliens hin oder her. Eine der effektivsten Arten mit der menschlichen Psyche zu spielen sind noch immer die eigenen Urängste. Die Ungewissheit über das Fremde im Vertrauten, das doppelte Gesicht jener Menschen, denen wir vertrauen: Neil Jordan weiß, was er tut, wenn er die Angst vor den eigenen Mitmenschen anzapft. Doch während der Film sicher seinen Teil dazu beiträgt, dass etwaige Interaktionen mit Fremden erst mal eine Weile furchteinflößend wirken, so ist er als Unterhaltung nur mäßig geglückt und lebt in erster Linie von Hupperts Leistung.
Am 17. Mai hat der Streifen seinen Kinostart in Österreich. Wir haben ihn bereits gesehen und berichten in unserer Filmkritik, was ihr euch erwarten dürft.
Kellnerin Frances (Chloё Grace Moretz) entdeckt in der New Yorker U-Bahn eine besitzerlose Tasche. Der Ausweis darin bringt sie auf die Spur von Greta (Isabelle Huppert), einer Französin mittleren Alters, die einsam in einem kleinen Haus mitten in der Metropole wohnt. Frances, die noch immer unter dem Verlust ihrer geliebten Mutter leidet, beginnt sich regelmäßig mit Greta zu treffen, auch wenn ihre Freundin Erica (Maika Monroe) sie wiederholt davor warnt, sich zu sehr an eine fremde Frau zu heften.
Erica soll recht behalten. Ein gemeinsames Abendessen lässt Frances erkennen, dass das Aufeinandertreffen mit Greta wohl kein Zufall war. Verstört beginnt sie ihrer neuen Freundin aus dem Weg zu gehen. Doch da hat sie die Rechnung ohne die unberechenbare Französin gemacht. Greta lässt sich nicht so leicht abschütteln, beginnt Frances zu verfolgen und schließlich sogar zu bedrohen. Frances muss nun einen Weg finden, ihre Stalkerin wieder loszuwerden.
Neil Jordan, der solche cineastischen Perlen wie The Crying Game, Interview mit einem Vampir oder Michael Collins gedreht hat, widmet sich hier erneut unkonventionellen Beziehungen und der eigenen Identität, auch wenn diese Themen hier nicht von sexueller Natur sind. Die Doppelung seiner titelgebenden Figur, jener netten Dame, die sie vorgibt zu sein und jener Person, als die sie sich letztendlich entpuppt, ist auch der stärkste Aspekt des Films. Unterstrichen wird diese Tatsache durch die famose Isabelle Huppert, die hier zwar wieder ihren Einser-Trick einer exzentrischen Frau abspult, ihn allerdings mit gekonntem Einsatz in eine wunderbare Leistung ummünzt.
Stärke und zugleich größte Schwäche des Films ist aber seine Ambivalenz. Jordan kann seine Tonalität nicht halten, wandelt zwischen Psychothriller und womöglich unfreiwilliger Satire. Das funktioniert nur gut für die Figur von Greta. Zunächst noch ein nüchtern gehaltener Charakter, dreht Huppert im letzten Drittel des Filmes am Kitschrad. So tänzelt sie verzückt zur Musik durch die Wohnung, versteckt malträtierte Gliedmaßen unter Kleidungsschichten und grinst dabei wie ein Honigkuchenpferd auf Droge.
In anderen Entscheidungen Jordans bleiben Fragen. Ist sein Film auch eine Parodie auf das Wohlfühlsetting amerikanischer Massenware, oder meint er viele Szenarien ernst? Frances und Erica bewohnen etwa ein riesiges Loft mitten in der Stadt, das sie durch im realen Leben mies bezahlte Jobs wie als Kellnerinnen erhalten. Auch die Figurenzeichnung wirkt klischeehaft. Frances ist die klassische graue Maus während Erica als ungezügeltes sexsüchtiges Partygirl porträtiert wird. Das alles kann man zwar machen, nur muss man als Zuschauer wissen, ob man hier insgeheim einer schwarzen Komödie aufsitzt oder einem ernst zu nehmenden Thriller. Jordan kann sich offensichtlich nicht entscheiden.
Außerdem leidet Moretz‘ Figur an einer unverzeihlichen Passivität und Nutzlosigkeit. Um die Handlung voran zu treiben ist es klar, dass die Figuren auch Fehler machen müssten. Frances steckt in einer beklemmenden Situation, sie weiß nicht wie sie mit ihrer Stalkerin umgehen soll. Nur dummerweise ist jede Entscheidung, die sie trifft aufs äußerste idiotisch und von anderen initiiert. Als Protagonistin muss sie einen Antrieb haben, den Antagonisten herausfordern. Trotzdem gibt sie die Zügel irgendwann in der Hälfte des Films ab und erobert sie bis zum Schluss nicht zurück.
Sie ist aber nicht die einzige. Oft wirkt es, als würden die Figuren weniger einer gewissen Logik und einer nachvollziehbaren Charakterisierung folgen, als erzwungenermaßen einen Handlungspunkt nach dem anderen abhaken. So wird die Geschichte irgendwann absurd, die Bedrohung wandelt sich in Lächerlichkeit.
Neil Jordan’s erster Film in sechs Jahren – und leider hat er diesmal die Ziellinie nicht erreicht. Das ist schade, vor allem weil er so einen großartigen Cast um sich versammeln konnte. Greta wird zwar durchaus dazu beitragen, für eine Weile um fremde Menschen einen großen Bogen zu machen, doch bevor es dazu kommt, wird man sich erst ein paar Mal irritiert an den Kopf greifen müssen. (sg)
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Fotos: © Constantin Film
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.