In Green Book hat es Viggo Mortensen als Rausschmeißer im Amerika der 60er Jahre nicht leicht. Ebenso schwer gestaltet sich das Leben für Mahershala Ali. Warum das Roadmovie- und Rassismusdrama um die Freundschaft zweier Männer aus verschiedenen Lebenslagen ein Muss für jeden anspruchsvollen Kinogänger ist, lest ihr in unserem Review.
1. Februar 2019: Green Book ist ein Film mit vielen Gesichtern. Er ist Charakterdrama, Roadmovie, Historienfilm und Komödie in einem. Dabei vereinigt Regisseur Peter Farelly all diese Facetten zu einer stimmigen Mixtur, die für jeden Zuschauer etwas zu bieten hat. Und dabei galt Farelly bisher ausschließlich als Spezialist für Klamauk-Komödien (Dumm und Dümmer, Verrückt nach Mary).
Dass diese Collage auf all ihren Ebenen funktioniert, ist aber auch dem sehr guten Drehbuch und einer spielfreudigen Darstellerriege zu verdanken. Zu Recht gab es dafür fünf Nominierungen bei den diesjährigen Oscars (Bester Film, Bester Hauptdarsteller – Mortensen, Bester Nebendarsteller – Ali, Bestes Originaldrehbuch, Bester Schnitt) und zahlreiche andere Auszeichnungen, darunter drei Golden Globes.
Frank “Tony Lip” Vallelonga (Viggo Mortensen) verdient seinen Lebensunterhalt als Mann fürs Grobe bei einem Nachtclub mit Verbindungen zur Mafia. Als der Club wegen Renovierungen geschlossen wird, gerät er in Geldnot. Obwohl Frank eine Abneigung gegen Afro-Amerikaner hat, bewirbt er sich um eine Stelle als Fahrer für den schwarzen Klavier-Virtuosen Don Shirley (Mahershala Ali). Er begleitet ihn auf eine Konzerttournee durch die Südstaaten. Wegen der im Süden herrschenden Rassentrennung und dem allgegenwärtigen Rassismus, erhält Frank von der Plattenfirma das Green Book for the Negro Motorist, das eine Liste von sicheren Speise- und Übernachtungsmöglichkeiten für Schwarze enthält.
Die beiden Männer könnten unterschiedlicher nicht sein. Frank ist ungebildet, flucht unablässig, hat kein Problem damit bei Gelegenheit zu stehlen. Don hingegen ist Kulturmensch, trägt mehrere akademische Titel, spricht stets bedacht und korrekt. Im Laufe der Reise lernen sich die beiden kennen, öffnen sich. Frank überwindet seinen gelernten Rassismus und Dons versteinerte Fassade bröckelt, als er mit dem Hass und dem segregierten Alltag der Südstaaten konfrontiert wird. Für ihn ist die Tournee eine selbstgewählte Feuerprobe um in jeder noch so widrigen Lage seine Würde und seinen Stolz zu bewahren. Bald erkennen die Reisegefährten, dass sie viel voneinander zu lernen haben.
Green Book lebt über weite Strecken von der Leistung seiner Darsteller. Obwohl das Drehbuch durchwegs solide ist und auch die Regie keinerlei offensichtliche Schwächen zeigt, sind beide für sich gesehen keinesfalls Weltklasse. Es sind Viggo Mortensen und Mahershala Ali, die mit ihrem gefühlvollen Spiel den Film tragen. Ali gibt seinen Virtuosen überheblich, distanziert, aber auch warmherzig. Seine Einsamkeit und der Schmerz trotz all seiner Bemühung stets Bürger und Künstler zweiter Klasse zu sein, spiegeln sich in jedem Blick und jedem Wort. Mortensen hingegen bildet sein einfältiges, vorurteilbehaftetes aber gutherziges Gegenstück.
Die Gegensätzlichkeit der Charaktere aber vor allem Mortensens grandioses Timing sorgen für eine, trotz der ernsten Thematik, überraschend hohe Gag-Dichte. Niemals driften die Szenen aber in reinen Klamauk ab. Stets bleibt genug Ernst gewahrt, um die soziale Botschaft des Film nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Message geht über das häufig wiederholte “Rassismus ist schlecht” Schema hinaus. Es geht um mehr als das. Frank ist stets in finanzieller Not. Im Mafia dominierten Brooklyn der sechziger Jahre ist es schwer eine Familie zu ernähren ohne sich strafbar zu machen. Der Film präsentiert seine kapitalistische Existenzangst großartig dadurch, Frank in der ersten Hälfte ständig essen zu lassen. Er schaufelt ununterbrochen irgendetwas in seinen Mund und raucht eine Zigarette nach der anderen, als müsse er alles genießen, bevor es ihm genommen wird.
Don hingegen kämpft damit sich stets zu beherrschen, niemals laut zu werden und trotzdem nicht nachzugeben. Ali spielt diese Ambivalenz so nuanciert, dass man als Kinogänger aufmerksam jedem Zucken seines Gesichts folgt. Frank und Don repräsentieren den Widerspruch zwischen Zivilisation und purer Emotion. Im Vordergrund steht trotzdem die Rassismuskritik und diese gerät dem Regisseur hin und wieder zu eindimensional.
Der Look des Films ist durchgängig realitätsnah. Die Sechzigerjahre werden detailgetreu in den Sets, der Musik und der Mode nachgestellt und die Kameraarbeit und der Schnitt sind funktionell. Nie drängt sich das Technische ins Rampenlicht. Dieses wird den Schauspielern überlassen. Kleinere erzählerische Stilmittel, wie Reisemontage und stimmungsvoll geschnittene Musikeinlagen lockern die geradlinige Inszenierung auf ohne von der Handlung abzulenken. Angenehm fällt auf, wie unaufgeregt der Film seine Konfliktsituationen auflöst. Niemals eskaliert die Lage auf unnatürliche Art. Menschen reagieren menschlich. Nichts wirkt konstruiert.
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Mehr InformationenGreen Book ist ein anspruchsvoller Film. Er verlangt Empathie von seinen Zusehern und gibt ihnen gleichzeitig Einblicke in eine schwierige Periode der Geschichte durch unterschiedliche Perspektiven. Die Werkzeuge, die der Film benützt, sind klassisch und wenig innovativ, aber Schauspieler und Regisseur wissen sie virtuos zu gebrauchen. Nicht nur wegen seiner Thematik, sondern auch wegen des spielfreudigen Ensembles und des charmanten Humors ist Green Book ein starker Anwärter auf einige Oscars und einen Platz im Herzen eines großen Publikums.
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Alle Fotos: © 20th Century Fox
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.